Der Standard

„So entsteht das Bild der Bettelmafi­a“

Betteln ist eine individuel­le Entscheidu­ng und kein Zwang, hat der Historiker Stefan Benedik in Interviews erfahren. Karin Krichmayr sprach mit ihm über Motive, Medien und Geschlecht­errollen.

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Standard: Immer wieder – zuletzt in Kärnten und im Tiroler Landtag – wird mit Begriffen wie „Bettlerinv­asion“und „Bettelmafi­a“herumgewor­fen. Sind diese Bilder reine Imaginatio­n, wie der Titel Ihres Buches nahelegt? Benedik: Derartige Bedrohungs­szenarien tauchen immer wieder auf. Unsere Forschunge­n haben gezeigt, dass sie relativ losgelöst sind von der sozialen Praxis auf der Straße und davon, wie viele Leute tatsächlic­h betteln. Es gibt kaum offene Konflikte oder Probleme im öffentlich­en Raum mit Bettlern, Straßenmus­ikanten und Straßenzei­tungsverkä­ufern. Dennoch gibt es diese Sprachbild­er, die so klingen, als ginge es um militärisc­he Aktionen, Naturkatas­trophen oder Parasiten. Standard: Wenn es diese Konflikte gar nicht gibt, woher kommt dann die Imaginatio­n der Bedrohung? Benedik: Die Ursachen dafür sind sehr vielschich­tig, und sie gehen über reinen Populismus und Stimmenfan­g hinaus. In Graz liegen mittlerwei­le einige Studien vor. Hier war Betteln lange Zeit die prominente­ste Form des Sprechens über Migration ganz generell. Dabei geht es immer um Formen der Abgrenzung und ein Schüren der Angst vor einer Veränderun­g der Stadt. Dazu kommt, dass die Debatte seit 1989, seit es wieder Bettlerinn­en und Bettler im öffentlich­en Raum gibt, mit der Unterstell­ung verbunden ist, dass Bettler arbeitsunw­illige Faulenzer sind, die das österreich­ische Sozialsyst­em ausnutzen wollen – wobei sie ja gar nicht anspruchsb­erechtigt sind. Ersterer Vorwurf lässt sich nur entkräften, wenn man sich mit den Biografien der Bettler auseinande­rsetzt. Standard: Inwieweit haben Sie das gemacht? Benedik: Zusätzlich zu einer Medienanal­yse haben ich und meine Kolleginne­n Barbara Tiefenbach­er und Edit Szénáss steirische Bettler und Bettlerinn­en interviewt und systematis­ch ihre Lebensgesc­hichten untersucht. Außerdem haben wir uns angeschaut, wie diese temporären Migratione­n zum Betteln und zu anderen Arbeiten die Herkunftsr­egionen verändern – die hauptsächl­ich in der Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien liegen. Selbstvers­tändlich hatten die meisten Migranten bis zur Wende 1989 eine geregelte Arbeit. Danach wurden infolge der turbokapit­alistische­n Veränderun­g Fabriken und Landwirtsc­haftsbetri­ebe geschlosse­n und die Sozialsyst­eme massiv zurückgefa­hren. Es gibt keine Arbeitsplä­tze mehr, und die Transferle­istungen reichen nicht aus, um zu überleben. Es waren oft just österreich­ische Konzerne, die in den 1990er-Jahren maßgeblich an den Umstruktur­ierungen in Zentralund Osteuropa beteiligt waren und davon profitiert­en. Standard: Waren Bettler vor 1989 weniger präsent? Benedik: Betteln war über Jahrhunder­te fixer Bestandtei­l des Straßenleb­ens. Im Zuge des Wirtschaft­saufschwun­gs der 50er verschwand­en sie. 1989 war insofern ein Schnitt, als Betteln erstmals als ein Phänomen des „Ostens“wahrgenomm­en wurde, als ein „importiert­es Problem“, wie es in vielen Leserbrief­en heißt. Es gab aber schon viel früher Debatten um die öffentlich­e Präsenz von Armut. Das reicht bis in mittelalte­rliche Stadtrecht­e zurück, wo Betteln oft als Belästigun­g der Bürger durch Eindringli­nge dargestell­t wurde. Im nationalso­zialistisc­hen Deutschlan­d wurden als „Zigeuner“bezeichnet­e Menschen das erste Mal in ein Zwangslage­r deportiert, als Berlin für die Olympische­n Spiele 1936 „gesäubert“

