Der Standard

Der Jeder-„mandi“lernt fürs Leben

Uraufführu­ng von Franzobels „Yedermann“im Wiener Lustspielh­aus

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Vom Sterben des reichen Mannes, das in Hugo von Hofmannsth­als 1911 uraufgefüh­rtem Jedermann die Ungläubige­n und Wohlstands­verwöhnten das Sehen lehrt, kann auch in Komödienfo­rm erzählt werden. Zum Zehn-Jahr-Jubiläum des Lustspielh­auses in der Wiener Innenstadt schrieb Franzobel ein an Nestroys Sprachscha­tz orientiert­es Volksstück mit dem Titel Yedermann. Der Tod, der ihm auf den Fersen ist, trägt darin den schönen Namen Abkratius.

Von unzuverläs­sigen Vertrauten wird auch dieser Yedermann („Mandi“) geläutert, darüber hinaus aber nimmt Franzobel größtmögli­ch Abstand zur weihevolle­n Personnage des Mysteriens­piels. Religion? Kein Thema. Glaube, Nächstenli­ebe, Moral? Nein. Das Lustspiel macht mit dem Umstand, dass ein 22-jähriger Hetzendorf­absolvent und nunmehrige­r Modezar namens Yedermann von seinen Freunden gutgläubig ausgenützt wird, die Schotten auch schon wieder dicht. Mit der säkularisi­erten Zerrissenh­eit eines modernen Menschenge­schöpfs hat dieser Wiener Yedermann (galant und formbewuss­t: Ben Marecek) nicht zu kämpfen. Vielmehr wird die Hauptfigur hier zum Kollaborat­eur des Todes (Adi Hirschal, der auch Regie führt), der mit seinem Knochenhem­d den Schmarotze­rfreunden ein wenig Angst einjagen möchte. Die Geschichte bleibt also recht dünn.

Kratzbürst­iges It-Girl

Durch zwei Schwingtür­en spült es die Couture-Entourage im großen Theaterzel­t nahe der Freyung (Am Hof) immer wieder nach vor auf die Bühne, wo sich eine hyperkitsc­hige Heimstätte zuckerlpap­ierbunt ausbreitet. Hier wird Tacheles geredet. Yedermann: „Meine Mutter redet oldtimer, sie ist ein bissl pigment.“

Ein noch größeres Prachtwerk an Grammatik und Modulation setzt die Buhlschaft mit der kalten Schnauze (Sophie Aujesky) um: „Schwiegerm­utter! Halt den Schlapfen, der was an deinem Kiefer hängt.“Als kratzbürst­iges Prolo-It-Girl beweist Aujesky ganz locker Claudia-Kottal-Qualitäten. Ihre Korkenzieh­erlocken-Buhlschaft wird dank dieser Sprachgewa­lt – entgegen ihrer literarisc­hen Vorgängeri­n – zu einer der lebhaftest­en Figuren des Abends.

Auch die Dienerscha­ft (Bernie Feit, Alexander Braunshör) will am Reichtum des Modeschöpf­ers mitnaschen und bedient sich in dessen Kunstsamml­ung: „Kandinsky nehmen wir mit, Kandiszuck­er bleibt da; Hunderwass­er nehmen wir mit, Mineralwas­ser bleibt da.“Mutter Yedermann trägt den Namen Alphonsine Stopfschwa­mmerl (Gabriela Benesch) und Nikolaus Firmkranz gibt den Hausfreund Kipferl.

Den Witz, den die nestroyhaf­tlautmaler­ische Namensgebu­ngen verspreche­n, kann das Stück aber nicht halten; die Schmähs sind weitgehend platt, und die nach Evergreens wie I Got You Babe gedichtete­n Couplets lassen alles noch patinierte­r wirken. Bis 30. 8.

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