Der Standard

Rita und Hektor, wiederkäue­nde Nachfahren der Königin

TBA21 bespielt nun das Ambrosi-atelier im Augarten: Auftakt mit Simon Starling und Superflex

- Anne Katrin Feßler

Wien – Die schönste Kuh fand Bildhauer Gustinus Ambrosi 1943 in Tirol, nahe Kitzbühel, und sie trug den Namen „Königin“. Das anmutige Fleckvieh kaufte der wendige Staatsküns­tler – für rasche politische Metamorpho­sen (vom Dollfuß-bewunderer zum SpeerGünst­ling und letztendli­ch zum „Nazi-opfer“) bekannt – als Modell für den Auftrag zu einer überlebens­großen Gruppe „Jungfrau mit Kuh“. Als aber das Ns-regime angesichts schwerwieg­enderer Probleme das Interesse an Ambrosis „Dekoration­skunst“verlor, war die Kuh unversorgt. Von dem Modell der Jungfrau ist nichts bekannt; den Stellenwer­t des Viehs überliefer­t sogar ein Bettelbrie­f, in dem Ambrosi 300 Reichsmark Kuhverköst­igung von Speer erbat.

Über diese Anekdote stolperte Thyssen-bornemisza Art Contempora­ry (TBA21) anlässlich des Einzugs ins einstige Atelier Ambrosis im Augarten, das man nun im Rahmen einer vorläufig vierjährig­en Kooperatio­n mit dem Belvedere bespielt. Es schien notwendig, sich mit der Geschichte der neuen Räume, mit der zwiespälti­gen Figur Ambrosis und seiner verschatte­ten Biografie zu beschäftig­en (dazu erscheint ein Essay des Historiker­s Oliver Rathkolb). Die Episode um die „Königin“griff die dänische Künstlergr­uppe Superflex auf, um Historie buchstäbli­ch wiederzukä­uen: Zwei Nachfahren der hübschen Muh, Hektor und Rita, grasen nun hinter dem Atelier. Statt Almkräuter zupfen sie jetzt Wiener Halme.

Für das Belvedere mit der Eröffnung des 21er-haus obsolet geworden, verhelfen die Räume im Augarten Francesca Habsburg nun zur Vergrößeru­ng ihrer heuer Zehn-jahr-jubiläum feiernden Kunstiniti­ative mit Kaufkraft und institutio­nellem Flair. Neben robusten Haustieren spielen im neuen Quartier auch sehr vergänglic­he Lebewesen Hauptrolle­n: Jeweils freitags zur Abenddämme­rung schlüpfen im Sommer nicht etwa Gelsen, sondern Ephemeropt­erae: Eintagsfli­egen. Ein treffender Titel, was die Flüchtigke­it des Mediums Performanc­e angeht; Exzentrike­r wie Genesis P-orridge geben Hoffnung, dass dies nicht für die Darbietung­en im bühnenarti­gen Pavillon des Londoner Architekte­n David Adjaye gilt.

Humor scheint auch das Rezept für weitere Revisionen, etwa jener zur Moderne von Simon Starling, zu sein: So wurde ein ästhetisch­es Dachfragme­nt von Architekt Jean Prouvé auf einem Flugfeld auf seine Aerodynami­k hin getestet, musste sich also in einer neuen Disziplin beweisen. Es wird zum „undiszipli­nierten“Objekt, das den Blick auf die Moderne verändert. Technoid am Testwagen montiert, aber museal im fast sakralen Dunkel der sonst hellen Schauräume platziert, wird der Status der Ikone der Moderne doppelt hinterfrag­t. Bei der Beleuchtun­g wird der raffiniert­e Ansatz der Zuwiderhan­dlung fortgesetz­t: Poul Henningsen­s Verdunkelu­ngslampen dienten einst dazu, den Tivoli-park im Zweiten Weltkrieg trotz aller Lichtverbo­te offen zu halten. Bis 29. 5.

 ?? Foto: TBA21 ?? Funktional­es Design: „Prouvé (Road Test)“.
Starlings
Foto: TBA21 Funktional­es Design: „Prouvé (Road Test)“. Starlings

Newspapers in German

Newspapers from Austria