Auf der Schreibmaschine getippte Utopien
Yoko Ono ist Pionierin des Fluxus, sie schuf Meilensteine der Konzept- und Performancekunst, und ihr gelang der Spagat zwischen Avantgarde und Pop. Die Kunsthalle Krems würdigt die Künstlerin mit rund 200 Arbeiten aus sechs Jahrzehnten. Ein Porträt.
Krems – Glaubt man Yoko Ono, bedarf es keiner Glühbirne für die nächtliche Zimmerbeleuchtung. Es genügt ein leerer Sack, mit dem man auf einen Hügel geht und dort so viel Licht einfängt wie nur möglich. In den eigenen vier Wänden aufgehängt, ersetzt die am Tag gesammelte Helligkeit problemlos den glühenden Draht.
Light Piece heißt diese heitere, im Herbst 1963 entstandene Stück Konzeptkunst. Ono nannte diese Handlungsanweisungen „Instructions“und forderte den Betrachter darin zu bestimmten Aktionen auf. Nicht Ono selbst, sondern ein anderer vollendete also die Arbeit. Oft sind die kurzen, auf der Schreib- maschine getippten Zeilen utopisch, teils gesellschaftskritisch, manchmal auch humoristisch, wenn man wie in Laugh Piece eine Woche lang lachen oder der Erde beim Rotieren lauschen soll (Earth Piece). Extremer ist Blood Piece, in dem Ono fordert, bis zum Eintreten des Todes mit dem eigenen Blut zu malen. Doch egal, wie absurd ihre sprachlichen Anweisungen auch sein mögen, stets verdeutlichen sie Onos poetische Begabung, unverkennbar ist die Nähe zu den japanischen Haikus, einer 17-silbigen Gedichtform. 1964 publizierte sie schließlich eine Vielzahl von Anweisungen in ihrem Buch Grapefruit.
Dabei ist das sprachliche Talent nur eines von vielen Talenten der heute 80-jährigen Yoko Ono. Die Kunsthalle Krems würdigt sie nun in einer rund 200 Arbeiten umfassenden Retrospektive.
Yoko Ono wurde 1933 in Tokio in eine traditionsreiche japanische Familie hineingeboren, zu deren Vorfahren Samurai, Adelige und Geistliche zählen. Der Großvater mütterlicherseits war Bankier, ein Beruf, den auch Yokos Vater, ein ausgebildeter Pianist, ergriff. Als Konzeptkünstlerin, Performerin, Filmemacherin, Musikerin, Philosophin und Friedensaktivistin ging Ono sowohl in die Kunst- als auch die Popgeschichte ein, die Ehe mit John Lennon trug ihr Übriges dazu bei.
Der Mensch als Streichholz
Fragen des menschlichen Daseins sind in ihrem Werk zentral. Light Piece von 1955, eine ihre frühesten Arbeiten setzte sie 1966 auch filmisch um: In Film No. 1 (Match Piece) zündet sie ein Streichholz an, sieht der Flamme beim Aufflackern zu und wartet, bis sie erlischt. Ein kurzer wie banaler Prozess über die Vergänglichkeit menschlicher Existenz. Viele ihrer „Instructions“setzte sie als Performance um. Legendär etwa Cut Piece (1964), die sie mindestens sechsmal – zuletzt 2003 in Paris, aufführte. Das Publikum wurde aufgefordert, Onos Bekleidung mit einer Schere zu zerschneiden. Am Ende saß sie nur noch im BH auf der Bühne. Eine radikale Aktion, die zu einer Zeit entstand, als das Bewusstsein für feministische Themen noch wenig entwickelt war.
Anfang der 1950er-Jahre zieht Ono von Japan nach New York. Sie bewegte sich im Umfeld von La Monte Young, George Maciunas und George Brecht und wird daher, entgegen ihren eigenen Aussagen, als Mitbegründerin der Fluxus-Bewegung gesehen. Die Fluxus-Aktionskunst wandte sich gegen den elitären Kunstbegriff. Kunst musste laut Yoko Ono nicht dinghaft sein. Nur selten produzierte sie Kunst, um sie zu verkau- fen, entzog sich also den Gesetzen des Kunstmarktes. „No critics, art dealers or dogs allowed“schreibt Ono etwa auf den ersten Seiten in Grapefruit.
Vielschichtiges OEuvre
Auch auf ein Medium wollte sich Yoko Ono nicht festlegen, meist sind ihre Arbeiten Mischformen. Sie verwendete Objekte im Sinne von Marcel Duchamps Readymades, verwirklichte Arbeiten im öffentlichen Raum, produzierte Mail-Art, schuf Installationen und experimentierte mit Soundeffekten und Multimedia.
Oft wird Yoko Ono auf ihre Ehe mit Lennon reduziert und nicht als eigenständige Künstlerin wahrgenommen. Dabei prägte sie sowohl die Kunst der 1960er-Jahre, als sie auch zeitgenössische Musiker inspiriert. Privat engagiert sich Ono unter anderem für den Weltfrieden und den Umweltschutz. 2009 wurde ihr bei der Venedig-Biennale der Goldene Löwe für ihr Lebenswerk verliehen.