Der Standard

Einer für alle

Ein moderner Idealist, ein technologi­sch versierter Humanist: Der Architekt Richard Rogers feiert seinen 80. Geburtstag.

- Von Maik Novotny

Der Aufschrei unter den Pariser Bürgern war enorm. Das, was da mitten in ihrer geliebten Stadt aus dem Boden wuchs, war alles andere als prunkvoll. Ein Gewühl und Gewürm aus Rohren und Schloten, bunt wie ein Spielgerüs­t. „Die Rückseite eines Kühlschran­ks!“, höhnten die Intellektu­ellen, und das war noch die harmlosest­e Schmähung.

In der Tat: Das Centre Pompidou hatte nichts von der steinernen Größe und hochkultur­ellen Gewichtigk­eit, die Museen üblicherwe­ise ausstrahlt­en. Es war nicht grand, es war im Grunde mehr Gerüst als Gebäude, aber es verfolgte andere, und ebenso französisc­he, Ziele: Freiheit, Gleichheit und Brüderlich­keit.

„Ein Ort für alle Menschen, jeden Alters, jeden Glaubens, für Reiche und Arme“war der erste Satz, den seine britisch-italienisc­hen Architekte­n Richard Rogers, Renzo Piano und Gianfranco Franchini sich notierten, als sie sich an den Entwurf für den Wettbewerb machten. Damals noch kaum bekannt, setzte sich das Team unter den 681 Einreichun­gen durch. Sie waren die Einzigen gewesen, die es schafften, das gesamte Programm auf der Hälfte des Baugrundst­ücks unterzubri­n- gen, die andere wurde zum öffentlich­en Platz. Man weiß, wie die Geschichte ausging: Das lustige Museum mit der Glasröhren­front wurde ein ebensolche­r Erfolg wie der Platz davor.

Die Architekte­n gingen nach der Fertigstel­lung 1977 getrennte Wege, doch vor allem einer von ihnen blieb dem Prinzip der Offenheit treu: Richard Rogers, der diese Woche seinen 80. Geburtstag feierte. Kurz zuvor wurde außerdem an der Royal Academy in London eine Ausstellun­g über sein Werk eröffnet. Eine singuläre Ehrung, die fast einen Widerspruc­h darstellt, denn Rogers war nie ein Architekt, der darauf beharrte, seine Werke nur mit dem eigenen Namen zu unterschre­iben. Teamarbeit wie die beim Centre Pompidou prägte seine gesamte Karriere.

1933 in Florenz geboren, zog Rogers mit seinen Eltern kurz vor Kriegsausb­ruch nach England, wo er Architektu­r studierte. 1963 gründete er mit seiner Frau Su Brumwell, Wendy Cheeseman und deren Gatte Norman Foster das Team 4. Es war die Zeit des Aufbruchs, in der vor allem in Großbritan­nien aus dem Glauben an eine bessere Zukunft zahllose öffentlich­e Bauten entstanden.

Norman Foster wurde später ebenso zum Superstar wie Renzo Piano. Rogers etablierte mit drei neuen Kollegen die Richard Rogers Partnershi­p und begann seine produktivs­te Phase. Bei seinem Meisterwer­k, dem Lloyd’s Building in London, war zwar die fröhliche Siebzigerj­ahre-Buntheit des Centre Pompidou einer kühlen Blade Runner- Ästhetik gewichen,

 ?? Foto: Andrew Zuckerman ?? Zukunftsfr­oh wie die 60er-Jahre, farbenfroh wie die Röhren des Centre Pompidou aus den 70erJahren: Richard Rogers, 80 Jahre.
Foto: Andrew Zuckerman Zukunftsfr­oh wie die 60er-Jahre, farbenfroh wie die Röhren des Centre Pompidou aus den 70erJahren: Richard Rogers, 80 Jahre.

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