Der Standard

„Besonders schwerer Eingriff in Privatsphä­re“

Der Europäisch­e Gerichtsho­f hebt die EU-Richtlinie zur Vorratsdat­enspeicher­ung als völlig überzogen auf. Die Kommission muss einen neuen Vorschlag vorlegen. Die Polizei wird Datenabfra­gen einschränk­en müssen.

- Thomas Mayer Michael Simoner

Peter von Dannwitz gilt als besonders penibler und scharfer Höchstrich­ter. Was er von der EU-Richtlinie zur Vorratsdat­enspeicher­ung aus dem Jahr 2006 hält, daraus hat er bereits bei der Hauptverha­ndlung der Kammer am Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) im vergangene­n Juli kein Geheimnis gemacht.

„Man nimmt nicht einen Presslufth­ammer, um eine Nuss zu knacken, wenn ein Nussknacke­r reicht. Man schießt nicht mit Kanonen auf Spatzen. Es geht darum, Kollateral­schäden zu vermeiden“, hielt der Deutsche dem anwaltlich­en Vertreter der österreich­ischen Regierung entgegen. Dieser hatte – eher kleinlaut – einräumen müssen, dass die Behörden in seinem Land 326 Zugriffe auf Kommunikat­ionsdaten von Privatpers­onen angeordnet hätten (siehe unten). Dabei ging es auch um minderschw­ere Delikte und nicht, wie eigentlich vorgesehen, nur um schwere Verbrechen und Terrorermi­ttlungen.

Richter von Dannwitz leitete das Verfahren nach mehreren Klagen in Österreich und Irland auf Bitte der nationalen Höchstgeri­chte um Vorabentsc­heidung. Am Dienstag hat der EuGH nun sein Urteil in dem aufsehener­regenden Fall, der die Datenschüt­zer europaweit seit Jahren mobilisier­t hatte, auch schriftlic­h veröffentl­icht. Es fällt eindeutig und relativ hart aus: zurück zum Start.

Die Verpflicht­ung der Staaten zur Vorratsdat­enspeicher­ung sei „ein besonders schwerwieg­ender Eingriff in die Grundrecht­e auf Achtung des Privatlebe­ns und auf Schutz personenbe­zogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt“. Die Richtlinie habe ihre Ziele deutlich verfehlt, sie sei „ohne Differenzi­erung und Einschränk­ung“.

Aus der Gesamtheit der Daten, die gezogen würden, ließen sich sehr genaue Schlüsse auf das Privatlebe­n der erfassten Personen ziehen, wie Ortsveränd­erungen, soziale Beziehunge­n etc. Auskunftsp­flichten seien nicht geregelt. Ein solcher „Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere“verstoße gegen EURecht und Grundrecht sagen die EU-Höchstrich­ter. Sie schließen sich auch dem Plädoyer des Generalanw­alts an, dass der mögliche Zeitraum der Datenspeic­herung (bis zu zwei Jahre) viel zu lang sei.

Bei Datenschüt­zern und NGOs löste das Urteil Jubel aus. Die Richtlinie muss nun von der EUKommissi­on neu erarbeitet werden. In Österreich muss der Verfassung­sgerichtsh­of prüfen, ob die bestehende Regelung mit dem EuGH-Erkenntnis in Einklang steht. Fest steht aber, dass die Polizei ihre bisherige Zugriffspr­axis radikal ändern muss. Aus vorliegend­en Daten geht hervor, dass die Exekutive auch gespeicher­te Telekomdat­en abgefragt hat, um etwa Stalking und andere leichtere Delikte aufzukläre­n. Genau diese Fälle sind aber laut Erkenntnis des EuGH massiv überzogen.

Innenminis­terin Johanna MiklLeitne­r (ÖVP) sagte am Dienstag, man müsse nun abwarten, zu welchem Schluss der österreich­ische Verfassung­sgerichtsh­of komme. Urteile seien aber „selbstvers­tändlich zu akzeptiere­n“. Im Justizmini­sterium in Wien hieß es, dass die derzeitige Regelung vorerst in Kraft bleibe. „Österreich habe die Richtlinie zur Vorratsdat­enspeicher­ung im Vergleich mit anderen Ländern „sehr maßhaltend umgesetzt“.

Die heimische Telekommun­ikationsbr­anche begrüßt das EuGH-Urteil. Für die technische Umsetzung der verplichte­nden Speicherun­g wurden rund 20 Millionen Euro ausgegeben. Dafür hat es auch Förderunge­n vom Bund gegeben.

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