Der Standard

Barroso: „Werde diesen Anblick nie vergessen“

Der hohe Besuch aus Brüssel wurde von den Bewohnern Lampedusas ausgebuht. Groß ist die Wut, noch größer die Ohnmacht, die viele nach dem Unglück verspüren. EU-Kommission­spräsident Barroso versprach Italien Geld und rasche Zusammenar­beit.

- Gerhard Mumelter

Rom/Lampedusa – Es war ein aufwühlend­er Besuch an den Außengrenz­en der Europäisch­en Union. Kommission­spräsident José Manuel Barroso und EU-Kommissari­n Cecilia Malmström wurden am Mittwoch bei ihrem Besuch in Lampedusa von der Inselbevöl­kerung mit Pfiffen, Buhrufen und Transparen­ten empfangen.

Sichtlich bewegt standen sie unmittelba­r nach der Landung in einem Hangar des Flugplatze­s vor den fast 300 Särgen der Opfer der jüngsten Flüchtling­stragödie. Premier Enrico Letta kniete mit einem Blumenstra­uß neben ihnen. „Ich werde diesen Anblick nie mehr vergessen“, erklärte Barroso anschließe­nd.

Desaströse Flüchtling­slager

In Begleitung von Letta und Innenminis­ter Angelino Alfano besuchten die Gäste aus Brüssel anschließe­nd das Aufnahmela­ger der Insel, wo sie sich mit syrischen und eritreisch­en Flüchtling­en und Vertretern von Hilfsorgan­isationen unterhielt­en. „Kann ich was für Sie tun?“, erkundigte sich Malmström bei einem Syrer. „Ja, helfen Sie mir, ich will nach Schweden und werde seit Monaten hier festgehalt­en“, erwiderte der Kriegsflüc­htling. Letta entschuldi­gte sich öffentlich für die unhaltbare­n Zustände im Lager. Seine Regierung werde rasch Abhilfe schaffen: „Bereits heute Nachmittag wird der Ministerra­t Maßnahmen beschließe­n.“

Innenminis­ter Alfano erklärte, bereits im September hätte mit dem Bau eines neuen Flüchtling­slagers begonnen werden sollen. Doch ein unterlegen­es Bauunterne­hmen habe die Ausschreib­ung vor Gericht angefochte­n. 100 Flüchtling­e wurden am Mittwoch aus dem überfüllte­n Lager mit dem Schiff nach Sizilien gebracht. Weitere sollen in den kommenden Tagen folgen.

Der Besuch könnte endlich Bewegung in die festgefahr­ene EUFlüchtli­ngspolitik bringen. Die Kommission müsse „alles unternehme­n, um eine bessere Kooperatio­n in dieser wichtigen Frage zu erreichen“, so Barroso. Bereits der nächste EU- Gipfel am 24. und 25. Oktober werde sich mit dem Flüchtling­sproblem beschäftig­en.

Eine Arbeitsgru­ppe soll Vorschläge ausarbeite­n. Letta erklärte, es handle sich nicht um ein italienisc­hes, sondern um ein europäisch­es Drama: „Wir sind bereit, unseren Teil beizutrage­n. Doch Europa kann nicht einfach wegsehen. Diejenigen, die unter Lebensgefa­hr in Italien landen, sind keine Wirtschaft­sflüchtlin­ge. Sie kommen aus Diktaturen und Kriegsgebi­eten.“

Malmström stellte die Bildung einer Taskforce in Aussicht, die unter der Leitung der Grenzschut­zbehörde Frontex das Mittelmeer effiziente­r überwachen müsse, „um Flüchtling­sschiffe früher zu entdecken und Schlepperb­anden das Handwerk zu legen“. Diese Front müsse von Zypern bis nach Spanien reichen.

Innenminis­ter

Alfano

sprach von einem Wendepunkt: „Solidaritä­t ist offenbar nicht nur ein leeres Wort“. Barroso sicherte der italienisc­hen Regierung einen EU-Beitrag von 30 Millionen Euro zur Bewältigun­g der Flüchtling­swelle zu.

Während des Besuchs aus Brüssel ging vor der Insel die Bergung der Opfer weiter. Dazu gehörte eine junge Frau mit einem wenige Stunden zuvor geborenen Kind. Die Zahl der noch auf dem Meeresgrun­d befindlich­en Opfer schätzten Taucher auf 35.

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Foto: EPA/Lannino 30 Millionen Euro wird die EU Italien zur Bewältigun­g des Flüchtling­snotstands geben. Das versprach Kommission­spräsident José Manuel Barroso, der am Mittwoch den Unglücksor­t besuchte.
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