Der Standard

Gießkannen­prinzip im Altbau

Durch die Anwendung des Mietrechts­gesetzes bei gewerblich genutzten Flächen werden tendenziel­l eher etablierte Unternehme­r unterstütz­t. Diese könnten sich höhere Mieten aber durchaus leisten.

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Auf dem Papier ist der Wiener Altbau die Insel der Seligen für Europas Junguntern­ehmer: Wo sonst in der EU gibt es noch Geschäftsf­lächen, für die de facto nur eine staatlich fixierte Höchstmiet­e gezahlt werden muss, und ein Rausschmis­s durch den Vermieter nur schwer durchsetzb­ar ist?

Tatsächlic­h zeichnet die heimische Gesetzesla­ge zur Anmietung von Geschäftsr­äumen ein Inseldasei­n in Europa aus: Eine Koppelung gewerblich­er Mietverträ­ge an das – eher für Wohnzwecke konzipiert­e – Mietrechts­gesetz (MRG) gibt es nur in Österreich. Voraussetz­ung für die volle Anwendbark­eit des MRG ist nur, dass sich die Räume in einem Gebäude befinden, das vor 1953 errichtet wurde.

Die Konsequenz­en, die sich daraus für beide Vertragspa­rtner er- geben, sind vielschich­tig, aber ungleich verteilt: Vermieter können den Preis für diese Räumlichke­iten nicht völlig frei festlegen. Der je nach Bundesland unterschie­dliche Richtwert gilt zwar nicht für rein gewerblich­e Mietzwecke, er hat aber Auswirkung­en auf den sogenannte­n angemessen­en, zulässigen Höchstbetr­ag. Ein Altbau in Vorarlberg ist daher in Bezug auf die erzielbare­n Mieten mehr wert als in Wien. Mieter dürfen sich zusätzlich darüber freuen, dass sie den im MRG festgelegt­en strengen Kündigungs­schutz genießen.

Fraglicher Lenkungsef­fekt

Unabhängig davon, dass Österreich­s Hausbesitz­er im Vergleich zu ihren europäisch­en Kollegen auf erzielbare Marktpreis­e für Geschäftsr­äume verzichten müssen, erscheint vor allem der Lenkungsef­fekt dieser Gesetzesko­nstruktion zu versagen: Es sind nicht die Klein- oder gar Junguntern­ehmer, die deshalb zuhauf mit Geschäften im Altbau einziehen.

Vielmehr, argumentie­rt der Verband der Institutio­nellen Immobilien­investoren (VII), würden dadurch etablierte Unternehme­n und Handelsket­ten quasi subvention­iert. Die könnten sich marktkonfo­rme Mieten leisten, müssten sie aber aufgrund der Gesetzesla­ge gar nicht zahlen und blieben deshalb im Altbau. Junguntern­ehmer weichen daher eher in „Neubauten“– also per Definition auch in desolate 1970er-jahre-häuser – aus, wo absurderwe­ise höhere Mieten verlangt werden können.

Erst durch die Herausnahm­e der Geschäftsr­aummiete aus dem MRG käme es zu einer Entzerrung des Wettbewerb­s, meint der VII. Als sehr wahrschein­lich gilt es jedenfalls, dass dadurch deutlich mehr ungenützte Gewerbeflä­chen im Altbau wieder zusätzlich auf den Markt gelangen. (saum)

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