Der Jeder-„mandi“lernt fürs Leben
Uraufführung von Franzobels „Yedermann“im Wiener Lustspielhaus
Wien – Vom Sterben des reichen Mannes, das in Hugo von Hofmannsthals 1911 uraufgeführtem Jedermann die Ungläubigen und Wohlstandsverwöhnten das Sehen lehrt, kann auch in Komödienform erzählt werden. Zum Zehn-Jahr-Jubiläum des Lustspielhauses in der Wiener Innenstadt schrieb Franzobel ein an Nestroys Sprachschatz orientiertes Volksstück mit dem Titel Yedermann. Der Tod, der ihm auf den Fersen ist, trägt darin den schönen Namen Abkratius.
Von unzuverlässigen Vertrauten wird auch dieser Yedermann („Mandi“) geläutert, darüber hinaus aber nimmt Franzobel größtmöglich Abstand zur weihevollen Personnage des Mysterienspiels. Religion? Kein Thema. Glaube, Nächstenliebe, Moral? Nein. Das Lustspiel macht mit dem Umstand, dass ein 22-jähriger Hetzendorfabsolvent und nunmehriger Modezar namens Yedermann von seinen Freunden gutgläubig ausgenützt wird, die Schotten auch schon wieder dicht. Mit der säkularisierten Zerrissenheit eines modernen Menschengeschöpfs hat dieser Wiener Yedermann (galant und formbewusst: Ben Marecek) nicht zu kämpfen. Vielmehr wird die Hauptfigur hier zum Kollaborateur des Todes (Adi Hirschal, der auch Regie führt), der mit seinem Knochenhemd den Schmarotzerfreunden ein wenig Angst einjagen möchte. Die Geschichte bleibt also recht dünn.
Kratzbürstiges It-Girl
Durch zwei Schwingtüren spült es die Couture-Entourage im großen Theaterzelt nahe der Freyung (Am Hof) immer wieder nach vor auf die Bühne, wo sich eine hyperkitschige Heimstätte zuckerlpapierbunt ausbreitet. Hier wird Tacheles geredet. Yedermann: „Meine Mutter redet oldtimer, sie ist ein bissl pigment.“
Ein noch größeres Prachtwerk an Grammatik und Modulation setzt die Buhlschaft mit der kalten Schnauze (Sophie Aujesky) um: „Schwiegermutter! Halt den Schlapfen, der was an deinem Kiefer hängt.“Als kratzbürstiges Prolo-It-Girl beweist Aujesky ganz locker Claudia-Kottal-Qualitäten. Ihre Korkenzieherlocken-Buhlschaft wird dank dieser Sprachgewalt – entgegen ihrer literarischen Vorgängerin – zu einer der lebhaftesten Figuren des Abends.
Auch die Dienerschaft (Bernie Feit, Alexander Braunshör) will am Reichtum des Modeschöpfers mitnaschen und bedient sich in dessen Kunstsammlung: „Kandinsky nehmen wir mit, Kandiszucker bleibt da; Hunderwasser nehmen wir mit, Mineralwasser bleibt da.“Mutter Yedermann trägt den Namen Alphonsine Stopfschwammerl (Gabriela Benesch) und Nikolaus Firmkranz gibt den Hausfreund Kipferl.
Den Witz, den die nestroyhaftlautmalerische Namensgebungen versprechen, kann das Stück aber nicht halten; die Schmähs sind weitgehend platt, und die nach Evergreens wie I Got You Babe gedichteten Couplets lassen alles noch patinierter wirken. Bis 30. 8.