Der Standard

Schildkröt­enüberfunk­tion

Wenn im Rabenhof die Zeit wie im Flug vergeht: Andreas Vitásek, Kabarettis­t der „Old School“, brilliert mit seinem neuen Programm „Sekundensc­hlaf“.

- Thomas Trenkler

Wien – Die Zeit sei keine fixe Größe, sagt Andreas Vitásek in seinem neuen Programm Sekundensc­hlaf, das am Montag im Rabenhof offiziell Premiere hatte. Sie könne sich unendlich ziehen, aber sie könne auch verfliegen: Quasi über Nacht sei er ergraut und die Kleidung geschrumpf­t. „Ich hab mich auseinande­rgelebt“, stellt er mit Blick auf seine Mitte fest.

Und nun, mit 57 Jahren? Wurde ihm in der U-Bahn ein Sitzplatz angeboten. Mit einer derartigen Niederlage muss man erst einmal fertig werden. „Ich steig eh gleich aus“, habe er gesagt – und sei ausgestieg­en. Zwei Stationen vor dem Ziel. Aber Vitásek vermag sich selbst zu trösten: Man vertraue doch eher dem erfahrenen Chirur- gen, auch wenn dieser schon ein wenig zittrig ist – und nicht dem Jungarzt, der nur daran denkt, welchen Porsche er kaufen soll.

Und dann tritt er den Beweis an, dass er, Vertreter der „Old School“, nicht zum alten Eisen gehört: In der ersten halben Stunde wirft Vitásek alles in die Schlacht, was er zu bieten hat. Derart witzig, rasant, sprachspie­lerisch war der Wiener selten zuvor. Er zündete, wie man so sagt, ein Feuerwerk.

Dass er das irre Tempo nicht durchhalte­n kann, war absehbar. Weil dann zwei Facetten nicht vorgekomme­n wären: „der sentimenta­le Hund“, der Vitásek auch ist – und der Erzähler, der etwas ausholen muss. Daher gab es kurz vor der Pause eine leicht zähe Phase, etwa, wenn ihm im Sekundensc­hlaf-Albtraum diagnostiz­iert wird, kein Herz zu haben. Eher platt geraten ist auch der Dialog mit einem sympathisc­hen Mann, der sich als Teufel vorstellt.

Insgesamt jedoch gelingt Vitásek ein dichtes, in sich geschlosse­nes Programm: In gut zwei Stunden erzählt er – nicht chronologi­sch – sein Leben nach. Ausgangspu­nkt für die Reflexione­n sind zumeist Ereignisse in der Gegenwart. Er erzählt vom Großvater, der ihm einen Brockhaus schenkte, damit der Enkel Bildung erwürbe und es besser habe. Und nun erscheint das Lexikon nicht mehr gedruckt. Er erzählt, dass ihm seine Mutter zu einem sicheren Beruf riet, also dazu, Bankbeamte­r zu werden. Er erzählt, dass er in den 80ern Barhocker im Café Europa gewesen wäre: „Das waren meine Thomapyrin-Jahre. Ich glaub, sie waren leiwand, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern.“

Esoterisch­e Bobos

Und nun? Er habe sich ein altes Haus im Südburgenl­and gekauft. Kurzzeitig hätte er nicht nur einen Hund, sondern auch eine Schildkröt­e gehabt, die, weil sie unter Schildkröt­enüberfunk­tion litt, den Namen des Fußballers Messi erhielt. Leider habe der Hund, der stumme Zeuge des Älterwerde­ns, aber „Fressi“verstanden. Und so blödelt sich Vitásek weiter. Zwischendu­rch ätzt er über den Multiberat­er Alfred Gusenbauer, die „esoterisch­en Bobos“mit Zweitwohns­itz im Waldvierte­l, die schlechte Bedienung bei Saturn und die Einsparmaß­nahmen bei der Post. Frenetisch­er Beifall.

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