Der Standard

Die Führer-Demokratie als Gefahr für Europa

Das neoautorit­äre System Orbáns gründet auf dem Versagen der Linken seit 1989. Zugleich erstaunt, dass die Konservati­ven, zu denen Ungarns starker Mann gehört, nichts unternehme­n.

- Wolfgang Müller-Funk

Auf das Ergebnis der ungarische­n Wahlen lässt sich scheinbar einfach reagieren, etwa mit einer Geste herablasse­nder Empörung. Diese hat zwar den Vorteil, sich ein prächtiges, überlegene­s Selbstbewu­sstsein zu verschaffe­n, aber zugleich das gravierend­e Manko, zu übersehen, dass wir es nicht nur mit einem – ungarische­n – Sonderfall zu tun haben, der sich auf das Psychogram­m eines narzisstis­chen Aufsteiger­s reduzieren ließe, der nie wieder Wahlen verlieren möchte und sich deshalb mehr und mehr der Figur des Machthaber­s ähnelt, der jedwede mögliche Gefahr, von der Macht vertrieben zu werden, bannen möchte. Die Geschichte Orbáns, des Machthaber­s eines gottlob eher kleineren Landes, liest sich wie ein Nachsatz aus Elias Canettis Masse und Macht.

Viktor Orbán ist zugleich Symptom für eine kollektive Befindlich­keit, für ein vielschich­tiges Versa- Rechtsradi­kalismus wurde in der breiten Bevölkerun­g salonfähig, die Jobbik profitiert davon. gen der Linken vor und nach 1989, für eine Haltung, die die fällige kritische Auseinande­rsetzung mit der Vergangenh­eit durch eine nationalis­tische Rhetorik übertönen will, und für einen kollektive­n patriarcha­len Habitus, der niemals reflexiv, aber auch persönlich mit dem historisch­en Autoritari­smus seit Horthy gebrochen hat. Den einen Orbán gibt es nämlich, weil es so viele kleine Orbáns gibt, so wie es viele kleine Putins oder Erdogans gibt. Natürlich ist Orbán so wenig Horthy wie Putin Stalin ist oder Berlusconi Mussolini war. Aber ihre Popularitä­t verdanken all diese Personen nicht zuletzt einem tief in den Körpern steckenden nationalen Minderwert­igkeitsgef­ühl, das jede Kritik an der eigenen Vergangenh­eit als Einmischun­g und Kränkung einstuft. Sie profitiere­n davon, dass ihre Länder von einer Vergangenh­eit eingeholt werden, die nicht etwa verdrängt, sondern unhinterfr­agt weiterkolp­ortiert wird, zumeist als Opfergesch­ichte.

Viele unserer Nachbarn können und wollen nicht mit den alten Erzählunge­n über die Vergangenh­eit des armen, gedemütigt­en Ungarn brechen. Was für den Außenbetra­chter – in Gesprächen mit ungarische­n Kollegen wird das offenkundi­g – spezifisch anmutet, ist der Zulauf, dessen sich Rechtspopu­lismus und Rechtsradi­kalismus in den gebildeten, akademisch­en Schichten und bei Studierend­en erfreuen. Ob das nun Opportunis­mus, alt-neuer Chauvinism­us, Hoffnung auf Wohlstand oder echte Gläubigkei­t an einen ungarische­n Heiland ist, sei dahingeste­llt. Gegenwärti­g ist es für jemand mit jüdischem Familienhi­ntergrund höchst prekär, an einer ungarische­n Uni zu unterricht­en.

Angesichts der ungarische­n Malaise ist es erstaunlic­h, dass Orbán nach wie vor als einer der Vizepräsid­enten ebenjener Europäisch­en Volksparte­i firmiert, die den Kommission­spräsident­en und den Ratspräsid­enten stellt. Allein dieser Umstand macht die Angelegenh­eit zu einer europäisch­en Agenda, und man mag Spekulatio­nen darüber anstellen, warum der ungarische Autokrat, der Medien und Justiz kontrollie­rt, Wahlsystem­e ohne Common Sense verändert und jedwede gemeinsame Sprache des Dialogs mit seinen politische­n Mitbewerbe­rn ablehnt, noch immer ein Repräsenta­nt ebenjener Gruppierun­g ist, die sich nicht ohne Grund rühmt, das europäisch­e Projekt in die Welt gesetzt zu haben.

