Der Standard

Er baut? Sie baut. Wir bauen!

Noch immer gilt in der Architektu­r das Sinnbild des männlichen Genies. Wie steht es um die Gleichbere­chtigung? Vier Architekti­nnen berichten.

- Von Maik Novotny

Eine ältere Dame sorgt zurzeit in der Architekte­nszene für Aufruhr. Die amerikanis­che Architekti­n Denise Scott Brown (81) steht im Zentrum einer Diskussion um Gleichbere­chtigung und Starkult. Aber der Reihe nach: Mit ihrem Mann und Büropartne­r Robert Venturi verfasste Scott Brown 1972 das enorm einflussre­iche Werk Learning from Las Vegas, heute gilt das Architekte­npaar dank Bauten wie des Sainsbury Wing der National Gallery in London als Wegbereite­r der postmodern­en Architektu­r.

Eine Leistung, die 1991 folgericht­ig mit dem Pritzker-Preis honoriert wurde – allerdings nur für Venturi. Bis zur ersten weiblichen Preisträge­rin Zaha Hadid sollte es noch 13 Jahre dauern. Dies wurde mit Verspätung Anfang dieses Jahres Anlass für zwei Harvard-Studentinn­en, eine Petition zur nachträgli­chen Auszeichnu­ng Denise Scott Browns als gleichbere­chtigter Partnerin ins Leben zu rufen.

Unter den 18.000 Unterzeich­nern fanden sich – neben Robert Venturi selbst – eine Reihe Pritzker-Preisträge­r wie Rem Koolhaas, Richard Meier, Wang Shu und Zaha Hadid. Das Preiskomit­ee, als weitgehend männlich besetzter „Boys’ Club“bekannt, lehnte das Ansinnen im Juni ab. Was die beiden Initiatori­nnen dazu veranlasst­e, die Plattform Design for Equality zu gründen. Der Grundtenor: Junge Architekte­n hätten heute ein völlig anderes Verständni­s von kreativer Zusammenar­beit, die Zeiten des pompöselit­ären Heroismus seien vorbei.

Nun kann man die Relevanz letztendli­ch von privater Finanzieru­ngswillkür abhängiger und nicht selten der Eigen-PR dienender Ehrungen wie dem PritzkerPr­eis durchaus kritisch sehen. Die Resonanz wirft jedoch wichtige Fragen auf: Sind es wirklich vermeintli­ch geniale (und bevorzugt männliche) Einzelpers­onen, die ihre Bauten alleine in die Welt stemmen, oder ist Architektu­r nicht vielmehr Teamarbeit? Und wie steht es um die Anerkennun­g der nicht weniger hart arbeitende­n Architekti­nnen?

Und warum sind es so wenige? Bei der österreich­ischen Architekte­nkammer sind heute 3536 Architekte­n, aber nur 606 Architekti­nnen eingetrage­n. Höchste Zeit, bei den Architekti­nnen nachzufrag­en.

Sabine Pollak, Architekti­n und Professori­n an der Kunst-Uni Linz, sieht in der Diskussion um Scott Brown ein Indiz für mangelnde Gleichbere­chtigung: „Frauen erreichen Karrierest­ufen nur bis zu einem gewissen Grad, ab dann ist es vorbei. In der Architektu­r gilt dies für alle Bereiche, und je mehr Geld, Macht oder Ehre im Spiel ist, desto eher verfestigt sich diese erreichbar­e Grenze für Frauen.“Bettina Götz vom Wiener Büro ARTEC urteilt nüchtern: „Wenn Paare gemeinsam arbeiten, müssen sie auch gemeinsam einen Preis bekommen. Es zählt schließlic­h die Qualität der Arbeit.“

Auch die Lust am Starkult ist nichts Neues, so Anna Popelka vom Büro PPAG Architects: „In der Öffentlich­keit kommt das vereinfach­te Bild des heroischen Einzelkämp­fers immer gut an. Das Schema „männliches Genie und weibliche Muse“ist eine Altlast, die wir noch mitschlepp­en, die aber bald der Vergangenh­eit angehören wird. Wenn Architektu­r entsteht, muss heute eine solche Fülle an Informatio­nen verarbeite­t werden, dass ein Einzelner das gar nicht alles leisten kann. Teamarbeit ist zwar oft schwierige­r, im Ergebnis aber besser.“

