Kein Stein auf dem anderen
Ein Vulkan bricht aus, eine Mini-eiszeit kommt, das Geld ist nichts mehr wert: Solche Krisenszenarien kommen plötzlich. Man kann sie nicht vorhersagen, sich aber bis zu einem gewissen Grad dagegen absichern, meint ein amerikanischer Systemtheoretiker und
In nicht einmal zwei Jahren haben wir gewaltige soziale Umbrüche in Nordafrika und dem Nahen Osten erlebt, dazu die Abkehr von den militärischen Einsätzen in Afghanistan und im Irak, die Bedrohung der Eurozone sowie eine Rekordarbeitslosigkeit in der EU.
Die alten Regeln scheinen außer Kraft zu sein, doch niemand weiß, wie die neuen aussehen werden. Sie werden gerade in Echtzeit geschrieben, in einem Prozess, der viele zutiefst verunsichert, Angst macht und Widerstand erzeugt. Das geschieht gleichzeitig in allen sozialen Schichten.
Die wichtigste Frage ist derzeit, wie man mit solchen Extremereignissen, die ich X-events nennen möchte – umgeht. Diese Ereignisse sind selten, kommen plötzlich, kosten Geld oder Menschenleben und erzeugen Angst. Um sich gegen X-events abzusichern, muss man sich davon verabschieden, sie vorauskalkulieren zu wollen. Derartige „game changers“, die die Spielregeln unseres Lebens radikal verändern, werden wir niemals mit der Präzision vorhersagen können, wie wir sie aus den Naturwissenschaften gewohnt sind.
Ich gehe davon aus, dass nahezu jedes X-event sich letztlich auf eine Überlastung von Komplexität in einer oder mehreren mensch-
QQQlichen Infrastrukturen zurückführen lässt. Doch selbst wenn wir diese Ereignisse nicht genau vorhersagen können, so können wir sie doch voraussehen. Was kann man also konkret tun, um solche Schocks zu verstehen und sich auf sie vorzubereiten?
Bei einem X-event muss man wissen,
wie es sich konkret abspielen könnte,
wie es sich auf die Gesellschaft auswirkt und was wir heute schon tun können, um es nicht nur zu überleben, sondern sogar noch zu profitieren.
Das waren zentrale Fragen einer Studie, die ich mit Kollegen letztes Jahr für politische Entscheidungsträger und Unternehmer in Finnland durchführte. Einige „Highlights“der Studie zeigen, wie wir mit diesen Fragen in einer realen Situation umgehen können.
Sieben Szenarien
An der Studie nahmen insgesamt 22 Regierungsbehörden und Unternehmen teil, die bestrebt sind, sich heute schon vor einem unsicheren Morgen zu schützen. Sie erhielten eine Liste mit etwa 15 X-events, die im Lauf der nächsten zehn Jahre eintreten könnten, und wurden gebeten, daraus die fünf für sie gravierendsten Schocks auszuwählen. Die Studie konzentrierte sich auf jene sieben Schocks, die am häufigsten genannt wurden:
Die Nokia-zentrale wandert aus Finnland ab.
Zwei der drei wichtigsten forstwirtschaftlichen Unternehmen verlassen Finnland, und das dritte schließt aufgrund der Eu-emissionsstandards seine Zellstoffund Papierwerke im Land.
Unvorhersehbare Internet-zusammenbrüche häufen sich.
In China kommt es aufgrund sozialer Spannungen zu großen politischen Unruhen.
Die Europäische union zerbricht.
Jahrhunderthochwasser und -dürren haben verheerende Auswirkungen auf Europa.
Die Energiepreise fallen um 90 Prozent.
Das überraschendste Ereignis wäre das letzte: ein Verfall der Energiepreise. Dieses Mikroszenario könnte wie folgt ablaufen:
Aufgrund strenger Förderbeschränkungen der Opec steigt das Interesse an alternativen Energien. Erste Ergebnisse sind vielversprechend. Frische Investitionen beschleunigen die kommerzielle Nutzung alternativer Energieformen in verschiedenen Teilen der Erde.
