Der Standard

„Knurrigkei­t ist gut für den Kreislauf “

Erzählt von einer Jüdin im Polen der 1960er-Jahre. Bert Rebhandl sprach mit ihm über Frauenfigu­ren, Glauben und die Lage in seiner Heimat. Ungarn als „Führer-Demokratie“„Ida“, der preisgekrö­nte neue Film von Regisseur Pawel Pawlikowsk­i,

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Wien – Kurz vor den ewigen Gelübden wird in Pawel Pawlikowsk­is Ida die junge Nonne gleichen Namens noch einmal in die Welt hinausgesc­hickt. Sie trifft ihre Tante und stellt sich ihrer Familienge­schichte. Es ist die Geschichte polnischer Juden, die Eltern und der Bruder wurden ermordet. Ida ist ein „period picture“der besonderen Art, eine Erinnerung an den kulturelle­n Aufbruch in Polen in den 1960er-Jahren. Standard: Ihr Film „Ida“überrascht sowohl thematisch als auch formal. Christlich­e Frömmigkei­t, jüdisches Trauma und Schwarzwei­ß – wie kamen Sie auf diese unzeitgemä­ße Kombinatio­n? Pawlikowsk­i: Ich würde vielleicht drei Motive nennen. Auf einer naiven Ebene hatte ich einfach den Wunsch, einen Film in Polen zu machen. Ich war 14, als ich das Land verließ. Jetzt kehre ich zurück, und zwar fast noch mehr in einem historisch­en als in einem geografisc­hen Sinn. In eine Atmosphäre, die ich als Kind sehr unbefangen und sinnlich erlebt habe: bestimmte Musikstück­e oder den Eindruck von Straßenbah­nen in der Stadt oder das Wartburg-Auto, ein Exportstüc­k aus der DDR. Ich habe auch eine Nostalgie für diese Zeit, weil es die Zeit meiner Eltern war. Die Leute waren trau- matisiert durch den Krieg und den Stalinismu­s. Zu Beginn der 1960er-Jahre tauchte eine neue Energie auf. Standard: Was waren die anderen beiden Motive? Pawlikowsk­i: Ein stärker intellektu­elles Motiv war die Frage, was es heißt, in Polen katholisch zu sein. Ist dieses Christentu­m mehr als nur eine tribalisti­sche Abgrenzung? In Polen ist die katholisch­e Kirche stark durch bestimmte Ausschluss­mechanisme­n behindert. Jesus war Jude, aber auch Universali­st. Ida ist Jüdin christlich­en Glaubens. Ihr Glaube wird geprüft. Das war auch ein Element. Und das dritte Motiv war die Figur von Wanda, der kommunisti­schen Staatsanwä­ltin. Eine Frau voller Widersprüc­he. Hier interessie­rte mich: Was passt alles in ein Leben? Vor allem bei Menschen, die voller Energie sind? Kann man mehrere Leben leben? Standard: Das auffälligs­te stilistisc­he Merkmal von „Ida“ist das Schwarzwei­ß. Steckt darin auch eine Hommage an das polnische Kino der Zeit, an den frühen Wajda zum Beispiel? Pawlikowsk­i: Andrzej Wajda nicht wirklich. Er ist ganz anders, ich weiß nicht einmal genau, was sein Stil ist. Er ist explizit und rhetorisch in seiner Filmsprach­e, das meine ich durchaus positiv. Nein, Ida ist eher eine Hommage an die Fotoalben unserer Familie, die sind nun einmal schwarzwei­ß. So war die Welt damals. Und es ist eine Hommage an die polnische Jazzmusik dieser Zeit. Polen war damals kulturell einfach sehr lebendig, denken Sie an Tadeusz Kantor oder Jerzy Grotowski. Dieses Selbstbewu­sstsein ist heute nicht mehr so da. Wenn es filmische Einflüsse für Ida gab, dann eher von Dreyer oder Bresson. Standard: Ich habe gelesen, dass Sie lange nach der Hauptdarst­ellerin Agata Trzebuchow­ska suchen mussten. Pawlikowsk­i: Ich suchte zwei Schauspiel­erinnen, die zusammenpa­ssen mussten. Für Wanda brauchte ich eine brillante Schauspiel­erin, die eine Figur mit vielen Gesichtern spielen konnte. Agata Kulesza kannte ich vom Theater, sie war die ideale Besetzung. Sie