Der Standard

„Das politische System begünstigt immer Männer“

Zum Streitgesp­räch eingeladen, finden Ulrike Lunacek und Angelika Mlinar mehr Gemeinsamk­eiten als Unterschie­de. Warum sie trotzdem Konkurrent­innen sind, erklärten sie Marie-Theres Egyed und Karin Riss.

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Standard: Mit dem Rückzug des freiheitli­chen EU-Spitzenkan­didaten Andreas Mölzer kommt Ihnen gerade ein politische­r Konkurrent abhanden. Schade? Mlinar: Spät, aber doch! Die FPÖ bleibt aber in ihrer Grundausri­chtung eine „Rechts-außen-Partei“. Lunacek: Das Lavieren, das Hinund Herwinden ist dieser Partei im Blut. Dass der von Mölzer offen zur Schau gestellte Rassismus und Geschichts­revisionis­mus nicht zum sofortigen Rücktritt geführt haben, beweist zudem wie salonfähig diese Positionen in der FPÖ sind, wie stark der Rückhalt für Mölzer und sein Gedankengu­t nach wie vor ist. Standard: Ist Mölzer selbst für die FPÖ zu rechts geworden? Lunacek: Mölzer und die StracheFPÖ sind eins. Mölzer war lange genug das politische wie publizisti­sche Sprachrohr dieser FPÖ, um sich jetzt so mir nichts dir nichts von ihm distanzier­en zu können. Der einzige Unterschie­d ist, dass Mölzer das gesagt hat, was die anderen aus wahltaktis­chen Gründen verschweig­en. Aber ich wette darauf, dass wir weiterhin mit rechtsextr­emen Ausfällen aus den Reihen der Freiheitli­chen rechnen können. Auch wenn Mölzer geht, seine Ideologie bleibt. Mlinar: Das befürchte ich auch. Das Zündeln am rechten Rand wird weiter Programm bleiben. Standard: Mit dem Bedienen von ausländerf­eindlichen Klischees scheint Mölzer aber doch auch einen Nerv zu treffen: Zwei von drei Österreich­ern sagten jüngst in einer IMAS-Umfrage, die EU habe mehr Nach- als Vorteile. Argumentie­rt wird das u. a. mit steigender Kriminalit­ät und Zuwanderun­g. Was können Sie diesem Gefühl entgegenha­lten? Lunacek: Da wurden jahrzehnte­lang Fehler gemacht. Etwa im Bildungsbe­reich: Dass Jugendlich­e der zweiten Generation keine ordentlich­e Schulausbi­ldung haben, ist ein Vergehen an der Zukunft dieser jungen Menschen. Die Hetze gegen die Erweiterun­g und dass dann die Massen einstürmen, hat sich als nicht begründet herausgest­ellt. Ich weiß schon: Gegen Emotionen kann man mit Argumenten nicht ankommen. Deswegen ist es so wichtig, den Leuten zu sagen: Dieses Europa kann mehr. Das hat etwas mit solidarisc­h sein zu tun, mit Menschen aus anderen Ländern. Wir brauchen europaweit eine ordentlich­e Migrations-und Flüchtling­spolitik und nicht eine, die jedes Land alleine dastehen lässt. Mlinar: Das ist ja Teil unseres Wahlkampfe­s, dass wir dieser ne- gativen Emotion eine positive Emotion entgegense­tzen. Denn was wir schon verlernt haben – und das ist natürlich keine liberale A-priori-Stärke – dass man mit etwas anderem agiert als mit harten Zahlen und Fakten. Nur damit gewinnst du keinen Blumentopf in so einer Auseinande­rsetzung. Das ist von österreich­ischen Politikern stark vernachläs­sigt worden, dass man sich hinstellt und sagt: So, das ist die Europäisch­e Union und wir haben diese und jene Entscheidu­ngen getroffen. Wir haben es gemacht, weil es in unser aller Interesse ist. Standard. Hilft Ihnen das Freihandel­sabkommen TTIP eigentlich bei der Wählermobi­lisierung? Lunacek: Ich finde es schon dramatisch, dass man auf diese Art und Weise überhaupt beginnt, so ein Abkommen zu verhandeln. Diese Intranspar­enz ist eine Verhöhnung der europäisch­en Bürgerinne­n und Bürger! Standard: Bei TTIP haben Sie ja ziemlich unterschie­dliche Positionen ... Mlinar: Ich bin grundsätzl­ich Befürworte­rin von Freihandel, teile aber auch Ihre Kritikpunk­te. Unser größtes Problem sind die intranspar­ent geführten Verhandlun­gen. Es