Desintegrationsbambi für Herrn Ferchichi
Bushido und ich teilen uns das gleiche Schicksal: einen arabischen Migrationshintergrund. Bushido kommt bis heute nicht damit klar. Und schuld daran ist nicht die Gesellschaft.
Integrationsgeschichten, seien wir ehrlich, hängen uns inzwischen zum Hals heraus. Die erfolgreichen ebenso wie die gescheiterten. Sie wirken abgegriffen, inflationär, zum Teil auch überflüssig. Außerdem dokumentieren sie lediglich Einzelschicksale und werden doch immer dazu missbraucht, einen Trend zu untermauern oder zu widerlegen.
Ich habe mich immer zurückgehalten und meinen Migrationshintergrund dort gelassen, wo er hingehört: in den Hintergrund. Aber nun ist mir endgültig der Geduldsfaden gerissen. Auslöser ist das aktuelle Musikvideo von Shindy, in dem der Rapper Bushido darüber fantasiert, deutsche Politiker wie Claudia Roth und Serkan Tören abzuschlachten. Er beleidigt den Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit ob seiner Homosexualität, zieht vom Leder gegen Oliver Pocher, nur weil der blond und damit ein Opfer ist. In Bushidos verkürztes Weltbild passt so einer natürlich nicht rein.
„Hervorragendes Beispiel“
Das alles ist nur Auslöser, nicht aber der Grund meiner Kritik. Im Jahr 2011 bekam Bushido den Bambi für Integration. In der Begründung der Jury des Burda-Verlags hieß es, Bushido sei ein „hervorragendes Beispiel für gelungene Integration“. Genau das ist der Knackpunkt. Bushido ist in seiner Selbst-, aber auch in der Fremdwahrnehmung vieler entweder ein Beispiel „gelungener“oder gescheiterter Integration. In Wahrheit ist er weder noch.
Bushido wurde in Deutschland geboren, er hat eine deutsche Mutter, seine Muttersprache ist Deutsch. Dennoch wird allen Ernstes so getan, als wäre Bushido ein Einwanderer, der sich müh- sam in eine fremde Gesellschaft integrieren musste.
Eigentlich sollte ich es doppelt so schwer haben wie Bushido. Hat er doch nur einen Migrationshintergrund, ich gleich zwei. Mein Vater ist Ägypter, meine Mutter Österreicherin. Ich bin in Wien geboren. Als Halbägypter in Österreich und als Österreicher in Deutschland müsste ich mich laut Bushido ständig beschweren, wie schwer es mir Staat, Gesellschaft, Kultur machen, mich anständig zu integrieren.
Ich komme aus einfachen Verhältnissen. Bushido auch. In meiner Familie hat niemand studiert. Bei Bushido auch nicht. Vielleicht sieht man ihm seinen Migrationshintergrund mehr an als mir den meinen. Er hat die tiefbraunen Augen seines Vaters geerbt, ich die blaugrauen meiner Mutter. Bushido heißt mit bürgerlichem Namen Anis Mohamed Youssef Ferchichi. Bis zu meinem siebten Lebensjahr hieß ich Oliver Mohamed. Meine Eltern ließen sich scheiden, seither heiße ich wie meine Mutter.
Bushido und ich – er ein Mohamed, ich ein Mohamed. Brüder im Namen, aber nicht im Geiste. Er wuchs zeitweise bei einer alleinerziehenden Mutter auf, ich auch. Er sagt, er habe von seinem Stiefvater „auf die Fresse bekommen“. Davon blieb ich verschont. Er wurde muslimisch erzogen. Ich nicht, habe aber dennoch meine frühe Kindheit mit meiner Tante Soraya verbracht, die kein Deutsch konnte, ich kein Arabisch, wir waren trotzdem ein Herz und eine Seele.
Nun weiß ich, was es heißt, mit Migrationshintergrund aufzuwachsen. Ich habe den Preis dafür bezahlt und weiß ebenso, was es heißt, ausländerfeindlich beschimpft zu werden. Ich war für Pensionistennachbarn der „Straßenbub mit dem Mohammedaner-Vater“, das „Kameltreiberkind“. Ich habe das schon damals eher lustig gefunden.
Integration ist eine Frage des Wollens, nicht des Könnens. Sie hat nur wenig mit Sprache, Namen und Sitten zu tun. Ich habe mich nie als Ausländer gefühlt. Selbst dann nicht, als ich als Ausländer beschimpft wurde. Ich sah das Problem nicht bei mir. Wenn einer irre war, dann nicht ich, sondern die anderen. Ich habe mich nie ausgestoßen gefühlt. Warum auch? Es bedarf schon einiger psychologischer Verdrehungen, um sich an seinem Geburtsort nicht integriert zu fühlen.
