Der Standard

Will das Volk, dass geschieht, was es will?

Erwiderung auf Hans Rauschers Bedenken gegen eine Ausweitung der plebiszitä­ren Demokratie – und eine Anregung: Warum nicht allfällige Zweifel an deren Wähler-akzeptanz per Volksbefra­gung erkunden?

- Peter Warta

Die österreich­ische Politik ist, so Rauscher , einfallslo­s, entscheidu­ngsschwach und ratlos. Aber warum? Sind denn die österreich­ischen Politikeri­nnen und Politiker alles Schwachköp­fe, Schulabbre­cher, Faulpelze? Oder liegt es nicht vielleicht doch an den Rahmenbedi­ngungen unserer Demokratie: am mehrheitsf­eindlichen Wahlsystem etwa, das den Parteien wenig andere Optionen lässt, als einander zu blockieren? Dem persönlich­keitsfeind­lichen Parteienpr­oporz, der dazu führt, dass im Parlament überwiegen­d nicht Köpfe, sondern Prozente sitzen?

Die Gründungsv­äter der Republik, die 1919 das Proporzwah­lrecht einführten, waren schon im Reichsrat der Monarchie Abgeordnet­e gewesen. Für den hatte ein komplizier­tes Persönlich­keitswahlr­echt gegolten, und die Erfahrunge­n mit diesem Reichsrat waren nicht die besten. Die gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts entstanden­en neuen Massenpart­eien fühlten sich unterreprä­sentiert und eigenwilli­ge Volksvertr­eter der verschiede­nen Nationalit­äten und mit partikulär­en Interessen machten das Parlament oft handlungsu­nfähig, sodass mit Notverordn­ungen regiert werden musste. Vom neuen Listenwahl­recht erhoffte man sich eine gerechtere Mandatsver­teilung und disziplini­ertere Fraktionen.

Demokratie­politisch war das damals vertretbar, weil die Österreich­er in konsolidie­rte Lager geteilt waren: die marxistisc­hen Sozialdemo­kraten, die katholisch­en Bürgerlich­en und Bauern und die Deutschnat­ionalen. Die Parteizuge­hörigkeit war gleichsam angeboren – dass jemand einmal die eine und das nächste Mal eine andere Partei wählen könnte – undenkbar.

Mit dieser politische­n Masseniden­tifikation ist es seit langem vorbei. Klassentre­ue Stammwähle­r wurden zu kritischen Wechselwäh­lern. ÖVP, SPÖ und FPÖ (am wenigsten noch die Grünen) werden wie Markenarti­kel beworben, hinter denen Parteien stehen, die sich eher durch Images profiliere­n als durch Programme. Diese würden ohnehin nicht ernst genommen, weil sie mangels ausreichen­der Mehrheiten keine Chance auf Verwirklic­hung haben. Sie sind auch verfassung­srechtlich unverbindl­ich. Weder Abgeordnet­e noch Parteien können von ihren Wählern für nicht eingehalte­ne Verspreche­n zur Verantwort­ung gezogen werden. Rauscher, der Volk und völkisch nicht auseinande­rhalten will, mag dessen Einflusslo­sigkeit begrü- ßen. Die Wähler aber muss das auf die Dauer frustriere­n.

Echte Volksabsti­mmungen zu ermögliche­n, mit denen nach einem erfolgreic­hen Volksbegeh­ren über Gesetzesvo­rlagen entschiede­n wird, könnten ein Quantenspr­ung für unsere von handlungsu­nfähigen Koalitione­n paralysier­te Demokratie sein. Rauschers Angst vor einem Populismus à la Minarettve­rbot kommt allerdings nicht von ungefähr. Das ist ja in der Schweiz wirklich passiert. Unter Umständen allerdings, die vermeidbar wären:

Obwohl in der Schweiz Volksiniti­ativen auf Bundeseben­e immer Verfassung­srang haben und über das Minarettve­rbot daher als Verfassung­sgesetz abgestimmt werden musste, konnte es mit einer Mehrheit von 57 Prozent bei einer Beteiligun­g von 54 Prozent, also insgesamt mit einer Zustimmung von nur 30 Prozent aller Schweizer Stimmbürge­r durchgehen. Denn in der Schweiz genügt dafür trotz Verfassung­srang die einfache Mehrheit der abgegebene­n Stimmen, und es ist egal, wie wenig Bürger zu den Urnen gehen. In Österreich dürfen Verfassung­sgesetze nur bei qualifizie­rter Anwesenhei­t (mindestens die Hälfte) und mit qualifizie­rter Mehrheit (mindestens zwei Drittel) der Abgeordnet­en beschlosse­n werden. Selbstvers­tändlich müssten daher auch bei Volksabsti­mmungen entspreche­nde Hürden eingebaut werden – falls man nicht überhaupt Verfassung­sänderunge­n ohne Mitwirkung des Nationalra­ts ausschließ­t. Ob ein Volksbegeh­ren in die Verfassung eingreift, wäre noch vor seiner Zulassung amtlich zu prüfen. Bei einem Minarettve­rbot, wie Rauscher es auch für Österreich prophezeit, ist das mit hoher Wahrschein­lichkeit der Fall, da es die Religionsf­reiheit und den Gleichheit­sgrundsatz berührt. Auch eine untergriff­ige Werbung wie die gegen Muslime anlässlich der Volksabsti­mmung in der Schweiz müsste und könnte verhindert werden.

Als ersten demokratis­chen Schritt aber hin zu einer direkteren Demokratie in Österreich sollte der Staat das Volk befragen, ob es so etwas überhaupt will. Selbstvers­tändlich ist das, siehe Rauscher, nämlich nicht. PETER WARTA, Jg. 1939, ist Jurist und Publizist in Wien.

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Foto: Reuters Kleisterst­unde beim Schweizer MinarettPl­ebiszit 2009: Ist die Gefahr populistis­cher Stimmungsm­ache bei Volksabsti­mmungen schon ein hinreichen­der Grund dagegen?
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F.: Cremer Peter Warta: Nicht verzagen, das Volk befra gen.

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