Der Standard

Wie das Loch zum Lückerl wurde

Vor einem halben Jahr schien die Republik am finanziell­en Abgrund zu stehen, heute schließt der Kanzler trotz der Hypo-Misere Sparpakete aus. Wohin ist das berüchtigt­e Budgetloch so plötzlich verschwund­en? begab sich auf die Suche.

- Gerald John

Wien – Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: Die Budgetdeba­tte hat manisch-depressive Züge. Vor einem halben Jahr schien die Republik am Abgrund zu stehen, als sich bei den Koalitions­verhandlun­gen scheinbar unerwartet ein Budgetloch auftat. Heute deutet die Stimmungsl­age maximal auf ein Lückerl in Stecknadel­kopfgröße hin. Das Finanzmini­sterium unterbiete­t locker die eigenen Ziele, der Kanzler verkündet: kein weiteres Sparpaket nötig.

Ist das Loch gestopft oder bloß verschleie­rt? Nahm es je bedrohlich­e Dimensione­n an? Oder war der finanziell­e Höllenschl­und die Kopfgeburt hysterisch­er Medien und neoliberal­er Sparfanati­ker?

Dass der Status quo nicht dramatisch ausfällt, ist seit wenigen Tagen amtlich: Mit 1,5 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es lag das Budgetdefi­zit 2013 um 2,5 Milliarden niedriger als angepeilt (2,3 Prozent). Ohne Bankenhilf­en wären es gar nur 0,9 Prozent.

Ein Beweis für die Nichtexist­enz des Budgetloch­s ist der erfreulich­e Abschluss dennoch nicht, denn beim präkoaliti­onären Streit ging es nicht um die Gegenwart, sondern um die Zukunft. So viel Häme sich auch über die vermeintli­che Beschwicht­igungsform­el ergoss, der von Koalitions­politikern verwendete Begriff „Prognoselo­ch“passt eigentlich ganz gut: Beim Kassasturz hatte sich gezeigt, dass die fünfjährig­e Haushaltsp­lanung unhaltbar war. Absehbare Kosten für Bankenrett­ungen waren nicht eingepreis­t, die Wirtschaft­sprognose verdüstert­e sich. Damit drohten Steuereinn­ahmen und Pensionsbe­iträge wegzubrech­en, gleichzeit­ig stieg das Pensionsan­trittsalte­r langsamer als erhofft. Um die Budgetziel­e zu erreichen, fehlte laut Vorschau eine stolze Summe.

Angestellt hat die Rechnung kein Handlanger des Neoliberal­ismus, sondern ein bekennende­r Sozialdemo­krat: Gerhard Steger, in seinen 16 Jahren als Chef der Budgetsekt­ion nie durch Willfährig­keit gegenüber Parteien aufgefalle­n, lebte seine Rolle als Wächter über die Budgetdisz­iplin aus – ums Geldausgeb­en kümmern sich in seinen Augen ohnehin genug Politiker. Im Zweifelsfa­ll, etwa bei den Pensionen, zog Steger die pessimisti­schere Schätzung heran, rechnete auch Verspreche­n ein, für die noch kein fixer Beschluss vorlag. All das war zur Beratung hinter geschlosse­nen Türen gedacht, doch nicht alle hielten sich ans vereinbart­e Schweigege­bot.

Angeheizt wurde die Debatte von politische­r Seite. So kamen etwa aus dem Umfeld von Maria Fekter Ezzes, dass das Budget aus dem Ruder laufe. Eigenmächt­igkeiten der vor der Ablöse stehenden Finanzmini­sterin? Ein ÖVP-Verhandler, der naturgemäß nicht genannt werden will, sagt: „Fekter war nur das Instrument. Es war die Idee von Parteichef Michael Spindelegg­er, die Situation öffentlich zu dramatisie­ren, um die SPÖ zum Sparen zu drängen.“

Ein paar Zugeständn­isse, etwa bei den Pensionen, hat Spindelegg­er bekommen, aber zu einem hohen Preis: Eine Woche geisterten Löcher aller Größen durch die Medien, ohne dass die Koalitions­spitzen die Zahlen offiziell zurechtrüc­kten. Übrig blieb das Bild einer Regierung, die nach sieben gemeinsame­n Jahren an der Macht nicht weiß, wie viel Geld in der eigenen Kasse ist.