In der Folge fließen enorme Summen in die neue Energieerzeugung, worauf allgemein mit dem Verfall des Strompreises um 90 Prozent gerechnet wird, was wiederum zur rasanten Entstehung von Technologien führt, die bei erhöhtem Energieverbrauch knappe Güter produzieren, darunter auch künstliche Nahrung. Doch es führt auch zum Zusammenbruch ganzer Wirtschaftszweige und zu massiven inneren
QQQQQQQWährungs- Spannungen in erdölexportierenden Ländern wie Russland, SaudiArabien und dem Iran.
Sobald ein Szenario geschaffen ist, können wir dessen Folgen für die finnische Wirtschaft einschätzen. Dafür greifen wir auf verschiedene Instrumente zurück: Zum einen beurteilen Experten die Auswirkungen des Schocks auf unterschiedliche Wirtschaftsbereiche, zum anderen wird mittels großangelegter Computersimulationen durchgespielt, wie das Ereignis weiterwirkt und in den Folgejahren unterschiedliche Bereiche der finnischen Wirtschaft beeinflusst.
Neue Infrastrukturen
In der letzten „großen Frage“auf unserer Liste geht es darum, was man heute tun kann, um Infrastrukturen zu schaffen, die solche Schocks abfedern können. Dazu wurde eine Reihe von 25 unterschiedlichen Strategien entwickelt, die diese finnischen Einrichtungen jetzt setzen könnten, um Vorsichtsmaßnahmen gegen „unbekannte Größen“zu schaffen.
Sie reichten von allgemeinen Schritten wie Investitionen zur Erhaltung des Vertrauens in Regierung und Gesellschaft bis zu konkreteren Aktionen wie dem Wechsel zu einer geldlosen Tauschwirtschaft. Mit Methoden der robusten Portfolioanalyse wurde eine Tabelle erstellt, die anzeigt, welche Kombination dieser 25 Strategien für eine Organisation am attraktivsten wäre.
Für eine Einrichtung, die sich nur einen einzelnen Schritt in ihrem Portfolio leisten kann, ist etwa die Investition in den Aufbau so- zialer Infrastruktur am attraktivsten.
Dagegen sind für eine solche Institution direkte wirtschaftliche Maßnahmen wie der Wechsel zu einer Tauschwirtschaft, das Aufgeben der Forstwirtschaft oder die Förderung von mehr Atomkraft die am wenigsten produktiven Vorgehensweisen, um künftigen Schocks begegnen zu können.
Der grundlegende Prozess, auf dem „Sieben Schocks für Finnland“basiert, hat wenig mit Finnland an sich zu tun – abgesehen von der Definition der konkreten X-events. Der Prozess hat generell wenig mit einem bestimmten Land zu tun, sondern ließe sich genauso gut auf ein Staatenkollektiv wie die EU oder die Opec, ein bestimmtes Unternehmen (Nokia), einen bestimmten Wirtschaftszweig (Sieben Schocks für das Bankwesen) oder auch auf einen besonders vermögenden Menschen (Sieben Schocks für Mr. Big) anwenden.
Projekt in Südkorea
Die Fragen sind dieselben, auch wenn die jeweiligen X-events und ihre Auswirkungen jeweils unterschiedlich beurteilt werden müssen. Aus der finnischen Studie ist zum Beispiel ein analoges, derzeit laufendes Projekt in Südkorea entstanden. Ähnliche Analysen für Japan und die Us-pharmaindustrie werden ebenfalls diskutiert.
Und was ist mit Österreich? Wie ließe sich dieser Ansatz auf „game changers“anwenden, die in den nächsten zehn Jahren eintreten und das Leben hierzulande beeinflussen könnten? Aus ein paar Gedankenexperimenten und einigen
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