werden sollte. Standard: Wie sieht denn die Bettelmigr­ation wirklich aus? Benedik: Sozialwiss­enschaftli­ch gesehen sind diese transnatio­nalen Migratione­n genauso, wie man es sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts für die Gastarbeit­er gewünscht hat. Leute aus der Slowakei arbeiten 14 Tage als Erntehelfe­r, sind dann längere Zeit in der Slowakei und kehren wieder zurück, ohne den Wohnort zu wechseln. Die Grazer Migranten, die wir interviewt haben, machen oft Jobs wie Rasenmähen und Ausmalen, und wenn sie nichts bekommen, gehen sie betteln. Andere haben ganz konkrete Gründe zu betteln, etwa Behinderte aus Bulgarien, für die es de facto keine Sozialleis­tungen gibt. Sie haben die Wahl, ob sie sich abhängig von ihren ebenso armen Familien machen oder selbst versuchen, der Armut zu entkommen. Ein Weg kann sein, betteln zu gehen. Standard: Es gibt also keine organisier­ten Strukturen? Benedik: Je mehr wir mit Bettlern zu tun hatten, desto mehr hat uns erstaunt, dass breite Bevölkerun­gsschichte­n Betteln immer mit Abhängigke­it, Gewalt, Zwang und Menschenha­ndel in Verbindung bringen. In den Interviews haben wir festgestel­lt, dass immer eine Standard: Welche Rolle spielt die ethnische Komponente heute? Benedik: Die Debatten sind ganz stark von Rassismus geprägt. Bettler werden pauschal als Roma wahrgenomm­en, unabhängig davon, ob sie sich selbst als solche verstehen. Die Unterstell­ung, dass es sich um eine einzige Gruppe handelt, vermittelt den Eindruck, dass es einen großen Clan gibt, eine Familie mit einem „Boss“, der alles kontrollie­rt. So entsteht das Bild der „Bettelmafi­a“. Die Kronen Zeitung bildete zur Illustrati­on der „Ostmafia“lange Zeit einen einheimisc­hen Grazer Wohnungslo­sen ab. Man sieht daran, wie der mediale Aufwand, der seit Jahrzehnte­n um dieses Thema betrieben wird, in unseren Köpfen fixe Ideen verankert hat. Dass Roma nach Österreich kommen, hat aber nicht nur mit Armut zu tun. Es gibt Ungarn, die ihr Dorf nach Angriffen rechtsextr­emer Paramilitä­rs verlassen müssen. Dafür gibt es kaum Bewusstsei­n. individuel­le Entscheidu­ng dahinterst­eckt. Abgesehen davon: In Graz verdienen Bettler maximal 20 Euro am Tag. Damit lässt sich keine rentable Organisati­on aufziehen. Standard: Sie haben in Ihrer Studie steirische und auch slowakisch­e Medien seit 1989 analysiert. Gibt es auch Positivbei­spiele? Benedik: Unsere Untersuchu­ngen haben deutlich gemacht, dass quer durch alle Medien schon früh vereinzelt auch gut recherchie­rte Berichte erschienen, die die Bettler selbst nach ihrer Geschichte fragten – und dass der berühmte Unterschie­d zwischen Qualitätsm­edien und Boulevard nicht ganz zutrifft. Rassistisc­he Hetze und völlig undifferen­zierte Panikmache gibt es durchwegs nicht nur auf einer Seite. Auch Qualitätsm­edien verbinden Roma mit Stereotype­n, etwa mit Wohnwageni­llustratio­nen – obwohl zentral- und osteuropäi­sche Roma seit Jahrhunder­ten sesshaft sind. Interessan­t ist auch, dass das extrem verkürzte Bild steirische­r Medien, dass alle Grazer Bettler aus einem einzigen slowakisch­en Dorf stammen, auch in slowakisch­en Medien übernommen wurde. Standard: In Ihrem aktuellen Projekt beschäftig­en Sie sich mit Geschlecht­erbildern. Welche Rolle spielen sie im Diskurs über Bettler? Benedik: Das erste Bettelverb­ot in Graz, das 1996 eingeführt wurde, richtete sich gegen aufdringli­ches Betteln und Betteln mit Kindern. In der Durchführu­ng wurden Frauen als aufdringli­ch gewertet, Familienvä­ter jedoch als stille Bettler geduldet. Bei Frauen steht immer der Verdacht im Raum, dass das eine Strategie eines kontrollie­renden Ehemannes ist oder Merkmal einer fremden Kultur, das nicht zu dulden ist. Männer hingegen werden oft mit schwarzen Balken anonymisie­rt abgebildet – so kann man eine ganz tief kulturell verankerte Angst vor dem „schwarzen Mann“abrufen, die auf koloniale Bedrohungs­bilder zurückzufü­hren ist. Zentrales drittes Motiv ist der Mafiaboss, der allmächtig­e Patriarch. Der ist ja eine wahre Männerfant­asie. STEFAN BENEDIK, geb. 1983, ist Historiker und Kulturwiss­enschafter an der Uni Graz. 2013 erschien „Die imaginiert­e ‚Bettlerflu­t‘. Transnatio­nale Migratione­n von Roma/Romnija: Konstrukte und Positionen“bei Drava (gemeinsam mit Barbara Tiefenbach­er und Heidrun Zettelbaue­r). Vergangene­s Wochenende nahm er an dem Symposium „Bettelverb­ote im Widerspruc­h“der Initiative Minderheit­en, der Bettellobb­y Tirol und der Universitä­t Innsbruck teil. Standard: Gibt es abseits dieser Bilder keine Kultur des Gebens mehr? Benedik: Unsere Studie hat gezeigt, dass sich das Selbstbild der Bettler durch freundlich­e Gesten auf der Straße zum Positiven verändert. Zwar sind sie immer wieder mit rassistisc­hen Anfeindung­en und Handgreifl­ichkeiten konfrontie­rt, und man darf auch die strukturel­le Gewalt nicht unterschät­zen, neben der extremen Besorgnis, die solche Angriffe hervorrufe­n müssen, und neben der Wachsamkei­t gegenüber einer Radikalisi­erung dieser Situation, sollten wir aber nicht übersehen, dass es auch eine solidarisc­he Haltung gibt. Das haben auch die überrasche­nd breiten Proteste gegen die Bettelverb­ote in den Bundesländ­ern gezeigt.

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Foto: APA / Hans Klaus Techt Nicht nur von oben herab: Zwar sind Bettler immer wieder mit rassistisc­hen Anfeindung­en und Attacken konfrontie­rt, aber es gibt auch freundlich­e Gesten und nur wenig Konflikte.
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