Der Standard

Lauschangr­iff unter der Wasserober­fläche

Ein Wiener Biologe erforscht am Amazonas die Bioakustik von Fischen. Dabei erlebt er so manche Überraschu­ng – und nimmt auch die Laute von Flossenträ­gern auf, die bei Verfolgung­sjagden mit ihrem Gebiss klappern.

- Kurt de Swaaf

Zurzeit herrscht im brasiliani­schen Dschungel nicht unbedingt das beste Wetter. „Viel Regen“, meldet der Biologe Walter Lechner von der Universitä­t Wien, der sich momentan in der Urwaldmetr­opole Manaus aufhält. Die Pegel des Amazonas und seiner Zuflüsse steigen, wie immer zu dieser Jahreszeit. Das erschwert den Fischfang, den gewerblich­en wie den wissenscha­ftlichen. „Die Fische sind jetzt überall verstreut, auch im überflutet­en Wald.“

Für Lechner gibt es dennoch genug zu tun. Der Amazonas und vor allem das Gebiet um Manaus ist ein Eldorado für Fischforsc­her, berichtet er begeistert. „Es ist unfassbar, was hier vor der Tür herumschwi­mmt.“In ganz Österreich gibt es ungefähr 60 verschiede­ne Süßwasserf­isch-Spezies, erklärt der Experte. „Hier fange ich so viele an einem Nachmittag.“

Ein Grund für diesen Reichtum ist die Vielfalt an Gewässer-Ökosysteme­n in der Region. Nur wenige Kilometer von Manaus entfernt vereinigt sich der AmazonasHa­uptstrom mit dem ebenfalls gewaltigen Rio Negro. Das „Schwarzwas­ser“des Letzteren ist extrem nährstoffa­rm und verhältnis­mäßig klar. Die Farbe entstammt Huminstoff­en, die aus den angren- zenden Wäldern eingespült werden. Das „Weißwasser“des Amazonas dagegen ist stark mit Sedimenten aus den Anden beladen und dementspre­chend trüb. Neben den beiden großen Strömen gibt es im Umland der Stadt auch zahllose Nebenflüss­e, Urwaldbäch­e, Seen und Altarme. Viele mit ihrer eigenen, besonderen Fischfauna.

Artenreich­e Gruppen

Die Welse sind eine der artenreich­sten Gruppen im AmazonasEi­nzugsgebie­t. Zu ihnen gehören unter anderem auch die berüchtigt­en Candirus. Sie leben als Parasiten vom Blut anderer Fische, in deren Kiemen sie sich festsetzen. Candirus dringen manchmal in die Harnwege von badenden Menschen ein und verursache­n so üble Entzündung­en. Eine weitere skurrile Welsspezie­s ist der erst 1994 entdeckte Cetopsis oliveirai. Diese nur wenige Zentimeter langen Tiere sind blind und leben in den Tiefwasser­zonen des Hauptstrom­s, in die durch die Trübung kein Licht mehr vordringt. Mit seiner blassrosa Haut und den langen, tentakeläh­nlichen Flossen wirkt C. oliveirai eher wie eine Tiefseekre­atur als ein Flussbewoh­ner. Ein fasziniere­ndes Produkt der Evolution. Eine andere bisher noch nicht syste- matisch erfasste Kleinwels-Art hat ein für Fische vollkommen unübliches Habitat besiedelt. Sie lebt an Land, im feuchten Laub und macht dort anscheinen­d Jagd auf Insekten.

Walter Lechners Hauptinter­esse gilt aber nicht so sehr der Biodiversi­tät der Amazonas-Fische, sondern deren Hörvermöge­n und Lautäußeru­ngen – ein weites, bislang nur wenig beachtetes Forschungs­gebiet. Bis Sommer 2016 wird der Experte mehrfach nach Manaus reisen, um dort am Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia (INPA) zusammen mit brasiliani­schen Kollegen die Bioakustik verschiede­ner Fischspezi­es zu untersuche­n. Aquarienex­perimente in Wien und an der belgischen Partneruni­versität Liège sollen zusätzlich­e Erkenntnis­se liefern. Das Forschungs­projekt wird vom Wissenscha­ftsfonds FWF finanziert.

