„Heutig ist für mich kein Wert an sich“
Salzburgs Schauspielchef Sven-eric Bechtolf startet am Wochenende seine zweite Saison mit einem runderneuerten „Jedermann“. Andrea Schurian stellte Fragen zu Plänen und Erkenntnissen. Julya Rabinowich über die Poster Seite
Standard: Vor einem Jahr haben Sie mir gesagt, die Außenwahrnehmung sei Ihnen egal, Journalisten dürften über Sie schreiben, was sie wollten. Gilt das immer noch? Bechtolf: Man wird doch wohl noch lügen dürfen! Nein, im Ernst, die Außenwirkung muss ich bei meinen Vorhaben, sei es als Schauspieler, Regisseur oder in meiner Tätigkeit in Salzburg, vorsätzlich ignorieren. Das würde mich sonst zu unfrei machen. Aber natürlich lese ich das Zeugs anschließend, und wenn es schlecht ist, ärgere ich mich. Standard: Wie beurteilen Sie Ihre erste Festspielsaison? Bechtolf: Es sind viele Dinge gelungen und einige nicht. Wie das so ist im Leben und am Theater. Ich eigne mich weder für Eigenlob noch für stalinistische Selbstanklagen. Zensuren müssen andere verteilen. Standard: Und welche Lehren ziehen Sie für den zweiten Festspielsommer? Bechtolf: Sie haben es aber wirklich mit den Lehren, den Fehlern und Beurteilungen. Welche Lehren ich so ziehe? Wenn ich Ihnen das alles mitteilen würde! Sie werden das nach dieser Saison ohnehin und gewiss lustvoll von alleine „beurteilen“. Standard: Sie leiten 2015/16 interimsmäßig die Festspiele. Werden Sie sich für die Intendanz bewerben? Bechtolf: Nein. Ich habe Ihnen schon früher gesagt, dass ich mich nur einmal in meinem Leben um etwas beworben habe. Das ist prompt schiefgegangen. Standard: Sie beschreiten mit Julian Crouch und Brian Mertes einen neuen, mutigen Weg für den „Jedermann“. Bechtolf: Julian Crouch ist ein wunderbarer Künstler, Ausstatter und Regisseur, Brian Mertes ein Regisseur, dessen außerordentliche Befähigung in der unmittelbaren Arbeit mit den Schauspielern liegt. In meinem ersten Gespräch mit den beiden haben sie einen solchen Enthusiasmus gezeigt, ihre Ideen und ihre Auffassung so brillant vorgetragen, dass ich schnell sicher war: Die sind die Richtigen! Zudem glaube ich, dass ein von Traditionen und Erwartungen unbelasteter Blick dem Stück helfen wird. Ich gehöre allerdings auch nicht zu denen, die es gerne dekonstruieren wollen. Wir müssen das Stück erzählen und dabei seinem Wesen und seinem Anliegen gerecht werden, ohne altbacken zu sein und ohne einen schwunghaften Devotionalienhandel zu eröffnen. Das ist nicht leicht. Ich glaube aber, dass es den beiden gelingen wird. Standard: Nicolas Liautard hat voriges Jahr Händl Klaus’ „Meine Bienen“inszeniert. Heuer gastiert er mit „Schneewittchen“: Haben Sie ihn wieder eingeladen, weil Ihnen seine „Bienen“-Regie so gut gefiel? Oder kannten Sie sein „Schneewittchen“von 2010 und haben ihn deshalb für Händl Klaus engagiert? Bechtolf: Ich kannte seinen Menschenfeind und habe ihn deshalb mit Schneewittchen eingeladen. Die Idee mit den Bienen kam mir später, auch wenn sie früher zu sehen waren. Liautard ist ein großartiger Regisseur. Soll ich nur die ewig gleichen Namen präsentieren? Die Bienen waren ein Risiko – das sich gelohnt hat. Stellen Sie sich vor, ich würde keine Risiken eingehen. Mir wäre fad und Ihnen sowieso. Standard: Pereira hat den Festspielen Exklusivität verordnet. Doch im Schauspielbereich gibt es auch Festivalgastspiele wie eben „Schneewittchen“oder im Vorjahr Irina Brook. Bechtolf: Irina Brooks Peer Gynt war eine eigens für und von den Festspielen produzierte Inszenierung. Ihr Gastspiel Der Sturm habe ich eingeladen, um einen tieferen Blick auf ihre Arbeitsweise zu ermöglichen. Es wird auch mit Sans Objet ein Gastspiel geben. Ich reise viel herum, um mir Dinge anzusehen. Wenn Sachen dabei sind, die ich für besonders interessant und gelungen halte, denke ich oft: Schade, dass ich das in Salzburg nicht zeigen kann. Der größere Teil des Publikums wird diese Aufführungen nie sehen. Es ist ja ein