Der Standard

In den Höllen Kolumbiens

La maldita vanidad begeistert­e mit der Trilogie „Familienan­gelegenhei­ten“

- Thomas Trenkler

Wien – Der Titel Sobre algunos asuntos de família, also Familienan­gelegenhei­ten, ist nicht die einzige Klammer: Jedes der drei Stücke, von der exzellente­n Gruppe La maldita vanidad aus Bogotá um den Autor und Regisseur Jorge Hugo Marín als fünfstündi­ger Marathon im Palais Kabelwerk präsentier­t, dreht sich um klaustroph­obe Situatione­n. Wie in der Geschlosse­nen Gesellscha­ft gibt es kein Entrinnen. Die Hölle, das sind auch hier die anderen.

Die ersten beiden Einakter, Los autores materiales und El autor intelectua­l, haben nichts spezifisch Kolumbiani­sches: Sie könnten genauso gut in Österreich spielen. Und das tun sie im Endeffekt auch. Denn die Theatertru­ppe griff für ihre realistisc­hen Bühnenbild­er auf heimische Requisiten und Produkte zurück.

Im ersten Teil haben drei junge Männer aus Geldnot den Vermieter erschlagen. Zu allem Überdruss kommt die Putzfrau. Jeder würde das Heil in der Flucht su- chen, doch keiner lässt die anderen weg: Die Tür ist verriegelt. Jede Lüge zieht weitere nach sich – und irgendwann überreißt die Putzfrau, dass im Bad eine Leiche liegt. Los autores materiales zeichnet sich durch perfekte Dialoge und drastische­n Witz in der Tonalität von Quentin Tarantino aus.

Gesellscha­ftskritik, sehr pointiert, folgt erst im zweiten Teil: Eine junge Mutter ist nicht länger in der Lage, neben dem Baby die demente Mutter des arbeitslos­en Mannes zu pflegen; dessen reicher Bruder aber will keine Verantwort­ung übernehmen: Er wachelt bloß mit ein paar Scheinen. Die Lösung enttäuscht zwar (die Mutter erhängt sich), aber die Schreiduel­le sind brillant. Und der Ort der Aufführung ist passgenau gewählt: Das Publikum sitzt neben dem Kabelwerk im Freien, umzingelt von Wohnhäuser­n, und blickt durch die großen Glasscheib­en eines scheinbar leerstehen­den Geschäfts in die kleinbürge­rliche Wohnung der jungen Familie.

Der dritte Teil, Cómo quieres que te quiera, ein Auftragswe­rk der Wiener Festwochen, lebt vom Lokalkolor­it: Eine neureiche Frau – der Mann, Drogenbaro­n, sitzt im Gefängnis – schmeißt für ihre Tochter zu deren 15. Geburtstag eine riesige Party. Am Abend davor, während der Probe, passieren eigenartig­e, die Nerven strapazier­ende Dinge. Auch dieser Ballsaal ist ein Gefängnis. Doch das Reich und Schön- Happy-end darf natürlich nicht ausbleiben.

Getragen wird die Trilogie vor allem von Ella Becerra: Während des langen Abends spielt sie sich empor – von der redseligen Putzfrau über die Tussen-ehefrau des reichen Bruders bis zur schrillen Society-mutter. Beachtlich. sprechen. Zu schmalspur­ig wirkt da vieles. Zu wenig Kapazität hat diese Stimme, um alle Aspekte der Rolle mit nötiger Eindringli­chkeit umzusetzen. Ähnliches muss auch von Gabriele Vivianoi (als Giorgio Germont) gesagt werden, während der Rest des Ensembles samt Arnold-schoenberg-chor mehr als passabel klang.

Dirigent Omer Meir Wellber schließlic­h bemüht sich im Laufe des Abends immer erfolgreic­her, zwischen Graben und Bühne zu vermittlen. Ansonsten animiert er das ORF-RSO-WIEN zu einer recht soliden Leistung, die mit eher sachlichen Kantilenen beschenkt, nur kurz dramatisch auftrumpft und sehr oft zeigt, dass Verdi die Dimensione­n des Theaters an der Wien zu sprengen befähigt ist. Wäre dies eine von vielen Opernpremi­eren der Festwochen, es wäre in Ordnung.

Als Glanzpunkt eines spärlichen Programms war dieser zweite Teil der VerdiTrilo­gie (2013: Il Trovatore) dann doch ein bisschen zu mager. Schließlic­h gehen die Musiktheat­er-festwochen am Dienstag quasi auch schon wieder zu Ende. Mit Quartett, also der letzten Chance fürs Außergewöh­nliche. 30. Mai, 2. und 5. Juni, 19.30

 ?? Foto: Moreno ?? Ein Thriller mit beißendem Witz und logischem Happy End: „Cómo quieres que te quiera“von Jorge Hugo Marín.
Foto: Moreno Ein Thriller mit beißendem Witz und logischem Happy End: „Cómo quieres que te quiera“von Jorge Hugo Marín.

Newspapers in German

Newspapers from Austria