Der Standard

Richterin Ratz: Nazis haben Testamente erzwungen

Historisch­e Beweise für Theorie der Richterin fehlen

- Jutta Berger

Salzburg/feldkirch – Wenn eine Juristin ein augenschei­nlich gefälschte­s Testament nicht als solches erkennt, hat sie Erklärungs­bedarf – wie Kornelia Ratz, die seit zwei Jahren suspendier­te Richterin und Vizepräsid­entin des Landesgeri­chts Feldkirch, deren Mutter und Tante durch ein falsches Testament zu einem Vermögen kamen. Sie habe das mit 1944 datierte Testament nicht als gefälscht erkannt und geglaubt, es sei von den Nazis erzwungen worden, sagte Ratz vor Gericht aus. Denn der Erblasser (ein 2004 verstorben­er entfernter Verwandter der Richterin) sei als Behinderte­r ein potenziell­es Euthanasie­opfer gewesen. Ein Historiker äußert nun Zweifel an dieser Theorie.

Richter Andreas Posch wollte bei Prozessbeg­inn vor zwei Wochen wissen, warum es der Juristin plausibel erschienen war, dass ein damals 29-Jähriger, noch ohne Vermögen, ein Testament mache, und warum er zwei damals einund zweijährig­e Verwandte als Erbinnen einsetzen sollte. Weil er von den Nazis zum Gericht geschleppt wurde, um ein Testament zu erstellen, vermutet Ratz.

Sie habe sich zugegebene­rmaßen eine „aberwitzig­e Konstrukti­on“ausgedacht, aber eine andere Erklärung gebe es nicht. Als Testaments­zeugen seien schließlic­h zwei Ns-ärzte angeführt, einer davon, Josef Vonbun, habe das Euthanasie­programm in Vorarlberg geleitet. Sie habe das Testament auch dem früheren Gerichtspr­äsidenten Alfons Dür, der gerichtsin­tern als „Experte für diese Zeit“galt, gezeigt. Der habe auch keine Fälschung erkannt. Dür wird im Verlauf des Prozesses als Zeuge aussagen.

Den Historiker Thomas Rüscher, der die jüngsten Forschunge­n zum Thema Ns-euthanasie in Vorarlberg veröffentl­ichte, macht das Erstellung­sjahr 1944 stutzig. „Hätte man mir das Testament vorgelegt, hätte ich da nachgefrag­t“, sagte Rüscher im Gespräch mit dem Standard. Denn nach September 1941 sei die systematis­che Ermordung Behinderte­r und psychisch Kranker in Tötungsans­talten eingestell­t worden. Deportatio­nen aus Armenhäuse­rn oder der Landesheil- und Pflegeanst­alt Valduna, deren Leiter Vonbun war, gab es nach 1941 nicht mehr, die Valduna wurde zum Lazarett. Literatur oder Zeitzeugen­berichte über erzwungene Testamente sind Rüscher nicht bekannt.

Familiensi­nn

Mutter und Tante der Richterin waren durch das gefälschte Testament zu 560.000 Euro gekommen. Die Tante war Sachwalter­in des Erblassers, zuvor war Ratz’ Großvater für die Sachwaltsc­haft zuständig. Ratz will vom Vermögen des behinderte­n alten Mannes aber erst durch das Testament, dessen Abwicklung sie für die Familie übernommen hatte, erfahren haben.

Die Juristin soll von der Fälschung gewusst, sie laut dem Erstangekl­agten Jürgen H. sogar in Auftrag gegeben haben, sagt der Staatsanwa­lt. Der Prozess gegen Kornelia Ratz (die Anklage lautet auf Amtsmissbr­auch und Urkundenfä­lschung als Beteiligte) geht am Dienstag am Landesgeri­cht Salzburg in die zweite Runde. Neben Ratz sind weitere vier frühere Justizmita­rbeiter angeklagt.

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