Der Standard

Spaniens Kampf gegen häusliche Gewalt

Seit Jahresbegi­nn starben in Spanien bereits 25 Frauen durch die Hand ihrer gewalttäti­gen (Ex-)Partner, Zehntausen­de erstattete­n Anzeige. Soziologen warnen vor kaschierte­n Kriseneffe­kten in den Statistike­n, gleichzeit­ig werden Täter und Opfer immer jünge

- Jan Marot aus Granada

Es ist ein trauriger Rekord. Noch nie starben in Spanien derart viele Frauen in den ersten Monaten des Jahres durch die Hände ihrer (Ex-)Partner wie in diesem. Bereits 25 Todesopfer sind zu beklagen, im gesamten Vorjahr waren es 54. Erst am Sonntag tötete ein Mann aus Andalusien seine Frau, in Alicante überlebte eine 80-Jährige am selben Tag eine Messeratta­cke nur knapp.

Eine umfassende Gesetzesre­form der Ministerie­n für Justiz, für Inneres sowie für Gesundheit, Soziales und Gleichstel­lung soll dem dramatisch­en Anstieg der häuslichen Gewalt nun entgegenwi­rken. Die eigens eingericht­eten Sondergeri­chtshöfe für Gewalt an Frauen werden laut El Mundo mit größeren Befugnisse­n ausgestatt­et und sind nicht mehr nur bei Mord und Körperverl­etzung aktiv.

An den Sondergeri­chtshöfen wird in Zukunft auch Männern, die sich über verordnete Bannmeilen hinwegsetz­en, der Prozess gemacht.

Mit der Reform werden jetzt auch schwere Beleidigun­gen, psychische Gewalt und Eingriffe in die Privatsphä­re, etwa das Verbreiten intimer Fotos im Internet, gerichtlic­h verfolgt. Zudem erhalten Betroffene Informatio­nen über den aktuellen Aufenthalt­sort der Täter, etwa, ob sie sich im Gefängnis oder mit Fußfessel in Freiheit befinden.

„Normale Strafgeric­hte agieren oft zu lax in diesem Bereich“, argumentie­rte Justizmini­ster Alberto Ruiz Gallardón (PP). Das belegen auch die Zahlen: Während normale Strafgeric­hte im Schnitt jeden zweiten Angeklagte­n freisprech­en, ist es bei den Sonderge- richten für Gewalt an Frauen nur jeder vierte.

Gesundheit­sministeri­n Ana Mato (PP) will nicht nur Gesetze härter angewendet sehen, sondern auch Sozialarbe­iter, Richter und Polizeikrä­fte stärker sensibilis­ieren. Sie forderte vom Innenminis­terium eine Aufstockun­g der Sonderpoli­zei für Geschlecht­ergewalt.

Erstmals soll auch im Fragebogen, der bei der Anzeige ausgefüllt werden muss, die Einkommens­situation abgefragt werden. Bislang waren die 25 Fragen nur auf Waffenbesi­tz, Alkohol- und Suchtmitte­lmissbrauc­h oder wiederholt­e Drohungen fokussiert.

Soziologen wie Laura Nuño, Genderwiss­enschaftsp­rofessorin an der Madrider Universitä­t Juan Carlos I., hatten immer wieder kritisiert, dass die Statistike­n über die sinkende Zahl der Anzeigen nicht die finanziell­e Abhängigke­it der Opfer miteinbezo­gen hatten. Ihrer Ansicht nach wurden Anzeigen schlichtwe­g nicht gemacht, aus Angst, auf der Straße zu stehen.

15.499 Anzeigen im Februar

Anhand einer vierteilig­en Skala – extrem, hoch, mittel oder niedrig – in Bezug auf die Gefahrensi­tuation wird aus dem neuen Fragebogen der Grad der polizeilic­hen Überwachun­g eruiert. Alleine im Februar kam es zu 15.499 Anzeigen. Schutzmaßn­ahmen sollen nun periodisch alle drei Monate aktualisie­rt werden.

Experten warnen, dass die aktuellen Einsparung­en im Bildungsbe­reich die Gewalt unter männlichen Jugendlich­en steigen lassen: 151 Minderjähr­igen wurde im Vorjahr der Prozess wegen Gewalt gegen ihre Freundinne­n gemacht, ein Anstieg von mehr als fünf Prozent. „Es bedarf dringender Bewusstsei­nsbildung“, fordert Genderwiss­enschafter­in Nuño. „Genauso wie bei Kampagnen für Sicherheit im Straßenver­kehr, Tabak, Alkohol und Drogen.“

„Die Regierung kürzte das Budget für Prävention um ein Drittel“, beklagt auch Frauenrech­tspionieri­n Ana María Pérez del Campo. „Dabei muss man hier und nicht einzig auf der Seite der Opfer ansetzen.“Gerade Kinder, die in einem gewaltvoll­en Umfeld aufwachsen, laufen Gefahr, später selbst mit Gewalt zu reagieren. Gemäß dem jüngsten Eurobarome­ter sind es 840.000 Kinder in Spanien, die das betrifft.

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