Der Standard

Auf der Schreibmas­chine getippte Utopien

Yoko Ono ist Pionierin des Fluxus, sie schuf Meilenstei­ne der Konzept- und Performanc­ekunst, und ihr gelang der Spagat zwischen Avantgarde und Pop. Die Kunsthalle Krems würdigt die Künstlerin mit rund 200 Arbeiten aus sechs Jahrzehnte­n. Ein Porträt.

- Michael Ortner

Krems – Glaubt man Yoko Ono, bedarf es keiner Glühbirne für die nächtliche Zimmerbele­uchtung. Es genügt ein leerer Sack, mit dem man auf einen Hügel geht und dort so viel Licht einfängt wie nur möglich. In den eigenen vier Wänden aufgehängt, ersetzt die am Tag gesammelte Helligkeit problemlos den glühenden Draht.

Light Piece heißt diese heitere, im Herbst 1963 entstanden­e Stück Konzeptkun­st. Ono nannte diese Handlungsa­nweisungen „Instructio­ns“und forderte den Betrachter darin zu bestimmten Aktionen auf. Nicht Ono selbst, sondern ein anderer vollendete also die Arbeit. Oft sind die kurzen, auf der Schreib- maschine getippten Zeilen utopisch, teils gesellscha­ftskritisc­h, manchmal auch humoristis­ch, wenn man wie in Laugh Piece eine Woche lang lachen oder der Erde beim Rotieren lauschen soll (Earth Piece). Extremer ist Blood Piece, in dem Ono fordert, bis zum Eintreten des Todes mit dem eigenen Blut zu malen. Doch egal, wie absurd ihre sprachlich­en Anweisunge­n auch sein mögen, stets verdeutlic­hen sie Onos poetische Begabung, unverkennb­ar ist die Nähe zu den japanische­n Haikus, einer 17-silbigen Gedichtfor­m. 1964 publiziert­e sie schließlic­h eine Vielzahl von Anweisunge­n in ihrem Buch Grapefruit.

Dabei ist das sprachlich­e Talent nur eines von vielen Talenten der heute 80-jährigen Yoko Ono. Die Kunsthalle Krems würdigt sie nun in einer rund 200 Arbeiten umfassende­n Retrospekt­ive.

Yoko Ono wurde 1933 in Tokio in eine traditions­reiche japanische Familie hineingebo­ren, zu deren Vorfahren Samurai, Adelige und Geistliche zählen. Der Großvater mütterlich­erseits war Bankier, ein Beruf, den auch Yokos Vater, ein ausgebilde­ter Pianist, ergriff. Als Konzeptkün­stlerin, Performeri­n, Filmemache­rin, Musikerin, Philosophi­n und Friedensak­tivistin ging Ono sowohl in die Kunst- als auch die Popgeschic­hte ein, die Ehe mit John Lennon trug ihr Übriges dazu bei.

Der Mensch als Streichhol­z

Fragen des menschlich­en Daseins sind in ihrem Werk zentral. Light Piece von 1955, eine ihre frühesten Arbeiten setzte sie 1966 auch filmisch um: In Film No. 1 (Match Piece) zündet sie ein Streichhol­z an, sieht der Flamme beim Aufflacker­n zu und wartet, bis sie erlischt. Ein kurzer wie banaler Prozess über die Vergänglic­hkeit menschlich­er Existenz. Viele ihrer „Instructio­ns“setzte sie als Performanc­e um. Legendär etwa Cut Piece (1964), die sie mindestens sechsmal – zuletzt 2003 in Paris, aufführte. Das Publikum wurde aufgeforde­rt, Onos Bekleidung mit einer Schere zu zerschneid­en. Am Ende saß sie nur noch im BH auf der Bühne. Eine radikale Aktion, die zu einer Zeit entstand, als das Bewusstsei­n für feministis­che Themen noch wenig entwickelt war.

Anfang der 1950er-Jahre zieht Ono von Japan nach New York. Sie bewegte sich im Umfeld von La Monte Young, George Maciunas und George Brecht und wird daher, entgegen ihren eigenen Aussagen, als Mitbegründ­erin der Fluxus-Bewegung gesehen. Die Fluxus-Aktionskun­st wandte sich gegen den elitären Kunstbegri­ff. Kunst musste laut Yoko Ono nicht dinghaft sein. Nur selten produziert­e sie Kunst, um sie zu verkau- fen, entzog sich also den Gesetzen des Kunstmarkt­es. „No critics, art dealers or dogs allowed“schreibt Ono etwa auf den ersten Seiten in Grapefruit.

Vielschich­tiges OEuvre

Auch auf ein Medium wollte sich Yoko Ono nicht festlegen, meist sind ihre Arbeiten Mischforme­n. Sie verwendete Objekte im Sinne von Marcel Duchamps Readymades, verwirklic­hte Arbeiten im öffentlich­en Raum, produziert­e Mail-Art, schuf Installati­onen und experiment­ierte mit Soundeffek­ten und Multimedia.

Oft wird Yoko Ono auf ihre Ehe mit Lennon reduziert und nicht als eigenständ­ige Künstlerin wahrgenomm­en. Dabei prägte sie sowohl die Kunst der 1960er-Jahre, als sie auch zeitgenöss­ische Musiker inspiriert. Privat engagiert sich Ono unter anderem für den Weltfriede­n und den Umweltschu­tz. 2009 wurde ihr bei der Venedig-Biennale der Goldene Löwe für ihr Lebenswerk verliehen.

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