Luxus, auch für mich, viel zu reisen, um sich Theater anzuschauen. Liautards Schneewittchen ist ein Kinderstück, das Kinder ernst nimmt, und kein „Backe backe Hexenhäuschen“– das hat mir gefallen, Sans Objet ist spektakulär. Wir zeigen beide Produktionen je dreimal, ich glaube nicht, dass der Exklusivität da ein Zacken aus der Krone fällt. Standard: Matthias Hartmann, der „Lumpazivagabundus“inszenieren wird, ist an der Burg Ihr Chef, in Salzburg sind Sie seiner. Schwierig? Bechtolf: Matthias Hartmann ist nicht mein Chef, und ich bin nicht seiner. Ich spiele schon seit Jahren im Burgtheater auf Basis von Probengeld und Abendgage. Wie ein Gast. Ich bin beurlaubtes Ensemblemitglied ohne Ansprüche und ohne Pflichten. Vor allem ohne Monatsgage. Im umgekehrten Fall bin ich der Gastgeber und Koproduktionspartner von Matthias Hartmann. Wir besuchen uns also jeweils als Gäste, und der Gast ist bekanntlich König. Das ist nicht schwierig, sondern schön. Standard: Das Young Directors Project 2012 (YDP) war durchwachsen – teilweise banal. Haben Sie heuer alle Produktionen gesehen – oder die Entscheidung delegiert? Bisher gab es eine YDPDirektorin. Bechtolf: Gegen den Begriff banal verwehre ich mich. Journalisten tendieren dazu, ihre Meinung apodiktisch zu formulieren – einfach, weil ihnen niemand widerspricht. Ich habe sowohl letztes als auch dieses Jahr alle Produktionen gesehen – außer denen, die wir erst produziert haben. Die habe ich während der Proben kennengelernt. Und selbstverständlich entscheide ich, wer am YDP teilnimmt. Trotzdem danke für Ihre Anregung. Standard: Sie sprachen im Vorjahr von einer Art Skelett für die Festspiele: mit einem Klassiker; einem zeitgenössischen Autor und spartenübergreifenden Projekten. Hofmannsthal, Schiller, Nestroy, Shakespeare: Da ist heuer kein österreichischer Zeitgenosse drunter. Bechtolf: Mann oh Mann, Sie sind aber so was von streng! Wir hatten einen Auftrag vergeben. Es hat nicht sein sollen. Ich hoffe, nächstes Jahr einen zeitgenössischen Autor präsentieren zu können. Standard: Sie inszenieren „Così fan tutte“. Was kann uns, abgesehen von der großartigen Musik, diese Oper heute erzählen – sind die Verwechslungsgeschichten nicht ein bisschen albern? Bechtolf: Ist das Ihr Ernst? Das Thema der drei Da-Ponte-Opern Don Giovanni, Così und Figaro ist eng mit ihrer Entstehungszeit verknüpft. Die Aufklärung und die rationalistische Philosophie setzten sich durch, die Französische Revolution stand vor der Tür. Statt Gott wurde das „Wesen der höchsten Vernunft“angebetet. Der Rationalismus soll die unberechenbare menschliche Natur läutern. Das ist natürlich groteske Hybris, bis heute. Diese Opern, speziell Così , sind Selbstvergewisserungen auf intimstem Gebiet. Liebe und Sexualität sind mächtige Affekte. Sind sie beherrschbar? Wie verbindlich ist unsere Vernunft? Ist Don Alfonso nicht die Art von Mensch, der man – zumindest ich – immer häufiger begegnet? Einer, der Liberalität und Einsicht in pädagogisch-didaktischen Terror umschlagen lässt? Das ist heutig! Aber „heutig“ist für mich kein Wert an sich. Distanzen, auch historische, können der Perspektive hinsichtlich eines gewissen Überblicks sehr gut tun. Standard: Voriges Jahr haben Sie eine eigene „Ariadne“-Fassung geschrieben. Schreiben Sie auch „Così “neu? Bechtolf: Da haben Sie mich jetzt auf eine Idee gebracht! Così fan tutte wird in meiner Bearbeitung So sans die Weiber! – achten Sie auf die Singbarkeit der Übersetzung! – heißen. Das Ganze spielt in Garmisch-Partenkirchen, der Alfons ist der Strippenzieher, der für reichlich Aufregung bei Ferri, Willy, Dori und Fiori sorgt. Komponieren könnte ich auch – na, lassen Sie sich überraschen. Aber nicht dass mir nachher Klagen kommen! SVEN-ERIC BECHTOLF (55), in Darmstadt geborener Schauspieler, führt seit 1994 auch Theater- und Opernregie. Seit 2012 ist er Schauspielchef der Salzburger Festspiele, die er 2015/16 interimistisch leiten wird.