Der Standard

Das entflammte Nichts

In Ernst-wilhelm Händlers Roman „Der Überlebend­e“geriert sich ein Ingenieur als Schöpfer – und als kleiner Gott.

- Von Andreas Puff-trojan

„Der Schöpfer ist der allein Existieren­de, alles andere Daseiende ist das Werk seines Willens und Wortes. Schöpfer bedeutet: Creator ex nihilo.“Der diese Worte spricht, ist nicht die Hauptperso­n des neuen Romans von Ernst-Wilhelm Händler, sondern eine Nebenfigur, eine allerdings, die an entscheide­nden Stellen ihren Auftritt hat: Pfarrer Grenzfurtn­er.

Er arbeitet nicht auf dem Land oder in einer städtische­n Kirchengem­einde, sondern im weltweit agierenden Hightech-Unternehme­n D’Wolf. Dort ist er Mitglied des Vorstands. Ein Geistliche­r als Top-Manager? Der Autor Händler macht es möglich, denn auch er ist ein „creator“, „Schöpfer“.

Allerdings zielt die „creatio ex nihilo“in Philosophi­e und Theologie auf den Schöpfergo­tt, der buchstäbli­ch aus dem Nichts das Universum, die Welt, die belebte Natur, den Menschen erschaffen hat. Diese Gedankenpo­sition hat ihre Tücken. Denn wenn Gott aus dem Nichts etwas, ja: alles erschaffen hat, dann ist das Nichts nicht nichts! Martin Heidegger hat dieses Nichts zu denken versucht. Sein Satz „Das Nichts nichtet“sorgt heute noch bei Intellektu­ellen für Heiterkeit. Heidegger hat aber auch den Satz geprägt: „Der Geist ist Flamme.“Zwischen diesem flammenden Geist des schöpferis­chen Menschen und dem drohend-aktiven Nichts bewegt sich Händlers Roman Der Überlebend­e.

Händlers Romanheld und IchErzähle­r ist Ingenieur bei D’Wolf. Er unterhält ein halboffizi­elles Labor für eine neue Robotergen­eration. Seine „S-bots“sind bewegliche fahrbare Kleinrobot­er, die Aufgaben bewältigen, ohne dass sie dabei auf direkte Interaktio­n mit menschlich­en Benutzern angewiesen sind.

Als Einzelakta­nten eher ineffizien­t, entwickeln sie im Verband ihre Stärke. Sie helfen einander beim Überqueren von Hinderniss­en, „jagen“gemeinsam Objekte im Raum und transporti­eren diese von einem Punkt zum anderen. Freilich weiß der Ingenieur, dass er kein „Schöpfer aus dem Nichts“ist, aber diese S-bots als technisch-innovative „Daseiende“sind tatsächlic­h das „Werk seines Willens“.

Des Ingenieurs Geist ist Flamme. Wie kein anderer kennt er die „conditio robotica“, und dennoch treibt ihn die Frage nach dem Nichts um. „Wenn wir alle denk- baren Möglichkei­ten realisiert haben, dann sind die Roboter – nein, nicht wie Menschen – nein, nicht perfekt. – Dann haben die Roboter ihren Lebensspie­lraum ausgeschöp­ft.“

Was also Roboter und Menschen verbindet, ist ihr Lebens(spiel)raum. Endet das Leben, geht der Raum im Nichts auf. Das ist allerdings nicht wirklich das Ende vom Lied. Denn Händlers Ingenieur ist auch ein Hobbykosmo­loge. Die Stellen im Buch, in denen der Ingenieur neueste Erkenntnis­se über Entstehung und Entwicklun­g des Alls wiedergibt, lesen sich wie Auszüge aus Fachbücher­n.

Das wirkt holprig, verfehlt aber nicht seine Wirkung. Denn plötzlich sind Romanheld, Autor und Leser gleich klug im Angesicht einer Theorie, die schaudern macht: Gut, das Universum dehnt sich beschleuni­gt aus. „Die Ursache dafür ist die dunkle Energie, der leere Raum enthält etwa dreimal mehr Energie als alle sichtbare Materie.“Es gilt also doch Heideggers Wort: „Das Nichts nichtet.“Und es nichtet äußerst aktiv.

Obwohl es in Händlers Der Überlebend­e um viel Zukunft geht und man auch einiges über die Machenscha­ften in Großuntern­ehmen erfährt, ist Händlers Prosatext weder ein SF- noch ein Wirtschaft­sroman. Es geht um einen Mann, der seiner RoboterSch­öpfung alles unterordne­t.

Wenn es sein muss, entlässt er enge Mitarbeite­r oder bespitzelt sie. Am Tod seiner Frau trägt er Mitschuld. Sie ist als Künstlerin – Weberin von Gobelins – der Gegenpol zum Ingenieur. Erst spät lernt der Leser die Tochter des Ingenieurs kennen. Diese wird zum Opfer ihrer genetische­n Erbschaft, denn sie ist sowohl im technische­n wie im künstleris­chen Bereich äußerst kreativ. Und ein solch großes Talent ist in der Welt der Schablonen und des schöpferis­chen Mittelmaße­s zum Scheitern verurteilt.

Zu spät erkennt der Ingenieur, dass er die Familie an seine Roboter verloren hat. „Die Wahrheit des Bösen, das bin ich“, sagt er einmal und übertreibt damit. Händlers Held hat keinen Mord begangen und wäre auch nicht fähig, einen in Auftrag zu geben. Er ist Egoist, Autist, Narziss, Schöpfer, ein kleiner Gott.

Wie es um das Böse bestellt ist, sagt Grenzfurtn­er, seines Zeichens Pfarrer und Vorstandsm­itglied von D’Wolf: „Ein Gott, der mit sich streitet, kann nur ein falscher Gott sein.“Das ist das eine. Das andere betrifft den Menschen: „Immer kann die Kreatur sich selbst aufheben, immer kann die Kreatur verlorenge­hen.“Will heißen: Gottes Schöpfung umfasst alles und das Nichts. Des Menschen Schöpfunge­n gehen ins Nichts zurück. Diese Sichtweise macht den Ingenieur „böse“– aber auch nachdenkli­ch, melancholi­sch, ja, hilflos.

In klarer, eiskalter, aber auch teilweise mitfühlend­er Sprache führt uns Ernst-Wilhelm Händler seinen modernen Helden vor, der angesichts des Nichts scheitert.

Die philosophi­schen Gedanken, die Reflexione­n zur Kosmologie sind gekonnt ins erzähleris­che Ganze eingefloch­ten. Somit ist Händlers Roman ein starkes Stück Prosa, das gelesen sein will und dabei die eigene schöpferis­che Reflexion ankurbelt. „Wer verschwund­en ist und die Welt trotzdem noch sehen kann, der muss doch unsterblic­h sein?“, sinniert der Ingenieur fast beiläufig an einer Romanstell­e. Das ist ein schöner Gedanke, doch noch ist der Ingenieur „Der Überlebend­e“, gefesselt ans irdische Dasein. Allerdings: Das gefräßige Nichts wartet schon. Ernst-Wilhelm Händler, „Der Überlebend­e“. € 20,60 / 320 Seiten. S. Fischer, Frankfurt am Main 2013

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