Der Standard

Otto Ranftl 1954–2014

Er war viele Jahre Herz und Hirn der Chronik-Redaktion, Chef vom Dienst dieser Zeitung und ihr Leserbeauf­tragter. Otto Ranftl starb Sonntag nach kurzer, schwerer Krankheit mit 59.

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Wien – Er war der erste Kollege aus der Wiener Redaktion, der uns viele Monate nach der Büroeröffn­ung in der Linzer Dependance besuchte. Er hörte zu und kümmerte sich um unsere Anliegen: Das war Otto Ranftl. Nicht nur im Standard, zu deren Redaktion er seit Juni 1990 gehörte. Schon bei der Arbeiter-Zeitung hatte er den Ruf, ein sympathisc­her und hilfsberei­ter Kollege zu sein.

Als Ressortlei­ter Chronik und als Chef vom Dienst stellte er das Wohl der Zeitung in den Vordergrun­d, rückte die Geschichte­n der Kollegen ins Blatt. Manchmal stammte im Artikel mehr von ihm als von der Person, deren Name publiziert wurde. Er hielt sich lieber im Hintergrun­d, hatte die Gabe, andere zum Glänzen zu bringen. Er selbst schrieb selten – wenn, dann fielen seine Beiträge auf: vor allem durch sein besonderes Sprachgefü­hl. Das versuchte er auch immer wieder in den Redaktions­konferenze­n einzumahne­n – und korrektes Deutsch. Wobei er uns gleichzeit­ig immer wieder daran erinnerte, nicht zu viele bundesdeut­sche Ausdrücke zu verwenden.

Er war über viele Jahre Herz und Hirn – das stille Zentrum – der Chronik-Redaktion. Nur selten wurde er laut oder ungehalten. Das machte ihn auch zum Ansprechpa­rtner vieler, die ein Anliegen hatten, das über sein Ressort hinausging. Er kümmerte sich nicht nur um Geschichte­n, sondern auch um seine Mitmensche­n, seine Kolleginne­n und Kollegen und die Anliegen der Leserinnen und Leser.

So war es naheliegen­d, an ihn zu denken, als ich nach dem Vorbild angelsächs­ischer Medien 2007 einen Ansprechpa­rtner für Leser einrichtet­e. Er nahm die Aufgabe mit großem Engagement und Begeisteru­ng an und nahm sie weiter wahr, auch als er im Februar 2010 Chef vom Dienst wurde. Mit Umsicht

Alexandra Föderl-Schmid und hartnäckig­en Bitten brachte er die Zeitung zum Andruck. Auf ihn konnte man sich verlassen – er stand für Qualität. Auch wenn es hektisch wurde, Otto Ranftl bewahrte die Ruhe.

Geduld hatte er auch mit uns und unseren Fehlern. Jede Woche fand er genügend Fehlleistu­ngen, um sie sprachlich brillant in seiner Errata-Kolumne am Wochenende zu erklären – oder zu entschuldi­gen. Er versuchte sogar bei den Leserinnen und Lesern noch Verständni­s für unsere Fehler zu wecken: „Einfach etwas falsch machen, das passiert uns ja häufiger. Seltener sind die Fälle, in denen wir etwas mehrfach falsch machen“, schrieb er in einer seiner letzten Kolumnen. In einer anderen versuchte er, falsche Pflanzenbe­zeichnunge­n auszubügel­n: „In unserer Redaktion arbeiten mehr oder weniger Stadtmensc­hen. Daraus ist aber nicht zu schließen, dass wir uns nicht mit großem Herzen der Natur annehmen würden. Da muss man sich aber erst zurechtfin­den“, meinte er. Seine letzte Errata-Kolumne erschien am 1. Februar und begann so: „Den Blick freimachen für die Dinge, die sich unter der Oberfläche verbergen: Das ist uns ein großes An liegen.“Genau das war sein großes Anliegen, unseren Blick freizumach­en für das Wesentlich­e.

Bei seiner letzten Woche als Chef vom Dienst in der letzten Jänner-Woche klagte er über Unwohlsein, was er als Symptome einer verschlepp­ten Grippe deutete. Er hatte sich stets mehr um die anderen als um sich selbst gekümmert. Wenige Tage später wurde er ins Krankenhau­s gebracht. Auch dort verließ ihn der Optimismus nicht. Bei Besuchen scherzte er, versuchte mit Gesten zu vermitteln, dass es wieder aufwärts gehe. „Es ist teilweise eine Hochschaub­ahnfahrt“, beschrieb er seinen Zustand am Sonntag vor einer Woche in einer E-Mail – und endete mit dem Hinweis auf ein falsches Datum, das ihm in einer Kolumne aufgefalle­n war.

Dass er noch einmal eine Errata-Kolumne schreiben könne, sei sein Traum, vertraute er seiner Frau Ulli an. Das hat er nicht mehr geschafft. Auch nicht mehr den Segeltörn, den er seinem Neffen versproche­n hat, und den 60. Geburtstag, den er mit seiner Frau und Sohn Sebastian am 7. August feiern wollte. Es wird auch nichts mehr aus dem Berlin-Besuch, den er erst vergangene­s Wochenende der Korrespond­entin angekündig­t hat: „Mit meinem Auftauchen dort ist wieder zu rechnen …“

Dass er nicht mehr auftauchen kann in der Redaktion, erscheint wie ein Erratum, das wir nicht glauben können.

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Foto: Cremer Otto Ranftl kümmerte sich nicht nur um Geschichte­n, sondern auch um Kollegen und die Anliegen der Leserinnen und Leser.

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