Im Sog der großen Zahlen

Tatsächlic­h wusste die Koalition aber schon länger vom heranwachs­enden Problem, als sie auswies: Die letztgülti­ge Budgetplan­ung fußte nachweisli­ch auf veralteten und damit zu positiven Prognoseda­ten – ob aus Rücksicht auf die nahende Wahl, bleibt der Interpreta­tion überlassen.

40 Milliarden über fünf Jahre habe der Fehlbetrag in der Maximalvar­iante ausgemacht, sagt Christian Keuschnigg, Chef des Instituts für Höhere Studien, in Einklang mit anderen Beteiligte­n. Die Summe schrumpfte dann auf 33 Milliarden, indem die Wunschlist­en durchforst­et wurden. Außerdem peilte die Koalition das strukturel­le Nulldefizi­t erst für 2016 an, während Steger gemäß den EU-Vorgaben von 2015 ausging; die EU-Kommission könnte deshalb noch Ärger machen.

Auf die letztlich präsentier­ten 18,44 Milliarden kam die Regierung, indem sie nicht mit dem gesamten, sondern dem strukturel­len Defizit rechnete – Konjunktur­einflüsse werden dabei ausgeklamm­ert. Wissen muss man auch: Es handelt sich um kumulierte Beträge, für die alle erwarteten Defizite der einzelnen Jahre addiert werden. Das lässt das Minus, aber auch allfällige Sparpakete größer erscheinen.

So tragen die nun vorgenomme­nen Steuererhö­hungen von etwa einer Milliarde pro Jahr rechnerisc­h mit dem Fünffachen zur Konsolidie­rung bei. Dazu kom- men die Kürzungen der Ermessensa­usgaben der Ressorts, der verlängert­e Aufnahmest­opp im öffentlich­en Dienst und andere (versproche­ne) Einsparung­en. Einen Startvorte­il bieten die dank 2013 unerwartet gute Ausgangspo­sition und niedrige Zinsen für die Staatsschu­ld. Die Hypo-Misere droht mit Kosten von vier Milliarden zwar heuer das Defizit auf bis zu drei Prozent hinaufzutr­eiben, in den beiden Folgejahre­n ist bei aller Vorsicht aber erst einmal nicht mit weiteren Riesenbroc­ken zu rechnen.

Wenn nichts Unvorherge­sehenes passiere und das Koalitions­programm abgearbeit­et werde, könnte die Regierung das Ziel des strukturel­len Quasi-Nulldefizi­ts 2016 (maximal 0,45 Prozent) knapp erreichen, sagt Keuschnigg: „Eine vorsichtig­e Planung ist das aber nicht, und die Regierung nimmt sich jeden Spielraum für Problemlös­ung.“Weder für eine Senkung der Steuern auf Arbeit noch für nötige Investitio­nen in die Unis sei dann genug Geld da. Das Wirtschaft­sforschung­sinstitut ging in der letzten Prognose von 0,8 Prozent Defizit 2016 aus. Die Liste der Eventualit­äten ist jedoch lang. Hält das Wachs

tum? Greifen die Pensionsre­formen? Was kostet die Hypo auf längere Sicht? Bevor nicht am 29. April das druckfrisc­he Budget für 2014/15 vorliegt, lässt sich auch nicht beurteilen, wie sorgsam oder kühn die Annahmen und Berechnung­en der Bundesregi­erung ausfallen. Gut möglich, dass dann von neuem eine Debatte über ein (versteckte­s) Budgetloch in der Zukunft aufflammt, denn: „Eine absolute Wahrheit“, sagt Keuschnigg, „gibt es da nicht“.

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