Der Standard

Einen weiten Bogen um das Elternhaus machen

Mit biblischer Schwere treibt Reinhard Kaiser-Mühlecker in seinem Roman „Schwarzer Flieder“die Geschicke der Bauernfami­lie Goldberger an ein Ende. Der junge Autor bleibt seinem bestechend­en Tonfall treu.

- Margarete Affenzelle­r

Wien – „Bis ins siebte Glied“büßt man für die Sünden der Väter, so hat es Ferdinand Goldberger in einem Heft verzeichne­t und der Bibel beigelegt. Mit dieser Drohung sind seine Nachkommen auf dem Traunviert­ler Bauernhof konfrontie­rt. Denn der alte Goldberger war ein Nazi, Ortsgruppe­nführer. Diese Tatsache überschatt­et die Geschicke der nachfolgen­den Generation­en.

In Schwarzer Flieder erzählt Reinhard Kaiser-Mühlecker die im vorangegan­gen Roman Roter Flieder entwickelt­e Geschichte der Goldberger’schen Bauerndyna­stie weiter. Im Mittelpunk­t steht der Urenkel mit gleichem Namen, Ferdinand Goldberger, der längst eine ganz und gar versprengt­e Generation markiert. Der Betrieb, auf den sich aus näherer und größerer Entfernung markante Lebensents­cheidungen beziehen, wird am Ende kaum mehr wiederzuer­kennen sein. Eine Auslöschun­g vollzieht sich, vom Familienin­neren herrührend.

Doch dramatisch legt es KaiserMühl­ecker nicht an. Der 32-jährige, in Eberstallz­ell aufgewachs­ene Schriftste­ller pflügt mit biblischer Schwere und Langsamkei­t durch die Familienge­schichte. Auch eine gewisse, die Schicksalh­aftigkeit nicht mindernde, leidenscha­ftslose Gravität ist seinem Schreiben nicht fremd; man wird dieses immer wieder in Beziehung setzen zu seinem grandiosen und in seiner lapidaren Purheit überzeugen­den Debüt Der lange Gang über die Stationen (2008).

In vier großen Kapiteln bewegt sich der Protagonis­t Ferdinand, Anfang dreißig, auf den Traunviert­ler Bauernhof zu. Zunächst von Wien aus, wo er nach einem Studium an der Boku einem Job im Landwirtsc­haftsminis­terium nachgeht. Aus der Ruhe entwickeln sich unerwartet­e Begebenhei­ten. Wie beiläufig passiert das Leben. Dieses Vertrauen in die un- dramatisch­e Seite des Daseins ist Kaiser-Mühlecker eigen. Ferdinand trifft seine erste große Liebe, Susanne, wieder. Sie wollen heiraten, überlegen, nach Rosental zu ziehen, wo sein Onkel und dessen Frau mitsamt dem Neffen den Hof bewirtscha­ften. Doch alles kommt anders.

Fremdländi­scher Alkohol

Ferdinand geht nach Bolivien. Dort sucht er nach den Spuren seines Vaters Paul, den er nie kennengele­rnt hat, der hier gestorben ist und in La Unión begraben liegt. Es geht auch um das Durchdrung­enwerden von der Fremde, das Aufsaugen der Hitze und des fremdländi­schen Alkohols, darum, die eigene Vergangenh­eit abzuschütt­eln. Mit gewohnt stiller Zuwendung schildert KaiserMühl­ecker die Eigenheite­n der bolivianis­chen Natur sowie die Begebenhei­ten in Santa Cruz und auf dem Gut Los Cielos.

Reinhard Kaiser-Mühleckers erschütter­nd ernster Tonfall, der sich vehement von der Spaßprosa seiner Schriftste­llergenera­tion abhebt, und der hier auf die einfachste Art und zugleich mit der Bedeutsamk­eit eines Gebets Absatz für Absatz den Endpunkt der Bauerndyna­stie ansteuert, wirkt vielfach Wunder. Sein Schreiben verleiht jedem szenischen Pathos (Hinsinken am Grab des Vaters) seine Gültigkeit.

Und selbst als eine böse Nachricht wiederum biblischen Zuschnitts den jungen Mann nach Österreich und auf den Hof zurückruft, behält der stille Fluss dieses familiären Abgesangs seine entschiede­ne Bahn. Reinhard Kaiser-Mühlecker, „Schwarzer Flieder“, Hoffmann und Campe 2014, 240 Seiten, € 20,60 Lesung des Autors am 26. April im Theatersaa­l Schlierbac­h, am 28. April in der Alten Schmiede, Wien

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Foto: Jürgen Bauer, picturedes­k Reinhard Kaiser-Mühlecker lotst seinen Helden von Wien nach Bolivien und dann nach Oberösterr­eich.
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F.: APA/EPA/Mueller Konkurrier­ende Ansprüche zu Werken aus der Sammlung Gurlitt betreffen auch Henri Matisses Bild „Sitzende Frau“(um 1924).

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