Verwahrt und doch verloren
1942 lagerte das Mak kriegsbedingt 60 Objekte in Schloss Sonnberg aus, nur 30 kehrten 1946 auch zurück. Der Rest? Zerstört – oder auch gestohlen und verhökert.
Zu den Vorzügen der seit der Antike beliebten Gattung des Faltstuhls gehörte sein einfacher Transport, im Kriegslager ebenso wie auf Reisen oder für das künstlerische und wissenschaftliche Arbeiten in der Natur. Besondere Verbreitung fand dieser Typus im Mittelalter als liturgisches Möbelstück und avancierte – neben Mitra, Ring, Brustkreuz (Pektorale) und Hirtenstab (Pedum) – zu den Würdezeichen von Bischöfen und Äbten. 1935 erwarb das Museum für angewandte Kunst (Mak) ein Anfang des 13. Jahrhunderts aus Birnholz geschnitztes und bunt bemaltes Exemplar aus dem Bestand des Benediktinerklosters Admont. Sieben Jahre später wurde es wie andere Exponate des Museums auch während des Zweiten Weltkrieges aus Sicherheitsgründen ausgelagert.
Der Admonter Faltstuhl überstand die Bombardements in einem Barockschloss nordöstlich von Stockerau. 1946 wurde das „Faldistorium vom Bergungsleiter im Park des Schlosses Schönborn im Freien angetroffen und dem Benützer entrissen“, lautet der Vermerk im damaligen Protokoll.
Der historische Würdesitz kehrte wohlbehalten ins Museum zurück, ein Schicksal, das nicht allen Exponaten beschieden war. Etwa 300 dem Sammlungsbereich Möbel und Holzarbeiten zugehörige gingen verloren: Teilweise wurden sie zerstört, von Einheiten der SS oder der russischen Armee geplündert – oder überdauerten die Jahrzehnte unerkannt in Privatbesitz. Zu letzterer Kategorie gehörte ein frühbarocker Armlehnstuhl, den das Mak 1925 aus der Sammlung des Stifts St. Florian angekauft hatte und der seit 1946 als „Kriegsverlust“geführt wurde.
Die Möblage der Kaiserin
„An Bergungsstelle Sonnberg verloren gegangen“, lautete der zugehörige Eintrag. Mitnichten, wie Standard- Recherchen belegten (siehe 13. 7. „Erhebliche Mängel einer Expertisierung“): Im Oktober vergangenen Jahres wechselte der barocke Fauteuil unerkannt über das Dorotheum in den Besitz eines deutschen Kunsthändlers. Für den Kaufpreis von 4000 Euro. Hinzu kamen 5000 Euro an Restaurierungskosten, wie dieser im Gespräch beziffert.
Irgendwann ab der Mitte der 1950er dürfte sich ein „Hobbyhandwerker“ausgetobt haben, vermutet er. Darauf ließe das verwendete „Bastlermaterial“schließen, auch die Art der Tapezierung (inklusive unterfütterten Schaumstoffs) oder der über die Zarge genagelte prachtvolle Grosund Petit-Point-Bezug. Letzterer sei zwischenzeitlich in 120 Stunden Feinarbeit restauriert worden. Das im Mak-Inventar erwähnte „durchbrochene, vergoldete Barockornament“, das noch vor der Bergung den oberen Rand der Rückenlehne zierte, ging hingegen verloren. In Sonnberg?
Causa Sonnberg
Im Jahr 1934 hatte Erzherzog Anton Habsburg-Lothringen das aus der Spätrenaissance stammende Wasserschloss im westlichen Weinviertel angekauft, modernisiert und mit seiner Familie bezogen. Seine Ehefrau Ileana (Prinzessin von Rumänien), mütterlicherseits Urenkelin der britischen Königin Victoria und des russischen Zaren Alexander II., erinnerte sich in ihrer Autobiografie ( I Live Again, Rinehart & Company, New York 1952) an diese idyllische Zeit: an Weihnachtsfeiertage im Kreis ihrer Familie und besonders an ihre Mutter, der damaligen Königin von Rumänien, die auf dem zugefrorenen Wassergraben Schlittschuh lief.
Für deren Besuche hatte man fünf Zimmer reserviert, die man jedoch nach ihrem Tod im Sommer 1938 kaum noch nutzte. Im August 1942 bezog dort anderes Quartier: konkret 60 Exponate aus dem Bestand des Mak, darunter „ein Stuhl, ein Schreibtisch und die Wiege Maria Theresias“, wie Ileana festhielt, die von den späteren politischen Entwicklungen ebenso wenig verschont blieb wie von kriegsbedingten Verlusten, sowohl materieller als auch emotionaler Art. Von einem Ferienaufenthalt in Rumänien im Sommer 1944 kehrte die Familie nie mehr nach Sonnberg zurück und emigrierte schließlich von Rumänien über die Schweiz und Argentinien in die USA. 1954 ließ sich Ileana von Anton scheiden und wurde später Nonne. Zu den aus Sonnberg geretteten Erinnerungsstücken gehörte eine Sammlung von Jaden, die ihre Bediensteten in einem Kamin versteckt hatten.
