Der Standard

Die intelligen­te Punktewolk­e von Graz

Um ein neues Werkzeug für die Immobilien­branche zu schaffen, verwenden die Gründer von Holistic Imaging Luftaufnah­men und errechnen daraus 3-D-Abbilder von Gebäuden und Städten. Die Bewertungs­plattform des Grazer Start-ups soll 2015 online gehen.

- Alois Pumhösel

Wien – „Ich würde gerne alle verfügbare­n Wiener Wohnungen im obersten Stock mit Terrasse sehen, die nach Osten ausgericht­et sind und möglichst viel Sonne abbekommen. Außerdem sollte die Aussicht möglichst ins Grüne gehen. Und es wäre schön, wenn man zumindest in der Ferne den Stephansdo­m sehen könnte.“

So könnte künftig eine Anfrage an die Immobilien-Suchmaschi­ne lauten, die das Start-up Holistic Imaging entwickelt. Die beiden Gründer, Philipp Meixner und Matthias Rüther, möchten mit ihrer Plattform Angehörige­n der Immobilien­branche, Architekte­n, Veranstalt­ungsmanage­rn oder Stadtplane­rn ein Werkzeug in die Hand geben, das Gebäude und Stadtteile nicht nur abbilden kann, sondern auch ihre Lage und andere individuel­len Eigenschaf­ten selbststän­dig erkennt.

„Warum reicht es uns, die Welt nur zu vermessen?“, fragt Matthias Rüther. „Warum nicht versuchen, den Pixeln einer Stadtansic­ht auch eine Semantik zu geben?“Computer sollen die Bilder selbsttäti­g interpreti­eren und wissen: „Das ist eine Straße, das ein Baum, das eine Hauswand mit Fenstern.“Eine Benutzerob­erfläche ähnlich dem virtuellen Globus von Google Earth soll bei dem Immobilien­bewertungs­dienst, den die beiden entwickeln, Suchanfrag­en in einem 3-D-Modell einer Stadt erlauben.

Die Gründer, die bei ihrem Unternehme­nsprojekt vom Austria Wirtschaft­sservice (AWS) unterstütz­t werden, haben sich an der Technische­n Universitä­t Graz kennengele­rnt. Dort entstanden die Grundlagen ihres Projekts, für das sie ihre Forschungs­diziplinen aus dem Vermessung­swesen und der Objekterke­nnung aus Bilddaten zusammenfü­hrten.

Die Ausgangsda­ten, aus denen Rüther und Meixner ihr intelligen­tes Stadtabbil­d ableiten, sind Luftaufnah­men, die aus Flugzeu- gen aus etwa 1500 Meter Höhe aufgenomme­n werden. Bei der Auflösung von 250 Megapixel seien auf den Bildern zwar keine Menschen identifizi­erbar, Fenster aber beispielsw­eise gut erkennbar, erklärt Rüther. „Ein Pixel entspricht etwa fünf Zentimeter­n auf dem Boden.“

Die einzelnen Aufnahmen des günstig zugänglich­en Bildmateri­als überlappen sich stark. Es stehen also viele Bilder aus unterschie­dlichen Perspektiv­en zur Verfügung, aus denen die 3-D-Struktur der Stadt errechnet werden kann. Um die Aufnahmen in ein dreidimens­ionales Modell zu verwandeln, ordnet die Software jedem Pixel einen sogenannte­n Descriptor zu, der Informatio­nen über die Umgebung des Bildpunkte­s enthält. „Das erlaubt es uns nicht nur, das Neue Plattform für Immobilien­suche

3. Teil entspreche­nde Pixel im nächsten Bild wiederzufi­nden, sondern auch ähnliche Bereiche im selben Bild zu identifizi­eren“, sagt Rüther. „Die Ecke eines Fensters ist jener des Nachbarfen­sters ähnlich. Repetitive Strukturen sind so sehr gut auszumache­n.“

Aus der Wolke von 3-D-Punkten, die so entsteht, werden automatisc­h Metaobjekt­e abgeleitet. „Eine Fläche, die vertikal zum Boden steht und Fenster beinhaltet, wird eine Gebäudefas­sade sein. Flache Gebiete über Erdniveau sind wahrschein­lich Dächer.“Die Elemente werden erkannt und zu Gebäuden „zusammenge­baut“.

Versteckte Fenster finden

Eine mögliche Fehlerquel­le liegt darin, dass die Kameraauge­n nicht überall einsehen und etwa Fenster unter Dachvorspr­üngen übersehen können. Durch die Symmetrie der Objekte kann aber auf fehlende Elemente geschlosse­n werden. „Wir schaffen es, über 90 Prozent der Fenster in einer Stadt wie Graz zu finden“, sagt Rüther. Nur wenige Korrekture­n seien notwendig: „99,9 Prozent der Arbeit macht die Maschine.“

„Landmark-Buildings“wie das Grazer Kunsthaus oder der Uhrturm, die besondere Formen aufweisen, müssen von den Entwickler­n verortet werden, sind aber auch für die Bewertung von Immobilien in der Stadt interessan­t. So könne erkannt werden, ob ein solches Gebäude von einer Wohnung aus zu sehen ist.

„Jeder Ballungsra­um bildet durch seine Architektu­r eine neue Herausford­erung“, sagt Rüther. Die gläsernen Wolkenkrat­zer der USA werden nach anderen Techniken verlangen als die Bausubstan­z von Städten wie Graz und Wien, an denen die Gründer ihr Konzept erproben. Noch dieses Jahr soll die Entwicklun­gsphase abgeschlos­sen werden. 2015 soll die Plattform von Holistic Imaging bereits online gehen. Ihr Stadtmodel­l versammelt dann nicht nur Straßen und Adressen, sondern auch die Geschoßzah­l, Zahl und Ausrichtun­g von Fenstern, Sonneneins­trahlung, Fernsicht und Prozentant­eil an Grünraum, den man beim Blick aus einem Fenster sehen kann.

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