Weltschmerz an der Li
Trotz dreitausend Sonnenstunden im Jahr gilt der Flamenco aus der Provinz Huelva als besonders düster.
Als Costa de la Luz, als Küste des Lichts, wird die südspanische Atlantikküste bezeichnet, und der Name kommt nicht von ungefähr. In Huelva, der westlichsten unter den acht Provinzen Andalusiens, scheint die Sonne mit dreitausend Stunden im Jahr länger als anderswo in Spanien. Und an den hellen Sandstränden, den Dünen dahinter und den meist weiß getünchten Häusern in den Dörfern reflektiert das Licht besonders hell.
Der Atlantik sorgt hier zwar für mildes Klima, aber auch für einen beständigen Wind, den vor allem die Surfer im Frühjahr zu schätzen wissen. Ebenso liegen in der Provinz zwei der bedeutendsten Naturreservate Spaniens: im Westen von Huelva der Nationalpark Coto de Doñana, wichtigstes Feuchtgebiet und Vogelreservat der Iberischen Halbinsel; und im Norden, an der Grenze zu Portugal, die Sierra de Aracena, ein Wandergebiet, dessen Eichenwäldern auch die Iberischen Schweine lieben. Ihr Schinken ist das bekannteste Produkt der Region.
Trotz dieser Meriten ist Huelva eine große Unbekannte im Süden Spaniens geblieben. Das mag daran liegen, dass diese Provinz als einzige Küstenregion in Andalusien keinen Zugang zum badetauglicheren Mittelmeer hat und der nächstgelegene Flughafen in Sevilla rund 80 Kilometer entfernt liegt. Auch in der gleichnamigen Hauptstadt der Provinz spielt der Tourismus nach wie vor nur eine untergeordnete Rolle.
Düsterer Himmelsbote
Und dennoch ist man hier, in der industriell geprägten 150.000Einwohner-Stadt, genau richtig, um Andalusien auf prototypische Weise näherzukommen: über den Flamenco, der angeblich nirgendwo düsterer und mit mehr Weltschmerz aufgeladen ist als in Huelva. Einer seiner Interpreten wird in der Provinz geradezu ab- göttisch verehrt: „Ein Engel kam auf die Erde, nur um Flamenco zu singen“, sagt man über ihn. Und tatsächlich: Francisco José „Arcángel“Ramos trägt diese Zuschreibung schon im Namen.
Wer den „Erzengel“einmal singen gehört hat, wird in der Regel auch bestätigen, dass seine helle Stimme etwas Engelhaftes hat. Dafür kann man ihn etwa in seinem Heimathafen Huelva besuchen, wird aber zuerst einmal von Kolumbus begrüßt. 1492 stach der Entdecker unweit des Stadtgebiets in See, heute schaut er in Form einer überlebensgroßen Statue am Eingang der Stadt auf den zweitgrößten Hafen des Landes.
In einer Seitenstraße, nur einen Steinwurf vom zentralen Rathausplatz entfernt, sitzt er dann leibhaftig, der Arcángel. Im Acánthum beim Dinner. Dieses Lokal ist keine Flamenco-Bar, eher dessen Antithese: gediegene Atmosphäre, dezente Hintergrundmusik und kühles Inventar in bläulichem Licht.
Auch wenn der 36-Jährige in diesem Setting ein wenig deplatziert wirkt, verkörpert er doch mit seiner Musik genau jene Balance aus Tradition und Moderne, die auch im Acánthum aus der Küche kommt: An diesem Abend wird etwa der traditionelle iberische Schinken als Tartar serviert. Und Ramos selbst erinnert mit seiner 1970er-Jahre-Matte und den gold- beringten Fingern nur noch marginal an den Stil der alten Flamenco-Barden, während ihn die dezente Kleidung – weißes Hemd und Tweed-Sakko – bereits als Vertreter der jungen Generation ausweist. Anfang der 1980er-Jahre, als ihm sein Vater die ersten Flamenco-Platten schenkte, bestand die obligatorische Garderobe noch aus den barocken, weit unter dem Brusthaaransatz aufgeknöpften Rüschenblusen.
„Flamenco ist die Musik des Volkes“, sagt Ramos. „Es gibt zwar ein paar Grundregeln, aber der Rest entsteht in deinem Kopf, in der Improvisation.“Flamenco, das sei zuallererst ein Gefühl. Eines, das in Europa obendrein als einzigartig gilt: Durch die isolierte Stellung der lange Zeit maurisch geprägten Region gingen praktisch alle musikalischen Reformen des Westens spurlos an Andalusien vorüber. Allein über den Ursprung des Wortes Flamenco gibt es dutzende Theorien – die plakativste unter ihnen rührt daher, dass sich die Interpreten beim Auftritt ähnlich wie Flamingos gebärden. Tatsächlich lässt sich mit letzter Sicherheit wenig über eine Kunstform sagen, deren Traditionen immer nur mündlich tradiert wurden.
Klar ist, dass sich in den Liedtexten des Flamencos stets die Sorgen und das Leid der andalusischen Bauern und der Gitanos, der