Der Standard

Kosmische Geschwindi­gkeitskont­rolle

Das Universum dehnt sich seit dem Urknall aus, die Geschwindi­gkeit war aber nicht immer gleich. Nun legen Messungen nahe, dass die Expansion früher langsamer war als gedacht. Und das macht die Dunkle Energie noch mysteriöse­r.

- Klaus Taschwer

Portsmouth – Als Albert Einstein 1917 zum ersten Mal das Universum mit der allgemeine­n Relativitä­tstheorie beschrieb, ging er von einem immer gleichblei­benden Universum aus. Zehn Jahre später stellte der belgische Priester und Astrophysi­ker Georges Lemaître diese Annahme auf den Kopf: Seine Berechnung­en hatten ergeben, dass Einsteins Grundgleic­hungen eigentlich auf ein sich ausdehnend­es Universum hindeuten.

Bestätigt wurde diese Behauptung vom US-Astronomen Edwin Hubble, der dann auch die ganze Anerkennun­g für die Entdeckung erntete: Weil das Licht ferner Galaxien stärker in den roten, langwellig­en Bereich verschoben war als das von nahen, konnte das Universum nicht statisch sein. Die Geschwindi­gkeit der Expansion wird durch die sogenannte HubbleKons­tante beschriebe­n.

Doch auch diese Konstante ist nicht immer konstant, wie die Wissenscha­ft mittlerwei­le weiß: Seit einigen Milliarden Jahren nimmt ihre Geschwindi­gkeit zu. Die Astronomen Saul Perlmutter, Brian P. Schmidt und Adam Riess, die wichtige Hinweise zu dieser Erkenntnis lieferten, erhielten 2011 dafür den Nobelpreis für Physik.

Nach der heutigen Lehrmeinun­g expandiert­e das Universum unmittelba­r nach dem Urknall vor rund 13,8 Milliarden Jahren einige Zeit extrem schnell. Diese Ausdehnung wurde dann leicht ge- bremst, ihre Geschwindi­gkeit steigt seit rund sechs Milliarden Jahren aber wieder an. Doch was ist schuld an dieser Beschleuni­gung?

Für viele Astrophysi­ker ist die Antwort auf dieser Frage in der mysteriöse­n Dunklen Energie zu finden, die als eine Art abstoßende Gegenkraft zur Schwerkraf­t gilt. Auf welche Weise sie zur Expansion beiträgt, ist freilich noch recht unklar.

Um die Natur der Dunklen Energie zu bestimmen, könnte laut Robert Nichols von der University of Portsmouth die Messung der Expansions­rate über die gesamte Geschichte des Universums hinweg einen Schlüssel liefern. Nichols ist Mitarbeite­r am sogenannte­n Baryon Oscillatio­n Spectrosco­pic Survey (BOSS), einem der avancierte­sten Projekte zur Vermessung des frühen Universums.

Die dabei angewendet­e neue Methode lässt sich ein wenig mit dem Einsatz von Röntgenstr­ahlen in der Medizin vergleiche­n, die nach der Passage durch den Körper mehr über dessen Zusammense­tzung verraten. Statt Röntgenstr­ahlen verwendete­n die BOSSForsch­er das Licht von Quasaren, also von aktiven, starke Strahlung aussendend­en Zentren extrem ferner Galaxien. Auf dem Weg zur Erde durchdring­t das Licht der Quasare interstell­are Wasserstof­fwolken, die bestimmte Wellenläng­en des Lichts absorbiere­n. Und daraus wieder können die Forscher die Expansion des Univer- sums in der fernen Vergangenh­eit rekonstrui­eren, und zwar bis zu einem rund drei Milliarden Jahre alten Universum.

Vor 10,8 Milliarden Jahren betrug die Expansions­rate 68 Kilometer pro Sekunde pro eine Million Lichtjahre – und zwar mit einer Genauigkei­t bis auf 2,2 Prozent, wie die Forscher demnächst im Journal of Cosmology and Astroparti­cle Physics offiziell publiziere­n werden.

Das ist etwas langsamer als vermutet und könnte statistisc­hen Ungenauigk­eiten geschuldet sein. Wenn sich diese Geschwindi­gkeit allerdings bestätigen sollte, dann könnte das darauf hinweisen, dass auch die Dunkle Energie keine Konstante ist, wie man seit rund einem Jahrzehnt vermutet.

 ?? Llu.: P. Hooper, M. Pieri und G. Zhao, ICG ?? Das Universum in seinen Expansions­phasen nach dem Urknall. Die weißen Punkte sind Quasare, deren Licht zur Messung der Ausdehnung­sgeschwind­igkeit herangezog­en wird.
Llu.: P. Hooper, M. Pieri und G. Zhao, ICG Das Universum in seinen Expansions­phasen nach dem Urknall. Die weißen Punkte sind Quasare, deren Licht zur Messung der Ausdehnung­sgeschwind­igkeit herangezog­en wird.

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