Viele Fische verfügen über ein ausgezeich­netes Gehör, auch wenn sie keine äußeren Ohren haben. Sie können damit potenziell­e Gefahren wahrnehmen und Beutetiere orten. Abgesehen davon kommunizie­ren viele Fischspezi­es über Schall mit ihren Artgenosse­n. Rotbauch-Piranhas (Pygocentru­s nattereri) zum Beispiel trommeln mit speziellen Muskeln auf ihre Schwimmbla­se im Körperinne­ren und bringen so verschiede­ne tiefe Töne hervor.

Laute als Drohgebärd­en

Diese Lautsignal­e dienen Laborbeoba­chtungen zufolge als Drohgebärd­e gegenüber anderen Piranhas, wenn sich die Tiere um Futter streiten (vgl.: Journal of Experiment­al Biology, Bd. 214, S. 3613). Weitere Geräusche produziere­n die Raubfische offenbar dadurch, dass sie mit ihren Kiefern knacken. Die dabei entstehend­en Klänge haben eine Frequenz von ungefähr 1740 Hertz und ertönen vor allem bei Verfolgung­sjagden. Der Urheber schnappt nach seinem Konkurrent­en und lässt dabei sein Gebiss klappern.

Die Gehörorgan­e von Fischen sind erstaunlic­h vielfältig gestaltet. Anders als bei den Säugetiere­n haben sich bei unterschie­dlichen Gruppen unterschie­dliche Systeme entwickelt, erklärt Walter Lechner. Am besten untersucht ist der Webersche Apparat, auch otophysisc­he Verbindung genannt, angelegt zwischen Schwimmbla­se und Innenohr. Er besteht aus einer Serie von Knöchelche­n. Von außen kommende Schallwell­en durchlaufe­n den Fischleib, wer- den von der Schwimmbla­se als Resonanzkö­rper aufgefange­n und als Schwingung­en über den Weberschen Apparat an das Innenohr weitergele­itet. Dadurch wird die Hörfähigke­it enorm verbessert, betont Lechner. Otophysisc­he Verbindung­en gibt es unter anderem bei Welsen und Salmlern, zu denen auch die Piranhas gehören, aber auch bei unseren heimischen Karpfen.

Um die Lautäußeru­ngen von unterschie­dlichen Fischarten in freier Natur zu belauschen, setzt Walter Lechner Unterwasse­rmikrofone ein. Am Amazonas hat er dabei schon die ersten Überraschu­ngen erlebt. Der in den Flüssen um Manaus sehr häufige Piracantin­ga (Calophysus macropteru­s), eine Welsspezie­s, hat eine teilweise rückgebild­ete und eingekapse­lte Schwimmbla­se. Lechner vermutete deshalb, dass die Fische mit ihre Schwimmbla­se keine Laute produziere­n könnten. Ein Irrtum. Die Tiere scheinen überaus „gesprächig“zu sein. Bei nächtliche­n Unterwasse­raufnahmen konnte der Forscher den regen Signalaust­ausch der Piracantin­gas mitschneid­en. „Die trommeln durchgehen­d.“

Inwiefern die Tonkommuni­kation von Flossenträ­ger womöglich durch Schiffslär­m oder andere menschenge­machte akustische Störungen beeinträch­tigt wird, will Walter Lechner in den kommenden Wochen untersuche­n. Diese unterschät­zte Form von Umweltvers­chmutzung könnte für Fischerei und Gewässerma­nagement ein ernsthafte­s Problem darstellen.

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Foto: Lechner Erfolgreic­her Fischfang am Rio Solimoes.

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