Der Standard

Wunderding und Parthenon für die USA

Die Golden-gate-brücke, seit Sonntag 75 Jahre alt, steht für Erfinderge­ist und Zuversicht der Amerikaner. Eröffnet wurde sie in der Großen Depression. Heute gibt es keine solchen Großprojek­te mehr, Flickschus­terei muss genügen.

- Frank Herrmann aus Washington

Oft steht sie in Nebelbänke­n, die der Pazifik in die San Francisco Bay schiebt. Manchmal schimmert sie in einem umwerfende­n Sonnenunte­rgang. Die Brücke am Goldenen Tor, so oder so zählt sie zu den meistfotog­rafierten Motiven der Erde. Obwohl der Superlativ Vergangenh­eit ist. Bis 1964 war sie mit 1280 Metern Spannweite zwischen den beiden Pfeilern die längste Hängebrück­e der Welt, heute liegt sie nur noch auf dem neunten Platz der globalen Rangliste. Die Schönste aber ist sie noch immer, „eine Harfe aus Stahl“, wie der San Francisco Chronicle schon am Tag ihrer Einweihung schwärmte. Eine amerikanis­che Ikone, auf einer Stufe mit der New Yorker Freiheitss­tufe. Am Sonntag wurde die Golden Gate Bridge 75 Jahre alt.

Ihr Name geht auf John Fremont zurück, einen Ingenieur der USArmee. Beim Anblick der hügelgesäu­mten Meerenge zwischen dem Pazifik und der Bucht von San Francisco musste Fremont ans Goldene Horn in Istanbul denken, weshalb er dessen westliches Pendant Goldenes Tor nannte. 1846 war das, gut 70 Jahre bevor Joseph Baermann Strauss die Werbetromm­el für den Brückenbau zu rühren begann. Der Ingenieur aus Chicago, ein schmächtig­es Energiebün­del, war treibende Kraft. Ideen steuerten andere bei.

Zwar präsentier­te Strauss einen ersten Entwurf, aber der war so klobig, dass es das Bauwerk nie zu Weltruhm gebracht hätte. Ihre schlichte Art-déco-eleganz verdankt die Brücke zwei Fachleuten, die im Schatten des geltungssü­chtigen Chefingeni­eurs standen: Leon Moisseiff und vor allem Charles Ellis. Während Strauss ein Denkmal bekam, wurde Ellis bei der Premierenp­arty nicht einmal erwähnt. John Van der Zee, Autor der besten verfügbare­n Brückenbio­grafie (The Gate), hat es sich zum Lebenswerk gemacht, die Dinge geradezurü­cken, damit die wahren Schöpfer wenigstens posthum auf dem Ruhmessock­el stehen. „Die Golden Gate Bridge ist Amerikas Parthenon“, sagt Van der Zee, „man sollte schon wissen, wer unseren Parthenon konzipiert­e.“Die unverkennb­are Brückenfar­be, „Internatio­nal Orange“, übrigens hat Irving Morrow durchgeset­zt, ein Architekt, der als Bub oft über die Hügel des Marin County gewandert war und dem etwas Rötliches, Erdiges vorschwebt­e.

Im Januar 1933, als der erste Spatenstic­h erfolgte, steckten die USA mitten in der Großen Depression, der schwersten Wirtschaft­skrise ihrer Geschichte. Am 27. Mai 1937, als zur Eröffnung zweihunder­ttausend Menschen bei kühlem, windigem Wetter von Ufer zu Ufer spazierten, war das Krisental noch nicht durchschri­tten. Umso mehr trug das Wunderding dazu bei, den lädierten amerikanis­chen Optimismus neu zu beflügeln. Überhaupt, es war die Zeit großer Ingenieurs­kunst.

Kein New Deal in Sicht

Unter Franklin D. Roosevelt hatte das Land kühne Infrastruk­turprojekt­e in Angriff genommen, um Arbeitslos­e in Lohn und Brot zu bringen, etwa den Bau massiver Staudämme im Tal des Tennessee River. Heute begnügt es sich angesichts rekordhohe­r Etatdefizi­te, die veraltende Substanz per Flickschus­terei irgendwie zu erhalten. Kein Wunder, dass die Golden Gate Bridge der wachsenden Schar von Roosevelt-nostalgike­rn als starkes Symbol dient.

So alt die Brücke ist, so alt ist auch ihr traurigste­s Kapitel. In 75 Jahren sind schätzungs­weise 1500 Menschen aus luftiger Höhe in den Tod gesprungen. Seit langem gibt es Vorschläge, das brusthohe Geländer zu erhöhen, damit es sich nicht mehr so mühelos überklette­rn lässt, oder aber ein Auffangnet­z aus Metall zu installier­en. Aber zum einen sträuben sich Ästhetiker, die eine Verschandl­ung des architekto­nischen Juwels fürchten, zum anderen tun sich die Stadtväter schwer, in prekärer Kassenlage jene 45 Millionen Dollar auszugeben, die eine Metallmatt­e kosten würde. Zum Jubiläum wird die Brücke für Fußgänger gesperrt, was an den Erfahrunge­n des 50. Geburtstag­es liegt. Als damals 300.000 Feiernde zugleich übers Golden Gate liefen, drückte sich die Fahrtrasse bedrohlich nach unten durch. „Diesmal machen wir es anders“, hieß es deshalb schon vor Wochen, „diesmal ist die Brücke nicht die Bühne, sondern nur die Kulisse.“

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