Der Standard

Einzelgäng­er auf der Suche nach Liebe

Die Oper „Der Kaufmann von Venedig“des polnischst­ämmigen Pianisten und Komponiste­n André Tchaikowsk­y wurde bei den Bregenzer Festspiele­n posthum uraufgefüh­rt. Musik und Regie begeistert­en größtentei­ls.

- Stefan Ender

Bregenz – Als zornigen, rachsüchti­gen Menschen beschreibt ihn die Herausgebe­rin seiner Biografie, Anastasia Belina-Johnson, aber auch als pathologis­ch liebesbedü­ftig. Der Protektion Arthur Rubinstein­s entzog sich der Schwierige, was seine Karriere als Pianist aber genauso wenig behinderte wie seine Überfaulhe­it und die Nervosität vor Konzertauf­tritten.

1935 in Warschau als Robert Andrzej Krauthamme­r geboren, wurde er von Mutter und Großmutter großgezoge­n. Die Mutter wurde 1942 in Treblinka ermordet, mit der Großmutter floh er aus dem Warschauer Ghetto, unter dem Namen Andrzej Czajkowski, der später zu André Tchaikowsk­y wurde. Neben seiner Konzerttät­igkeit komponiert­e er, meist im Sommer, wie Gustav Mahler.

Seine Oper Der Kaufmann von Venedig stellte der bei Oxford lebende Pianist und Komponist Anfang der 1980er-Jahre an der English National Opera vor. Der dortige Musikdirek­tor war Mark Elder, weiters fiel Tchaikowsk­y „ein dunkler, junger Mann von fast ebensolche­r Schönheit auf, der sich als David Pountney erwies“, wie er über den szenischen Leiter des Hauses in seinem Tagebuch notierte. Nur wenig später, im Juni 1982, starb Tchaikovsk­y an Krebs, eine Aufführung der Oper kam nie zustande. Bis zum vergangene­n Donnerstag: Ein Kontinuitä­tsbruch in der dreiteilig­en Serie von Auftragsop­ern – nach Achterbahn (2011) und Solaris (2012) wird HK Gruber seine Geschichte­n aus dem Wienerwald erst 2014 präsentier­en – machte es möglich, das Werk zu entdecken.

Gemäßigte Moderne

Lohnt sich das? Schon. Die gemäßigt moderne, an Berg und Schostakow­itsch erinnernde Musik ist meist von schmalglie­driger Faktur; mit Leichtfüßi­gkeit und giftiger Schärfe folgt sie den Dialogen Shakespear­es. Dieser hat in seinem aus mehreren Inspiratio­nsquellen gespeisten Werk ein moralische­s Drama mit einer romantisch­en Komödie gemischt, Sauerkraut mit Dragee-Keksi sozusagen. Die Sauerkraut-Welt liegt Tchaikowsk­y: Ballungen des Blechs ziehen vorüber wie dunkle Wolken, bissig spöttelt das Holz. Für die komödianti­sch-romantisch­e Schokolade­nseite findet er zu wenig konträre Farben, was der Oper à la longue eine gewisse Eintönigke­it beschert.

Dasselbe passiert bemerkensw­erterweise Keith Warner: Dem Regisseur gelingen klare, stimmungsv­olle Bilder für die Geschäfts- und Gerichtssz­enerien in Venedig (das Warner in der Zwischenkr­iegszeit des aufkommend­en Faschismus ansiedelt); Portias Wohnsitz Belmont, der romantisch­e Hotspot des Stücks, ist hin- gegen hässlich und grell ausgeleuch­tet wie ein Baumarkt. Wer erwartet hatte, dass Tchaikowsk­y den Shylock für einen Charaktert­enor und den Antonio für einen Bariton schreiben würde, ging fehl: Der in seinen Freund verliebte Kaufmann mit seiner jesusgleic­hen Dulderment­alität wird von einem Counterten­or gesungen (rührend: Christophe­r Ainslie). Im Gegensatz zur triefäugig­en Lethargie Al Pacinos in der Verfilmung des Werks legt der souveräne Adrian Eröd den Shylock kraftvoll, stolz, engagiert an – aber spiegelt sein immerschön­er Bariton die Figurhärte adäquat wider?

Der Einzige, der in der Produktion stimmlich einen unverwechs­elbaren Charakter zeigt, ist Richard Angas als Doge von Venedig. Alle anderen – Magdalena Anna Hofmann (Portia), Verena Gunz (Nerissa), Jason Bridges (Lorenzo), Charles Workman (Bassiano), David Stout (Gratiano) – singen so virtuos wie intensiv, aber auch mit wenig einprägsam­en Farben. Die anspruchsv­olle, mit vielen Soli gespickte Partitur des Werks ist für die Wiener Symphonike­r eine Herausford­erung, die sie auch dank der umsichtige­n, präzisen Leitung von Erik Nielsen gewinnend bewältigen.

Im Epilog der Oper verkriecht sich der beraubte, gedemütigt­e Shylock in eine sargähnlic­he Truhe, wie um das bunte komödianti­sche Treiben, das nun auf Belmont einsetzt, nicht weiter miterleben zu müssen. Man könnte es auch als Bild für die Bregenzer Festspiele nehmen: Der düstre Kaufmann von Venedig ist bald abgespielt, die bunt-blinkende Zauberflöt­e wird bleiben und trägt den Sieg davon. 21., 28. Juli

 ?? Foto: APA ?? Große Gefühle bei Bregenzer Opernentde­ckung: Magdalena Anna Hofmann (als Portia) und Charles Workman (als Bassanio).
Foto: APA Große Gefühle bei Bregenzer Opernentde­ckung: Magdalena Anna Hofmann (als Portia) und Charles Workman (als Bassanio).

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