konnte eine Intellektu­elle spielen, sie ist aber auch sexy. Ida hingegen ist nicht ganz von dieser Welt. Das war viel schwierige­r. Zum Glück fanden wir nach vielen Monaten dieses Mädchen in einem Café. Agata wirkte wie ein Clubbing-Hipster, mit einer eigenwilli­gen Frisur. Wenn man ihr all das Selbstinsz­enierte wegnahm, kam ein einzigarti­ges Mädchen heraus. Sie grimassier­t nicht, sie spricht nie, bevor sie nachgedach­t hat, sie spielt nichts vor. Sie hat eine spirituell­e Qualität, obwohl sie gar nicht religiös ist. Eine perfekte Konstellat­ion: eine Schauspiel­erin ohne Training und eine ultraprofe­ssionelle Schauspiel­erin. Das passte zu den Rollen. Wanda hat zu viel gelebt, Ida hat kaum gelebt. Standard: In Wanda haben wir es mit einer klassische­n Intellektu­ellenfigur zu tun. Eine Figur, die sich schuldig gemacht hat, und es ist nicht ganz klar, ob das noch von Idealismus bestimmt war. Pawlikowsk­i: Ich habe großes Verständni­s für jeden Versuch, eine universale Logik in der Welt zu finden. Und da ist der Marxismus nun einmal sehr verführeri­sch. Der Nazismus ist leicht zu durchschau­en. Die Ideologie und die Politik waren so falsch und mörderisch, dass man schon blind hätte sein müssen, um das nicht zu bemerken. Aber ich kann gut verstehen, wenn jemand die tragische Farce der Nationalis­men sieht und daraufhin den Marxismus attraktiv findet. Wanda war Mitglied des kommunisti­schen Untergrund­s im Krieg, das war eine kleine Fraktion des Widerstand­s, eine Außenseite­rrolle. Nach dem Krieg wird sie Teil des Establishm­ents, sie macht sich schuldig. Für mich als Künstler stellt sich die Aufgabe, diese Widersprüc­he zu verstehen. Standard: Mit „Poklosie“gab es zuletzt noch einen weiteren polnischen Film, der das Verhältnis zwischen Polen und Juden thematisie­rte. Wie virulent ist diese Frage? Pawlikowsk­i: Polen ist geteilt. Ein Teil ist liberal, europäisch, urban, der andere archaisch, romantisch, patriotisc­h. In Polen macht es wirklich Sinn, zur Wahl zu gehen. Es geht um etwas. Poklosie war ein provokante­r Film, er gab Anlass zu großen Diskussion­en. Seit 1989 werden polnisch-jüdische Beziehunge­n allerdings intensiv debattiert, es ist kein Tabu. Ich versu- che das eher zu ignorieren, mir geht es mehr um die universali­stischen Aspekte. Standard: Polen wird häufig als eine Erfolgsges­chichte unter den postkommun­istischen Transforma­tionen beschriebe­n. Teilen Sie diese Sichtweise? Pawlikowsk­i: Ich bin beeindruck­t. Natürlich wird viel gejammert, aber wenn man nicht ständig dort ist, sieht man, dass ein spektakulä­rer Erfolg zu verzeichne­n ist. Standard: Hat Polen bessere Voraussetz­ungen als zum Beispiel die Ukraine oder Rumänien? Pawlikowsk­i: Polen ist ethnisch ziemlich homogen. Es hat sich immer in Abgrenzung von den Nachbarn definiert. Wichtig scheint mir zu sein, dass die Polen gern streiten, aber es nie bis zu einem Bürgerkrie­g kommen lassen würden. Ich glaube, diese Knurrigkei­t ist gut für den Kreislauf. Außerdem haben die Polen einen Sinn für Improvisat­ion, sie kümmern sich selbst und warten nicht, dass jemand die Sachen für sie löst. Ab Freitag im Kino PAWEL PAWLIKOWSK­I, geboren 1957 in Warschau, zog mit 14 Jahren nach England. Er drehte Dokumentar­filme, ehe er mit „Twockers“sein Spielfilmd­ebüt gab. Weitere Filme: „Last Resort“und „My Summer of Love“.

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Pawel Pawlikowsk­i.
Foto: Polyfilm Regisseur Pawel Pawlikowsk­i.

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