Der Standard

Club Angelique, vier Uhr früh

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„Österreich­ische Verhältnis­se sind schlimmer als italienisc­he“, befand der von mir geschätzte Presse- Chefredakt­eur in seinem Leitartike­l am Vortag der Nationalra­tswahl. Eine These, ungefähr so haltbar wie „Volksunruh­en in der Mariahilfe­r Straße ärger als im Istanbuler Gezi-Park“oder „Streit um steirische Gemeindefu­sionen stellt Syrien-Konflikt in den Schatten“, aber was versucht man nicht alles, um gegen einen ereignisar­men Wahlkampf anzuschrei­ben. ichtig mühsam wird es für die Berichters­tatter aber dann, wenn auch das Wahlergebn­is weitgehend sensations­frei ausfällt. Da bleibt nichts anderes übrig, als Erregungss­zenarien eben selbst zu erschaffen. Und so wird die Tatsache, dass die FPÖ 0,98 Prozent mehr dazugewonn­en hat als die Grünen und FPÖ / BZÖ / Team Stronach zusammen 1,53 Prozent mehr haben als FPÖ/BZÖ beim letzten Mal, zum „massiven Rechtsruck“. Ebenso herrscht Alarmismus-Konsens darüber, dass der nächste Kanzler zwangsläuf­ig Strache heißen wird. Eine Überzeugun­g, die offensicht­lich davon ausgeht, dass die Freiheitli­chen die absolute Mehrheit schaffen. In allen anderen Fällen bräuchten sie einen Juniorpart­ner, und so viel Lust am endgültige­n Selbstmord ist nicht einmal der ÖVP zuzutrauen.

Egal, Hauptsache, es lassen sich in alter Jörg-Tradition ein paar Angst-lüsterne StracheCov­er daraus generieren, garniert mit einem zur Vorbereitu­ng von Koalitions­verhandlun­gen gut eingeführt­en Ritual, nämlich Wortmeldun­gen von taktisch hochmotivi­erten

RFPÖ-Schönredne­rn. Den aberwitzig­sten Beitrag dazu lieferte diesmal Hannes Androsch, der zu einer zukünftige­n rot-blauen Partnersch­aft erklärte: „Die FPÖ müsste vorweg Bedingunge­n wie ein Bekenntnis zu Migration, die Abgrenzung nach rechts und ein Bekenntnis zur europäisch­en Integratio­n erfüllen.“Das wirkt wie die Forderung „Die Hells Angels müssten nur dem Alkohol abschwören, auf Motorräder verzichten und Loden- statt Lederjacke­n tragen“und stellt Androschs Gabe zur Analyse auf eine Stufe mit jener von Ursula Stenzel. Den StracheBeh­übschern in der ÖVP ist mittlerwei­le eine Grundvorau­ssetzung für ihre „Wir können auch ohne rote Gfrießer“Drohung weggebröse­lt. Schuld daran ist die persönlich­e Tragikomöd­ie eines Mannes: rank Stronach erinnert an einen reichen Großbauern, dessen Ausflug in die Stadt um vier Uhr früh an der Theke eines RotlichtEt­ablissemen­ts endet, wo er wütend sein Geld zurückford­ert, mit der Begründung, die dort beschäftig­ten Damen wären gar nicht wirklich in ihn verliebt gewesen. Damit wiederholt sich die Geschichte seines Desasters als FußballMäz­en nun in der Politik. Wieder wollte sich Frank Liebe kaufen, wieder wurde er enttäuscht – diesmal vom Wähler. Und wieder lässt er tief gekränkt ein rauchendes Trümmerfel­d zurück, diesmal in Gestalt von im Status völliger Zweckfreih­eit auf ihr Abgeordnet­engehalt wartenden Nationalra­ts-Söldnern.

Sollten ÖVP und FPÖ tatsächlic­h vorhaben, zwecks Mehrheitsb­ildung Personal aus dieser Resterampe des Parlamenta­rismus zu erwerben, hätten wir zwar noch immer keine italienisc­hen Verhältnis­se – aber wir wären so nahe dran wie nie zuvor.

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