Der Standard

Heller Wahnsinn in dunklen Räumen

„Guten Tag, ich bin Bankräuber“: Christine Hubka hat viele Gefangene der Strafansta­lt Josefstadt kennengele­rnt. Die Seelsorger­in berichtet von Gewalt und Trostlosig­keit im Häfn – warnt aber vor eiliger Schuldzuwe­isung.

- Gerald John

Wien – Christine Hubka spürt regelmäßig, wie die Aggression in ihrem Kopf hochsteigt. Nicht die Bewohner, obwohl allesamt keine „Waserln“, machen ihr zu schaffen, „es sind diese engen, dunklen, hohen Räume“. Nach einem Tag im grauen Haus, sagt sie, „bin ich psychisch kaputt“.

Hubka, evangelisc­he Pfarrerin in Pension, kommt trotzdem immer wieder. Zweimal die Woche besucht die 63-Jährige das Gefängnis in der Josefstadt, das sie ebenso in ihren Sog gezogen hat wie einst das Flüchtling­slager in ihrer früheren Gemeinde Traiskirch­en. Hubka feiert Gottesdien­st, um „ein Stück normales Leben“zu zelebriere­n, spricht als Seelsorger­in mit den Gefangenen – und hört Geschichte­n, wie sie nun zum öffentlich­en breitgewal­zten Skandal wurden. „Überhaupt kein Wunder“seien die Gewaltexze­sse, sagt sie: „Leben Sie einmal mit neun anderen auf 30 Quadratmet­ern: Der Erste rülpst, der Zweite furzt, der Dritte hat einen Tick – und der Vierte schlägt eben zu.“

Auch wenn Hubka Vergewalti­gungen nicht zur verfestigt­en Gefängnisk­ultur zählt, erfährt sie immer wieder, dass Einzelne oder gar eine Gruppe in der Nacht über Mitinsasse­n herfallen. Und ja, auch von prügelnden Wächtern, wiewohl eine Minderheit, berichten Gefangene. „Doch das ist nur ein Zeichen von Hilflosigk­eit“, sagt Hubka: „Man darf die Zustände nicht den Beamten umhängen, schuld ist das System.“

In seiner fortschrit­tlichen, humanen Form kennt Hubka dieses nur aus den Paragrafen des Strafvollz­uggesetzes. Den Tag sollen die Häftlinge gemeinsam in Wohngruppe­n verbringen, heißt es dort, die Nacht zum Schutz in Einzelzell­en. Doch was in Neubauten als Standard beherzigt wird, ist im alten Knast der Josefstadt aus Platzund Personalno­t Illusion.

Mitunter blieben Zellen im Erwachsene­ntrakt 23 Stunden lang versperrt, erzählt Hubka, der obligate Spaziergan­g findet in engen, betonierte­n Innenhöfen statt. Arbeitsmög­lichkeiten, wie sie sich das Gros der Insassen wünschten, seien ebenso Mangelware wie zu stark frequentie­rten Zeiten das Warmwasser zum Duschen. Ohne Chance auf Bewegung ließen sich weder Aggression noch Kalorien abbauen, sagt Hubka. Auch beobachtet sie, wie Gefangene Fett anlegen. Für viele ist der Schokolade­kauf bei der sogenannte­n „Ausspeis“am Donnerstag der Höhepunkt der Woche.

Stetige Selbstmord­gedanken

Oft sprächen Gefangene von Selbstmord, erzählt Hubka – auch das ist für sie kein Wunder. Rund drei Viertel der 1200 Insassen der Josefstadt sind Untersuchu­ngshäftlin­ge und zählen damit zu einer besonderen Risikogrup­pe: Die Selbstmord­rate liegt in der UHaft dreimal so hoch wie bei Strafgefan­genen und 15-mal höher als in der Gesamtbevö­lkerung. Es ist der Schock, plötzlich aus dem Leben gerissen zu werden, den viele nicht verkraften.

Viel zu leichtfert­ig verhängten Richter die U-Haft, meint Hubka, und dann auch noch für Zeiträume, die „heller Wahnsinn“seien. Die Seelsorger­in hat Menschen kennengele­rnt, die – obwohl kooperativ und offiziell unbescholt­en – ein Jahr oder mehr hinter Gittern auf ihre Verfahren warteten: Einmal schwänzte der Zeuge den Gerichtste­rmin, eine anderes Mal ging die Staatsanwä­ltin in Karenz, dann wieder verlangte die Anklage mehr Zeit zum Aktenstudi­um. Mitunter dauere es Monate, ehe das erste Telefonat mit der Familie bewilligt wird – sofern diese den Kontakt noch sucht.

Vielen gutwillige­n Justizwach­en, glaubt Hubka, blute das Herz, wenn sich ein Gefangener das Leben nehme, doch sie seien damit ebenso überforder­t wie im Umgang mit den psychisch angeknacks­ten Insassen: „Wie viele Rollen soll so ein Beamter spielen? Er kann nicht gleichzeit­ig Arzt, Psychologe und Wärter sein.“

Heilsame Haft

Dabei könne Haft auch einen heilsamen Schock bewirken, sagt Hubka, die ihre Erfahrunge­n in einem Buch verarbeite­t hat (siehe unten), und erzählt von jenem Herrn, der sich mit den Worten „Guten Tag, ich bin Bankräuber“vorgestell­t hatte. Dieser sei dem für dieses Delikt typischen Irrtum aufgesesse­n, nur eine anonyme Institutio­n überfallen zu haben, und habe erst in Haft erkannt, dass sein Überfall auch viele Menschen in Traumata stürzte. Für solche Einsichten brauchten Häftlinge aber jemanden, der von Anfang an individuel­l auf sie eingeht, sagt Hubka – doch diese Unterstütz­ung fehle zumeist. Die schlechten Haftbeding­ungen hingegen bewirkten das Gegenteil von Resozialis­ierung, sagt sie: „Wenn sich die Gefangenen als Opfer erleben, können sie sich nur schwer als Täter erkennen.“Christine Hubka: „Die Haftfalle. Begegnunge­n im Gefängnis“. Wien 2013, 191 S. Erscheint Ende August in der Edition Steinbauer.

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F.: Newald, Hendrich Seelsorger­in Hubka: „Der Erste rülpst, der Zweite furzt, der Dritte hat einen Tick – und der Vierte schlägt zu.“

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