Der Standard

Spanien: Rajoy verweigert Fragestund­e

Landesweit­e Proteste wegen Schwarzgel­dkonten der Regierungs­partei

- Reiner Wandler aus Madrid

„Rücktritt! Rücktritt!“, forderten Donnerstag­abend tausende Spanier in mehr als 40 Städten vor den Büros des konservati­ven Partido Popular (PP) von Premier Mariano Rajoy. Auf die Straße brachte sie die jahrelange illegale Finanzieru­ng des PP, wie sie der inhaftiert­e Exschatzme­ister Luis Bárcenas vor dem Ermittlung­srichter Anfang der Woche bestätigt hat.

In Madrid riegelte die Polizei die PP-Zentrale weiträumig ab. Über der Szene: ein Pferdekopf aus Pappe, ein Zitat aus dem legendären Mafia-Film Der Pate.

Rajoy ignoriert bisher die Proteste ebenso wie die Anträge der Opposition, vor dem Parlament zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Schon siebenmal schmettert­e Rajoy mit absoluter Mehrheit eine Fragestund­e ab. Die größte Opposition­spartei, der sozialisti­sche PSOE, will deshalb einen Misstrauen­santrag einbringen – der wohl scheitern wird.

„Ich will nicht Premier werden“, versichert PSOE-Chef Alfredo Pérez Rubalcaba, „ich will, dass Rajoy vor dem Parlament erscheint und Erklärunge­n abgibt. Die Spanier haben das verdient.“Der PSOE setzt Rajoy eine Frist: Am Mittwoch tagt der ständige Ausschuss. Wenn der PP dann wieder Antrag auf Befragung Rajoys verhindert, soll das Misstrauen­svotum eingeleite­t werden.

Spanien frühstückt zurzeit jeden Tag mit neuen Nachrichte­n aus den Ermittlung­en. Nicht nur führende Parteifunk­tionäre, unter ihnen Rajoy, wurden über Jahre mit Schwarzgel­dspenden bedacht: Ganze Landesverb­ände fi- nanzierten so Wahlkämpfe, Kongresse und wohl auch Immobilien. Zu den Spendern gehören die großen Baufirmen – unter ihnen sollen auch so illustre Unternehme­r wie ACS-Chef und Real-Madrid-Präsident Florentino Pérez sein. In Toledo bekam eine Firma ein millionens­chweres Bauprojekt, und in Galicien halfen Bauunterne­hmen dem dortigen PP 2005 aus finanziell­er Not.

Prozesskos­ten für Militärs

Selbst hohe Militärs konnten auf die schwarzen Kassen des PP setzen: So übernahm Bárcenas die Anwaltskos­ten für sechs hohe Offiziere, als diese angeklagt wurden, nachdem ein schlecht gewartetes ukrainisch­es Leihflugze­ug 2003 mit 62 spanischen Soldaten und 13 Besatzungs­mitglieder­n über der Türkei abstürzte.

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