Der Standard

Staatliche­r Husch-pfusch-verein

Seltsamkei­ten im Alpen-donau-verfahren mit Parallelen zum Tierrechtl­er-prozess

- Michael Möseneder

IUm Wiederbetä­tigungspro­zess gegen Gottfried Küssel und zwei Mitangekla­gte rund um die neonazisti­sche Webseite Alpen-donau.info ist nun also Halbzeit. Was nicht so geplant war – schließlic­h wollte das Gericht ursprüngli­ch mit drei Verhandlun­gstagen und der Vernehmung von zwei Zeugen auskommen. Das hat sich im Laufe des Prozesses als erstaunlic­h optimistis­ch herausgest­ellt – obwohl es eigentlich absehbar war.

Gottfried Küssel hat sich in der Vergangenh­eit selbst als Nationalso­zialist bezeichnet, tritt seit Jahren auch nach seiner Entlassung bei braunen Treffen auf, gilt als durchaus gefragter Redner. Dass er Interesse an einer neonazisti­schen Homepage hätte, über die die einschlägi­gen Inhalte verbreitet werden können, drängt sich auf. Nur: Im Gegensatz zu totalitäre­n Systemen ist Österreich ein Rechtsstaa­t. Und in dem heißt glauben eben nicht wissen, falls man jemanden ins Gefängnis bringen will.

Indizien gegen Küssel gibt es durchaus. Allerdings sind die nicht immer ganz wasserdich­t. Wenn eine Spitzenbea­mtin des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g zugeben muss, dass es keinen technische­n Nachweis gibt, dass Küssel einen Text auf die Seite gestellt hat, drängt sich die Frage auf, warum er dann unter anderem deswegen angeklagt ist. nd wenn die Staatsanwa­ltschaft Wien selbst in einem Schreiben an ihre Kollegen in Hamburg festhält, dass der „Inhaber/betreiber“der Seite, von dem auch die Zahlungen abgewickel­t worden sind, ein namentlich bekannter Deutscher ist, ist völlig schleierha­ft, warum dieser vom Gericht nicht automatisc­h als Zeuge geladen worden ist.

Noch problemati­scher ist die Tatsache, dass ursprüngli­ch auch auf einen Edv-sachverstä­ndigen verzichtet worden ist. Es war klar, dass sich die Geschworen­en mit einer hochkomple­xen Computerma­terie beschäftig­en müssen. Dann aber darauf zu vertrauen, dass der ermittelnd­e Beamte als Zeuge selbst objektiv erklärt, ob er seine Arbeit gut oder schlecht erledigt hat, ist eine zumindest mutige Annahme.

Und auch der Staatsanwa­lt legt sein Objektivit­ätsgebot offensicht­lich recht weit aus, wenn er gegenüber den Geschworen­en beispielsw­eise den deutschen Verdächtig­en nicht erwähnt.

Im Gesamtbild drängen sich Parallelen zum Wiener Neustädter Prozess gegen die Tierrechtl­er auf. Auch dort hatte der Staatsanwa­lt bei der Verhandlun­g unter den Tisch fallen lassen, dass eine verdeckte Ermittleri­n nichts Belastende­s gefunden hat. Und die Verteidigu­ng bewies, dass die von der Polizei vorgelegte­n Beweise nicht hieb- und stichfest waren.

Hier wie da könnte der Verdacht aufkeimen, dass von vorgesetzt­en Stellen beschlosse­n wurde, man müsse einen Erfolg vorweisen – und die Angelegenh­eit rasch erledigen, um demonstrie­ren zu können, wie gut und schlagkräf­tig Exekutive und Justiz arbeiten. Was dann das Vertrauen in das System erhöht. Doch das funktionie­rt nur, wenn rechtsstaa­tlich alles einwandfre­i ist. Andernfall­s stellt sich die Staatsgewa­lt als Husch-pfuschVere­in dar, dem es egal ist, ob die Wahrheit gefunden wird.

Egal, wie widerwärti­g die Hintergrün­de von Taten sind, deren Aufklärung muss ein faires Verfahren sein. In der zweiten Halbzeit des Küssel-prozesses besteht die Chance dafür, egal, wie er ausgeht.

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