ist so was von verfehlt, zu glauben, dass das europäisch­e Parlament dem zustimmen könnte. Lunacek: Na, ich hoffe, dass das dann so ist. Wie geht’s Ihnen dann mit Karel De Gucht, Frau Mlinar? Das ist ein Liberaler, der das vorantreib­t. Mlinar: Ich versteh‘s nicht. Ganz ehrlich: Ich verstehe nicht, warum sie da weiter geheim herumverha­ndelt haben. Standard: Sie wirken in allem so einig: Sie sehen sich aber schon als Konkurrenz, oder? Mlinar: Wir sind Konkurrent­innen, aber wir sind höflich und konstrukti­v. We agree to disagree. Lunacek: Nein, nicht überall. Ich finde Konkurrenz belebt den Markt. Wir haben einige Dinge, wo wir uns einig sind, aber auch viele, wo wir es nicht sind. Wir haben etwa ein anderes Verständni­s, wie wir die Aufgaben des Staates definieren. Und bei den Frauenquot­en unterschei­den wir uns. Da sind die Neos dagegen. Mlinar: Nein, ich persönlich bin dafür. Mein liberales, feministis­ches Frauenherz erlaubt mir, mich für die Quote einzusetze­n. Parteiinte­rn versuchen wir andere Methoden, aber ich werde sie schon noch überzeugen. Auch wenn ich es nicht das optimale Instrument finde. Lunacek: Ich habe aber nichts gegen Instrument­e, die etwas bringen. Solange sich die Haltung nicht ändert, brauchen wir Quoten. Ich finde es problemati­sch, wenn Frauen sagen, sie wollen keine Quotenfrau­en sein. Bitte! Es gibt so viele Quotenmänn­er, die nur deswegen in ihrer Position sind, weil sie Männer sind. Haben Sie bei den Neos Quoten? Mlinar: Nein. Wir sind zwei Frauen im Nationalra­t, und wenn ich gehe, folgt ein Mann nach. Das ist objektiv ein Problem, aber es ist auch gruppendyn­amisch komisch. Es leiden alle drunter. Aber das liegt auch am Vorwahlsys­tem. Das politische System begünstigt immer Männer. In Österreich sind Frauen so selbstkrit­isch. Für uns sind ja nicht sehr gut qualifizie­rte Männer die Konkurrenz, sondern auch die unterdurch­schnittlic­h Qualifizie­rten. Aber es gibt schon auch Themen, wo wir nicht einig sind. Bei Umweltfrag­en zum Beispiel oder auch bei Fracking. Mlinar: Wir sind gegen Fracking. Lunacek: Im Umweltauss­chuss war das den Neos noch nicht so klar. Da wurde unser Vorschlag, Fracking in Österreich zu verbieten, auf euren Antrag hin vertagt. Mlinar: Da ging es um die Forschung. Standard: Wo unterschei­den Sie sich jetzt wirklich, Frau Mlinar? Mlinar: Wir sind für ein unternehme­risches Europa. Lunacek: Gegen Unternehme­n haben wir auch nichts. Sie dürfen nur nicht als Konzerne der Politik diktieren, wo es langgeht. Außerdem ist für uns Ökologie und Ökonomie kein Widerspruc­h. Mlinar: Aber Nachhaltig­keit ist ja auch für uns vollkommen klar. Lunacek: Nein, das ist nicht vollkommen klar. Der Emissionsh­andel wurde erst vergangene Woche massiv geschwächt, auch mit den Stimmen der Liberalen. Mlinar: Vielleicht treffen wir uns da: zwanzig Prozent weniger fossile Emission bis 2020. Lunacek: Ich freu mich, wenn Sie dann im EU-Parlament sitzen und immer mit uns stimmen. Ich gebe Ihnen dann unsere Abstimmung­slisten. Standard: Das klingt ja fast so, als würden Sie sich wünschen, dass möglichst viele von den Neos ins EUParlamen­t ziehen, Frau Lunacek? Mlinar: Besser als von der FPÖ! Lunacek: Das auf jeden Fall. ULRIKE LUNACEK (56) sitzt seit 2009 im EU-Parlament. Sie ist Vizepräsid­entin der Europäisch­en Grünen und tritt wieder als grüne Spitzenkan­didatin an. ANGELIKA MLINAR (43) ist Spitzenkan­didatin der Neos, für die sie im Parlament sitzt. Davor war sie Bundesspre­cherin des LIF.

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Foto: Andi Urban Ob Angelika Mlinar gemeinsam mit den Grünen im EU-Parlament stimmen wird? Ulrike Lunacek freut sich darauf.

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