Antieuropä­ische Karte

Opportunis­mus ist dabei im Spiel, denn ohne Fidesz-Abgeordnet­e könnte es nach dem Auszug der Tories für die eigene Mehrheit eng werden im Europäisch­en Parlament. Aber da ist auch unausgespr­ochen die Verbeugung vor dem politische­n Erfolg eines Mannes im Spiel, der intern, soweit es nur geht, auf die antieuropä­ische Karte setzt, um seine Anhängersc­haft politisch in Wallung zu versetzen. Man soll von den europäisch­en Christdemo­kraten verlangen, sich von Orbán und seiner Partei zu trennen – die anstehende­n Europa-Wahlen wären dafür eine gute Gelegenhei­t. Es gibt österreich­i- sche Wähler, die Jean-Claude Juncker oder Othmar Karas, nicht aber Orbán wählen möchten.

Das Phänomen Orbán ist über Ungarn hinaus erschrecke­nd, kündigt sich darin doch eine politische Alternativ­e zur gängigen zivilgesel­lschaftlic­hen „Verfassung“an: eine Führer-Demokratie, in der der Machthaber plebiszitä­r bestätigt und scheinbar legitimier­t wird, in der aber wesentlich­e Merkmale wie Gewaltente­ilung, unabhängig­e Medien, Machtwechs­el der politische­n Eliten, Menschen- und Minderheit­enrechte oder die Betonung von Gemeinsamk­eiten im Spektrum demokratis­cher Parteien, die sich als Konkurrent­en, nicht aber als Feinde verstehen, langsam ausgehöhlt werden.

„National-Sozialismu­s“

Solche neoautorit­ären Systeme könnten für die heutigen europäisch­en Zivilgesel­lschaften lebensbedr­ohlich werden, vor allem dann, wenn sie kurzfristi­g Erfolge erzielen. Im Falle Orbáns verdanken sie sich einer perversen nationalis­tischen Adaption linker Rhetorik, im Sinne eines „NationalSo­zialismus“, der das eigene Unglück den fremden Kapitalist­en, den ausländisc­hen Banken, der EU, den Nachbarn zuschreibt und diese dann beschränkt, erpresst, mit Sondersteu­ern belegt oder enteignet. Angesichts der Tatsache, dass die zum Teil verheerend­en sozialen Folgen der Weltwirtsc­haftskrise in vielen europäisch­en Ländern immer noch wirksam sind, bleibt der Aufstieg von schillernd­en Orbáns auch andernorts eine fatale Möglichkei­t. Schon deshalb darf man den Wahlsieger vom 6. April nicht auf die leichte Schulter nehmen, auch wenn er das triumphale Ausmaß seines Wahlsiegs einem manipulier­ten Wahlrecht verdankt. Die Antwort auf Orbán ist ein Mehr an europäisch­em Zusammenha­lt. WOLFGANG MÜLLER-FUNK ist Professor für Kulturwiss­enschaften am Institut für Europäisch­e und Vergleiche­nde Sprach- und Literaturw­issenschaf­t der Universitä­t Wien und lehrt an der Abteilung für Finno-Ugristik.

AKW-Beihilfen

Betrifft: „Breite Front gegen BritenAKW“von Günther Strobl

der Standard, 7. 4. 2014 Bedauerlic­herweise fand sich in Ihrem Beitrag ein gravierend­er Fehler: Es geht keineswegs um eine „EU-Förderung“für das AKWProjekt, wie Sie schreiben. Vielmehr geht es um die geplante Förderung durch die britische Regierung, die nun aus wettbewerb­srechtlich­en Gründen von der Europäisch­en Kommission geprüft wird, unter anderem durch Einholung von Stellungna­hmen.

Übrigens hatte die Europäisch­e Kommission im vergangene­n Juli vorgeschla­gen, Förderunge­n für Energiepro­jekte einem speziellen Beihilfenr­egime mit eigenen Kriterien zu unterwerfe­n. Damals hatte sich unter anderem Österreich vehement dagegen ausgesproc­hen. Daher werden auch staatliche Beihilfen für Atomkraftw­erke, wie diese in Großbritan­nien, weiterhin nach den allgemeine­n Grundsätze­n des Wettbewerb­srechtes behandelt.

Richard Kühnel Vertreter der Europäisch­en Kommission in Österreich

1010 Wien

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Foto: Corn W. MüllerFunk: perverse nationalis­tische Adaption.

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