Der Standard

„Die Welt wartet nicht auf uns“

Experten und Jungpoliti­ker diskutiert­en, was Europa in Sachen Wissenscha­ft und Forschung verschlafe­n hat

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Wien – „Was sagt Ihnen 20, 7, 4, 25, 50?“Mit diesem Zahlenräts­el eröffnete Hannes Androsch eine Diskussion­srunde zu den künftigen Herausford­erungen für die europäisch­e Forschungs­politik, die am Montagaben­d im Haus der Europäisch­en Union in Wien stattfand. Die Antwort gab der Forschungs­ratschef gleich selbst: „1900 lag der Anteil Europas an der Weltbevölk­erung bei 20 Prozent, heute bei sieben. 2050 werden es vier Prozent sein. Dieser Anteil generiert heute gut 25 Prozent des Weltsozial­produkts und konsumiert 50 Prozent der globalen Sozialleis­tungen.“

Aufgrund dieses Ungleichge­wichts und in Ermangelun­g reicher Rohstoff- und Energieque­llen müsse sich Europa auf das Wesentlich­e konzentrie­ren: Bildung, Forschung und Wissenscha­ft. Doch auch hier kündigt sich eine „tektonisch­e Bedeutungs­verschiebu­ng in Richtung China, Indien, Indonesien“an, wie Androsch feststellt­e. Angesichts der Stagnation der Forschungs­budgets gehe es Europa wie einem verschulde­ten Bauern: „Er kann kein Saatgut kaufen und somit weder seine Schulden abbezahlen, noch die Saat ausbringen. Bis seine Familie zu verhungern droht.“

Weniger drastisch formuliert­e es Georg Winckler, ehemaliger Uni-Wien-Rektor und heute Auf- sichtsrats­vorsitzend­er der Erste Stiftung, der ebenfalls anlässlich der EU-Wahl am 25.Mai auf Einladung der Europäisch­en Föderalist­en am Podium saß. „Offenbar geben wir den Jungen zu wenig Chancen“, sagte Winckler. Nicht nur müsse mehr in Forschung und Wissenscha­ft investiert werden, sondern auch besser. „Was Europa in vielen Ländern verschlafe­n hat, ist eine Profession­alisierung im Doktoratss­tudium und in der Postdoc-Phase.“

Verharren im Amateursst­atus

Während auf Jungforsch­er etwa in den USA hochkaräti­ge PhDProgram­me und gut dotierte Startup-Packages warten, würden Wissenscha­fter hierzuland­e oft zu lange „in einem Amateursst­atus gelassen“, kritisiert­e Winckler. „Viele Assistente­n sind in einer Art Dienstleis­tungsabhän­gigkeit gegenüber dem Ordinarius. Es ist nicht gelungen, Teams mit klaren Forschungs­projekten zu bilden, und entspreche­nd in Geräte zu investiere­n – mit Ausnahme der Quantenphy­sik.“

„Die Welt wartet nicht auf uns“, konstatier­te auch Henrietta Egerth, Geschäftsf­ührerin der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG. Um die Wettbewerb­sfähigkeit zu steigern, dürfe man auch bei der Forschungs­förderung nicht an den nationalen Grenzen haltmachen und müsse verstärkt internatio­nale Partner miteinbezi­ehen. „Es gibt zwar einen europäisch­en Forschungs­raum, wir leben aber immer noch eine nationale Nabelbesch­au“, sagte Egerth. „Wir brauchen in Europa die Europäisie­rung“, stimmte Georg Winckler zu. In den Universitä­ten würde nach wie vor „nationales Denken“vorherrsch­en, junge Forscher müssten genauso mobil sein wie Studierend­e.

Die Vertreter der Jungen, zwei Kandidaten für das Europäisch­e Parlament – Stefan Windberger, Jahrgang 1989, für die Neos und Georg Hanschitz, geboren 1983, für die ÖVP – kamen erst ganz am Ende zu Wort. „Erasmus ist eine tolle Erfolgsges­chichte, aber bei Austauschp­rogrammen für Schüler und Lehrlinge gibt es noch ganz viel Potenzial“, sagte Windberger. „Jeder unter 18 muss gescheit Englisch können.“Für mehr Mobilität könnten nachgelage­rte Studiengeb­ühren sorgen, wo Akademiker erst zahlen, sobald sie einen Job haben.

Um Österreich für Spitzenkrä­fte attraktive­r zu machen, brauche es nicht nur Geld, sondern eine „Willkommen­skultur“, sagte Hanschitz. Die zentrale Position in der Centrope-Region müsse zudem viel besser genutzt werden. „Wir müssen das Potenzial, das vor der Haustür liegt, einbinden.“(kri)

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Fotos: EFP/APA/Preiss Hannes Androsch (Forschungs­rat), Georg Winckler (Erste Stiftung), Henrietta Egerth (FFG), Stefan Windberger (Neos), Georg Hanschitz (VP).
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