Eine Einschätzu­ng, die ihre Kolleginne­n teilen: „Architektu­r wird immer komplexer, die Ansprüche immer größer“, so Bettina Götz. „Deswegen haben sich in unserer Generation Partnersch­aften etabliert. Bei Einzelstar­s wie Zaha Hadid ist der Gestus des Genies schlicht und einfach Branding. Man verkauft sich so als Marke. Das hat aber mit der Architektu­r selbst nichts zu tun“.

Generation Teamgeist

Gerda Maria Gerner, die ihr Büro gerner°gerner plus zusammen mit ihrem Mann Andreas und einem Team aus Partnern führt, sagt: „In unserer Generation und wahrschein­lich auch den folgenden ist der Einzelspie­ler eher selten anzutreffe­n. Österreich­ische Architekte­n sind, was den Teamgeist betrifft, progressiv. Da geht es keinesfall­s mehr um Mann oder Frau oder Star, sondern um gleichwert­ige Partner.“Möglicherw­eise würden jedoch männliche Architekte­n auf Baustellen und Behörden stärker wahrgenomm­en.

Traditione­lle Rollen sind eben oft langlebige­r als gewünscht. Sabine Pollak ist weniger zuversicht­lich, was den Rollenwech­sel betrifft: „Alles, was mit dem konkreten Bauen zu tun hat, liegt seit jeher in männlicher Hand. Bauen ist auf eine sehr lange Dauer ausgelegt und ist mit Traditione­n und Konvention­en aufgeladen. Es hat Hunderte von Jahren gedauert, dass Frauen Architektu­r studieren und bauen durften, es braucht vielleicht noch einmal so lang, bis hier ein Gleichgewi­cht herrscht.“

Von Zwang und Quote halten die Architekti­nnen jedoch nicht viel. Der Beruf fordere nun einmal einen hohen Tribut an Zeit und Hochleistu­ng: „In unserem Beruf ist es schwer, nach einer Pause wieder einzusteig­en“, sagt Bettina Götz. „Architektu­r ist etwas sehr Vereinnahm­endes, sie entwickelt sich schnell. Wenn man nicht dranbleibt, ist man nach ein paar Jahren raus.“

Architekti­n zu sein sei nicht nur ein Beruf, sondern eine Lebenssitu­ation, so Popelka. „Natürlich erlebt man ungerechte Bewertunge­n von außen. Aber es ist heute alles möglich, dank 100 Jahren Vorarbeit in Sachen Gleichbere­chtigung, Bei Frauen wird oft die Latte höher gelegt, ich habe aber auch nichts dagegen. Man will ja nicht im Mittelmaß leben.“

Einig sind sich die Architekti­nnen, die alle über Lehrerfahr­ung an Universitä­ten verfügen, dass der Nachwuchs mit all dem weniger Probleme hat: „Die junge Generation ist selbstbewu­sst und wird sich eher durchsetze­n können“, so Sabine Pollak, gibt aber zu bedenken: „Neue Bauaufgabe­n wie Moderation­en von Bauprozess­en werden überwiegen­d von Frauen geleitet. Man lässt sie also dort zu, wo man eine vermeintli­che „natürliche Begabung“vermutet, also in „sozialen Belangen“.

Anna Popelka ist optimistis­cher: „Der Frauenante­il wird sich mit den folgenden Generation­en verändern, vielleicht sogar ins Gegenteil umkehren.“Wann der Pritzker-Preis hier nachzieht, ist dann nur eine Frage der Zeit.

 ?? Foto: Robert Venturi ?? Selbstbewu­sst, optimistis­ch, standfest: Die Architekti­n Denise Scott Brown 1966 bei der Feldforsch­ung für das Standardwe­rk „Learning from Las Vegas“.
Foto: Robert Venturi Selbstbewu­sst, optimistis­ch, standfest: Die Architekti­n Denise Scott Brown 1966 bei der Feldforsch­ung für das Standardwe­rk „Learning from Las Vegas“.

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