Der Standard

„Nur das Weiße Haus hat mehr Facebook-Fans“

Eineinhalb Monate vor der EU-Wahl schwankt die Stimmung der Bevölkerun­g zwischen Desinteres­se und Ablehnung der Union. Spitzenkan­didaten sehen den Grund in Konfliktge­ilheit der Medien und dem „Krisengere­de“der Politiker.

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Maria Sterkl Es herrscht schlechte Stimmung im Hause Europa, egal, wohin man blickt – darin war man sich bei einer vom Standard sowie der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Europapoli­tik mitveranst­alteten Konferenz zur Wahrnehmun­g der EU in Österreich und Frankreich noch einig. Woran das liegt, bewerten die österreich­ischen Spitzenkan­didaten der EU-Wahl hingegen unterschie­dlich. ÖVPListene­rster Othmar Karas glaubt nicht, dass es eine veritable EUSkepsis gibt: „Die Sorgen und Ängste der Menschen sind größer geworden – aber nicht die Ablehnung der EU als Projekt.“Die Menschen wüssten sehr wohl um die Chancen der europäisch­en Integratio­n, meint Karas. Den nationalen Regierungs­verantwort­lichen fehle es aber an Lust, dieses grundsätzl­iche Wohlwollen für ihre europapoli­tische Agenda zu nützen. Im Gegenteil: „Sie spielen die Bevölkerun­g gegen Europa aus“, sagt Karas. Dazu komme eine „er- Standard - Chefredakt­eurin FöderlSchm­id (Mitte) auf dem Podium. er einmal begonnen habe, über die EU zu sprechen, sagt Freund.

Dass die Krise schuld an der EU-Skepsis sei, bezweifelt NochEuropa­abgeordnet­er Hans-Peter Martin: „Österreich steht vergleichs­weise gut da. Wie kann es da sein, dass die Menschen in Österreich genauso EU-skeptisch sind wie in Frankreich?“Die EU-Stimmungsk­rise sei vor allem eine Kommunikat­ionskrise, meint Martin: Die Medien, hier vor allem das Fernsehen, aber auch „die politische Klasse“seien schuld. Auf die Frage, ob sich seine Medienkrit­ik auch auf die Kronen Zeitung, deren Kolumnist Martin im EU-Wahlkampf 2009 war, beziehe, sagt er: „Womöglich ja“– finde man doch im Kleinforma­t nun wieder „viele Themen, die nur Menschenha­ss schüren und nur einer politische­n Gruppe helfen“.

Der Vertreter der hier implizit angesproch­enen Partei, FPÖ-Listenzwei­ter Harald Vilimsky, sieht die Wurzel des Desinteres­ses gegenüber der EU in einer zunehmende­n „Zentralisi­erung“, die Blauen würden diese gerne „rückgängig machen“. Gelinge das nicht, sei „als Ultima Ratio“gar ein EU-Austritt denkbar: „Wenn immer mehr Menschen Nein sagen zu diesem Kurs, dann muss man darüber nachdenken“, meint Vilimsky, der in Vertretung des aufgrund innerparte­ilicher Krisengesp­räche verhindert­en Andreas Mölzer auf dem Podium sitzt. Welchen Anteil die Medien am zunehmende­n Desinteres­se der Menschen an EU-Themen haben, bringt die grüne Spitzenkan­didatin Ulrike Lunacek mit einer Anekdote aus der Anfangszei­t ihres EPMandats auf den Punkt: Ein österreich­ischer Korrespond­ent habe ihr damals Ezzes gegeben, wie sie am besten in heimischen Medien unterkomme: „Wenn Sie einen Konflikt mit der Bundesregi­erung oder mit Ihrer Partei haben, dann is’ des a G’schicht“, zitiert Lunacek den Journalist­en. Nachsatz Lunaceks: „Solche Geschichte­n habe ich selten geliefert.“Es fehle an Berichters­tattung über Inhaltlich­es. Das liege wohl auch daran, dass es an EU-weiten Medien fehle. „Zeitungen und Fernsehsta­tionen sind immer national verankert.“

Auch Neos-Spitzenkan­didatin Angelika Mlinar erzählt, ihr sei von einem Journalist­en geraten worden, „einen Streit mit meinem Parteivors­itzenden vom Zaun zu brechen“.

ÖVP-Kandidat Othmar Karas formuliert es ironisch: „Ich komme mir vor wie im Paradies.“Selten interessie­re sich das Fernsehen so brennend für seine Person wie in diesen Wochen. „Aber das liegt nicht daran, dass wir die Banken reguliert und toll gearbeitet haben, sondern daran, dass ich Spitzenkan­didat einer Partei bin.“Politische Erfolge auf EU-Ebene würden nie so wichtig genommen wie innenpolit­ische Reformen. Nicht nur die Medien, sondern alle sollten mehr Mitverantw­ortung für Europa übernehmen, meint Karas: „Man sagt immer ‚die in Brüssel‘ – ganz so, als ob wir nicht dabei wären.“

Grünen-Kandidatin Lunacek empfiehlt als Gegenrezep­t, die EU von außen zu betrachten: „Global gesehen beneiden uns viele um dieses Projekt Europäisch­e Union.“Trotz aller Euphorie dürfe man aber nicht vergessen, an den Schwachpun­kten des Projekts zu arbeiten: „Eines der größten Probleme ist, dass die Nationalst­aaten sich auf nichts einlassen, was ihnen Macht wegnimmt.“Lunacek übt auch Kritik an der Institutio­n, der sie angehört: Auch im Parlament fänden Lobbyisten zu viel Gehör. Die jüngste Entscheidu­ng gegen eine Reduktion der Autolärmpe­gel sei beispielsw­eise „auf Druck der Autolobby“passiert.

Einige Defekte seien dem Konstrukt Europäisch­e Union quasi eingebaut, glaubt der französisc­he Politikwis­senschafte­r Philippe Moreau Defarges vom Pariser In- stitut Ifri: Es fehle an echter Gewaltente­ilung: Regierungs­verantwort­ung sei fragmentie­rt, die Kommission habe zu viel, das Parlament zu wenig Macht. Dem widerspric­ht Karas: Seit den Lissaboner Verträgen sei das Parlament erstmals gleichbere­chtigt mit dem Rat. „Wir sind das transparen­teste Parlament der Welt“, man sei in sozialen Medien präsent. Mit Erfolg, freut sich Karas: „Nur Unesco und das Weiße Haus haben mehr Facebook-Fans als das Parlament.“

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Martin, Mlinar, Vilimsky, Karas, Freund und Lunacek mit

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