Integration ist keine Hol-, sondern eine Bringschuld. Nein, mehr als das, es ist eine Selbstverständlichkeit. Wenn sich Menschen, die in neue Kulturen kommen, anfangs schwertun mit ihrem neuen Umfeld, so ist das nur allzu menschlich. Wenn sich einer wie Anis Mohamed Youssef Ferchichi aber in seinem eigenen Geburtsland nicht integrieren kann, liegt das nicht am Land oder an einer kalten, herzlosen Gesellschaft, sondern lediglich an einem selbst und Oliver Jeges: Bushido ist ein Kostüm
migrant. den Menschen, nächsten sind.
Bushidos Biografie mag man bewerten, wie man will – aber mit Integration hat sie nichts zu tun. Eher mit einem prügelnden Stiefvater. Vielleicht durfte Bushido als Kind einfach nicht lange genug mit der Eisenbahn spielen. Bushido ist ein Kostümmigrant, der die Zuwanderungsgeschichte seines Vaters ausschlachtet, um damit sein Image auszustatten. Das Image eines Gangsterbruders, der vorgibt, irgendwie gefährlich-arabisch zu sein.
Dennoch ist Bushido Träger eines Integrationsbambis. Bei der Entgegennahme des Preises sagte er über den Bambi: „Ob ich ihn verdient habe … man weiß es nicht genau.“Bushidos Texte triefen nur so von Rassismus, Antisemitismus, Deutschenfeindlichkeit, Frauenverachtung und Homophobie. Er verherrlicht Gewalt, Kriminalität und nun auch Mord.
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Es ist nicht nur Kunst
Ja, die Kunst ist frei. Aber es ist eben nicht nur Kunst, was Bushido treibt. Er verbreitet eine Weltanschauung. Reiht man seine Songtexte aneinander, ergibt das ein Manifest der Verachtung. Er selektiert nicht zwischen Gut und Böse, sondern zwischen Stark und Schwach. Er ist einer der Starken. Die Schwachen müssen dran glauben. Bushido fühlt sich selbst als der Pate oder wie Tony Montana aus Scarface. Das sagt er selbst. Seine Verbindungen zum kriminellen Abou-Chaker-Clan haben unlängst gezeigt, dass Bushido nicht nur redet, sondern handelt.
Vielleicht wird demnächst Günter Grass für seine Anstrengungen um die deutsch-jüdische Freundschaft ausgezeichnet. Und vielleicht bekommt Pierre Vogel gar einen Preis für seinen Kampf gegen islamischen Terrorismus.
Geht es jedoch mit rechten Dingen zu, dann werden uns Preisverleihungen dieser Art in Zukunft erspart bleiben. Der Burda-Verlag sollte sich eingestehen, dass die Vergabe des Bambi an Bushido eine Fehlentscheidung war und ihm den Preis aberkennen. Er hat ihn nicht verdient. Bushido weiß das selbst am besten. OLIVER JEGES (30) ist Journalist und Autor und lebt in Berlin. Er schreibt unter anderem für die Achse des Guten.
Pfeifer ist nicht Pfeifer
Wenn es um das Spionageprogramm Prism geht, dann gibt es diesseits und jenseits des Atlantiks seit sechs Wochen durchaus verschiedene Auffassungen, was den Sachverhalt betrifft. Und auch darüber, was den Nutzen im Wesen und Wirken eines Whistleblowers an sich angeht: Letzteres rief Adrian Chen (im US-Blog gawker.com) in Erinnerung:
„Politisches Asyl ist eine seltsame Idee: Ein Staat sagt dem anderen, dass sein Krimineller in Wirklichkeit ein Held ist, er sich also schleichen soll. Edward Snowden sucht in Russland Asyl. Und die USA würden niemals jemanden schützen, der Geheiminformationen eines anderen Landes geleakt hat, richtig?
Ha ha, natürlich würden wir das. Nehmen Sie den Fall des Schweizers Michel Christopher Meili. 1997 gab der damals 29-jährige Wächter bei der UBS-Bank Dokumente weiter, die Kontoinformationen über von den Nazis gestohlene Wertgegenstände enthielten. Die Dokumente sollten vernichtet werden, doch Meili gab sie an eine jüdische Organisation weiter. Die Entdeckung führte letztlich zu einem Vergleich zwischen UBS und Opfern im Umfang von 1,25 Milliarden Dollar.
Ein „Rückwärts-Snowden“
Die Schweizer Regierung war nicht erfreut darüber und begann Ermittlungen gegen Meili. Er floh in die USA (eine Übung, die als der „Rückwärts-Snowden“bekannt ist), wurde als Held empfangen, und der Kongress erließ sogar ein Gesetz, das Meili und seiner Familie permanenten Aufenthalt in den USA garantierte.
Damals sagte Senator Chuck Grassley, einer der Proponenten des Gesetzes: „Ein Whistleblower ist jemand, der die Wahrheit finden und Unrecht korrigieren will. Wir halten unsere Regierung ehrlich, wenn wir Menschen in unserer Regierung haben, die hervortreten und sagen, was falsch läuft.“Heute denkt er das: „Snowden muss verfolgt werden. Hat er das Gesetz gebrochen? Ich glaube, das ist offensichtlich.“(red)