Der Rest, mitsamt den Möbeln der Kaiserin? Der sei nach der Beschlagnahme des Schlosses durch die Russen zertrümmert, verbrannt oder wie alles andere zerstört worden. Ganz so war es nicht, schränkt Mak-Provenienzforscher Leonhard Weidinger ein, der sich aus aktuellem Anlass mit den Bergungsakten befasste.
Zum besseren Verständnis: Zum Jahreswechsel 1944/45 war quasi der gesamte Bestand der Museen in Kellern in Wien, in Schlössern und Klöstern im Umland sowie im Salzbergwerk von Lauffen umgelagert worden. „Obwohl viele der Bergungsstellen im April und Mai 1945 im Kampfbereich lagen“und in der Folge von der Roten Armee besetzt wurden, hätten sich die Verluste an Objekten in Grenzen gehalten.
Für alle Museen waren Listen angelegt worden, um die Verbringung der Gegenstände zu dokumentieren. Eine Erfassung, die mit einer Generalinventur vergleichbar war. „Erst 1949 war der Rücktransport aller Kunstwerke in die durch Bomben- und Artillerietreffer beschädigten Wiener Museen abgeschlossen“, schildert der Provenienzforscher. Die Bergungslisten und zugehöriges Aktenmaterial haben sich nahezu vollständig erhalten, wurden aber bisher nicht lückenlos bearbeitet.
Nicht alles ist Verlust
Im Mak begann man vor etwa drei Monaten mit der Digitalisierung. Bereits 2008/2009 hatte man beim Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung ein entsprechendes Forschungsprojekt („forMuse“) eingereicht, das die erste, nicht aber die zweite Begutachtungsrunde überstand. Kurz, es wurde nicht genehmigt.
Dabei ist die Aufarbeitung von erheblicher Relevanz, um die Geschichte von Exponaten, die in den Inventaren als um 1945 „verloren“geführt werden, zu rekonst- ruieren. Schon weil diese Bezeichnung missverständlich ist, wie der im November vergangenen Jahres publizierte Rohbericht des Rechnungshofs verdeutlichte, in dem von 6600 verschwundenen Kunstwerken die Rede war.
Wenn ein Objekt in einer der 25 digitalen Datenbanken oder den händisch geführten Inventarbüchern „als kriegsbedingter Verlust geführt wird“, betont Leonhard Weidinger, „muss dies nicht unbedingt bedeuten, dass es auch tatsächlich zerstört wurde“. Es kann beispielsweise „an einer Bergungsstelle verwechselt und in ein anderes Museum zurücktransportiert worden sein“, oder eben auch zu Beginn der Besatzungszeit von Soldaten verhökert oder von der Bevölkerung entwendet? Man weiß es nicht.
Hoffen auf Donation
Die Zusammenarbeit zwischen Museumskuratoren und dem Kunsthandel, über den solche womöglich über Jahre in Privatsammlungen verwahrten Kulturgüter auf den Markt kommen, wird deshalb auch in Zukunft eine erhebliche Rolle spielen, wie die aktuelle Causa Sonnberg belegt.
Im Falle dieses Standorts war die Rückführung im Herbst 1946 abgeschlossen. Noch im Juli 1945 könnte der Bestand vollständig gewesen sein. Im Anschluss an einen Lokalaugenschein berichtet der damalige Mak-Direktor jedoch auch, dass er nicht alle Räume be- sichtigen durfte. Im September 1946 kehren jedenfalls nur 30 von ehemals 60 dort verwahrten Objekten an das Museum zurück. Zehn davon interessanterweise über Schloss Maissau, wohin sie vermutlich von SS-Truppen verbracht worden sein müssen, und weitere 20 direkt von Schloss Sonnberg, wie Weidinger nun präzis nachweisen kann. Von Maria Theresias Wiege blieb übrigens nur ein Fragment erhalten.
Die anderen Sonnberg-„Schützlinge“gelten seither verschollen und bis vergangene Woche auch erwähnter Armlehnstuhl, auf dem sich die originale Mak-Inventarnummer erhalten hatte, die jedoch vom Dorotheum-Experten übersehen worden war. „Ein bedauerlicher Fehler“, wie das Auktionshaus zwischenzeitlich einräumt, das sich in den vergangenen Tagen um eine Rückabwicklung des Geschäfts bemühte.
Vergeblich, wie Mak-Kustos Sebastian Hackenschmidt bestätigt. Der Käufer, ein deutscher Kunsthändler, habe das Möbel vergangene Woche verkauft. An eine österreichische Industriellenfamilie, wie dieser im Gespräch mit dem Standard versichert, aber er versuche nun seinerseits zwischen dem Mak und dem neuen „Be-Sitzer“zu vermitteln. Eine Donation, vielleicht mit Unterstützung des Dorotheums? Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, in einem österreichischen Museum wohl ganz besonders.