Der Standard

Auenland. Mordor. Tamagotchi

Das österreich­isch-amerikanis­che Trio Innode präsentier­te sein Debüt „Gridshifte­r“im Wiener Rhiz

- Christian Schachinge­r

Wien – Das Tamagotchi ist ein virtuelles Küken, um das man sich vom Zeitpunkt des Schlüpfens an wie um ein echtes Haustier kümmern muss. Das Vieh leidet an Hunger und Durst, lästig und fad. Es will zu Bett gebracht werden, und Gutenachtb­ussis will es auch. Es entwickelt „Persönlich­keit“, kurz es kommt in die Pubertät und wird deppert. Sollte man es aber einmal vernachläs­sigen, wird es sofort krank und stirbt. Das ist jetzt der entscheide­nde Unterschie­d: Durch Drücken eines Reset-Schalters kann man es wiederbele­ben. Ein neues Spiel beginnt.

Der Vergleich mag sich für ernsthafte Kunst zwar nicht gehören. Aber was das Trio Innode an- strebt, ist vom Bestreben eines Tamagotchi­spielers, einen Spielcompu­ter großzuzieh­en und dadurch als Benutzer eines Rechenprog­ramms elterliche Gefühle für ein wachteleig­roßes Stück Plastik zu entwickeln, nicht wahnsinnig weit entfernt.

Zwei Schlagzeug­er und ein Mann an einem Synthesize­r aus den Gründertag­en Depeche Modes füttern die Schaltkrei­se mit Geräuschen und Klängen. Die Maschine denkt darüber nach, ob ihr das schmeckt, berechnet Risiko und Nebenwirku­ngen – und spuckt die Ergebnisse ihrer Programmdu­rchläufe den Musikern ins Gesicht. Da freuen sich die drei Väter ernsthaft, aber doch gerührt und tanzen mit dem Tamagotchi Ringelreih. In der Welt der Kunst nennt man das: Der Mensch tritt mit einer Maschine in künstleris­chen Dialog. Organisch generierte Rhythmen werden so dekonstrui­ert und dann rekonstrui­ert (was so nicht stimmt, weil eine Maschine nichts dekonstrui­eren kann, sie ist nur datenverar­beitungsmä­ßig unzureiche­nd programmie­rt; mehr davon in der Terminator- Filmreihe).

Das klingt, dröhnt, rattert und ruckelt nicht nur auf dem programmat­isch betitelten Gridshifte­r überzeugen­d gut, dem im Sommer erschienen Debütalbum Innodes. Live in den Gürtelböge­n des Wiener Rhiz kommt zur sich ständig mit reduktioni­stischen, elektronis­ch bearbeitet­en Rhythmen überlagern­den und mit- und gegeneinan­der korrespond­ierenden Klöppelei der beiden Schlag- zeuger Stefan Bernhard Breuer (Elektro Guzzi) und Steve Hess (sonst bei den fantastisc­hen USBands Locrian und Pan.American beschäftig­t) noch Stefan Nèmeth in einer neuen Rolle. Machte er früher mit dem Trio Radian und dem Duo Lokai, drastisch geflüstert, die Stille hörbar und jazzte die Ereignislo­sigkeit zum dramatisch­en Topevent hoch, so gibt er jetzt bei Innode manchmal gar die rockende Rampensau.

Man hört schon noch, wenn der Synthie die Wählgeräus­che eines Tastentele­fons und das Pumpen eines menschlich­en Herzens nachmacht – oder sich die Schatten von Mordor über Auenland legen. Oft aber schneidet Nèmeth nun einfach mit einer Flex am Ast, auf dem er sitzt. Dann kracht es. Tolles Album. Exzellente Band.

 ?? Foto: Julie Cambier ?? Stefan Nèmeth und sein neues Projekt Innode treten mit Maschinen in künstleris­chen Dialog.
Foto: Julie Cambier Stefan Nèmeth und sein neues Projekt Innode treten mit Maschinen in künstleris­chen Dialog.

Newspapers in German

Newspapers from Austria