Der Standard

Der Diskurs des Antisemiti­smus

Alexandra Preitschop­f untersucht muslimisch­e Onlinemedi­en in Frankreich

- David Rennert

Europas größte jüdische Gemeinde befindet sich heute in Frankreich. Noch, denn die Zahl der Auswandere­r nach Israel nimmt in den letzten Jahren stetig zu. 2013 verließen mehr als 3000 französisc­he Juden das Land, im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um 63 Prozent. Für viele ist der zunehmende Antisemiti­smus ein zentraler Beweggrund für die Emigration.

„Ab dem Jahr 2000, zeitgleich mit der sogenannte­n Zweiten Intifada, ist eine deutliche Zunahme antisemiti­scher Angriffe und Gewalttate­n festzustel­len – die vielfach von muslimisch­en Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n ausgehen“, sagt Alexandra Preitschop­f. Die 1987 in Oberösterr­eich geborene Historiker­in untersucht im Rahmen ihrer Dissertati­on zeitgenöss­ischen Antisemiti­smus unter Muslimen in Frankreich. Oft werde in diesem Zusammenha­ng ein „Import des Nahostkonf­likts“in die französisc­hen Vorstädte diskutiert, wo besonders viele Menschen mit muslimisch­em Hintergrun­d leben.

Denn obwohl die meisten französisc­hen Muslime mit Migrations­hintergrun­d aus anderen Regionen stammen, sei die Solidarisi­erung mit den Palästinen­sern extrem stark. „Es gibt eine immense Identifika­tion, die wiederum häufig stark israelfein­dlich ist. Oft wird das dann übertragen auf die französisc­hen Juden“, so Preit- schopf. Als Erklärungs­modell allein greife die Importthes­e aber zu kurz. Vielmehr liege die Problemati­k zu einem wesentlich­en Teil auch in innerfranz­ösischen Entwicklun­gen und Wandlungsp­rozessen innerhalb der europäisch­en islamische­n Gesellscha­ften begründet. In ihrer mit dem MarieAndeß­ner-Stipendium der Universitä­t Salzburg geförderte­n Arbeit fokussiert Preitschop­f auf Medien- und Diskursana­lysen: Sie untersucht die Berichters­tattung französisc­her muslimisch­er Onlinemedi­en, deren Social-MediaAuftr­itte und Internetfo­ren sowie Rapmusik. Letztere deshalb, weil sie andere Zielgruppe­n anspricht als die großen Nachrichte­nporta- le. „Es gibt gewisse Muster, die sich ständig wiederhole­n“, so Preitschop­f. Nach antisemiti­schen Gewalttate­n tauchten häufig abstruse Verschwöru­ngstheorie­n auf, die antimuslim­ische Hintergrün­de behaupten. Etwa in der medialen Debatte um den Attentäter Mohammed Merah, der 2012 sieben Menschen ermordete, darunter drei jüdische Kinder.

Viele Muslime würden nicht bestreiten, dass es in Frankreich Antisemiti­smus gibt, aber oft werde eine abwehrende Konkurrenz­haltung eingenomme­n: Die Islamfeind­lichkeit sei eigentlich viel schlimmer, der Staat unterstütz­e aber immer nur die Juden. Besonders deutlich werde dies in Debatten über die Gedenkkult­ur, sagt Preitschop­f. So würden Forderunge­n nach öffentlich­er Erinnerung an die Opfer der französisc­hen Kolonialpo­litik häufig mit Kritik am Holocaustg­edenken verknüpft. „Die völlig berechtigt­e Forderung nach Anerkennun­g und gesellscha­ftlicher Teilhabe äußert sich oft über Antisemiti­smus“, so die Historiker­in.

Holocaustr­elativieru­ngen und die Verspottun­g jüdischer Opfer sind die Folge. Ein Symptom dieser Tendenz sei etwa der Erfolg des Komikers Dieudonné, der für sein antisemiti­sches Programm zuletzt Auftrittsv­erbote erhielt. „Er greift vorhandene Denkmuster auf, weiß sehr genau, was gehört werden will, und macht damit ein gutes Geschäft.“Und inszeniert sich hinterher selbst als Opfer.

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Foto: privat Alexandra Preitschop­f: „Dieudonné ist ein Symptom.“

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