Wenn Lehrer „cool“sein wollen
Selbstständig sollen Schüler lernen, gemeinsam und möglichst lebensnah: Bei der Jahrestagung des Impulszentrum für Cooperatives Lernen (Cool) entwickeln Lehrer einen ganzheitlichen Unterricht.
Wien – „Mit 16 hatte ich meinen ersten Kosinus“, sagt die Schülerin zur Begrüßung. Verdutzt ist gar kein Ausdruck, so wie die angesprochene Lehrerin vor der Eingangstür dreinschaut.
Bevor sie darüber nachdenken kann, auch richtig gehört zu haben, gesellt sich schon ein Bursche in Muskelshirt und „Swag-Kapperl“dazu: „Ich bin breiter als der Turnleher!“Und die Dritte im Bunde macht das Chaosorchester komplett: „Wenn die Direktorin ihre Glocken läutet, kommen alle Kinder.“
Ein etwas ungewöhnlicher Empfang für einen Lehrerworkshop, doch Verwirrung zu stiften ist an diesem Nachmittag durchaus erwünscht: Ein „Blick über den Tellerrand“werfen, das verspricht die Jahrestagung des Impulszentrums für Cooperatives Offenes Lernen (Cool).
Seit 1996 haben sich österreichweit bereits über 70 Schulen der Bildungsinitiative angeschlossen, darunter hauptsächlich berufsbildende Schulen.
Deren Schüler schreiben etwa im Englischunterricht Drehbuchdialoge, buchen in Rechnungswesen Betriebskosten ab oder erstellen Touristenführer über ihren Heimatort. Eigenverantwortung, Teamfähigkeit und selbstständiges Planen lauten die Leitsätze der Cool-Didaktik. Frontalunterricht war gestern.
„Das fordert schon eine viel aufwändigere Vor- und Nachbearbeitung, der Unterricht selbst ist jedoch wesentlich entspannter“, sagt eine HAK-Lehrerin, während sie einen kräftigen Löffel Krautsuppe zu sich nimmt.
Neue Pfade beschreiten heißt also auch: sich beim Suppenessen näherkommen statt der sonst auf Tagungen üblichen Kennenlernrunden mit Wurfbällen und Namenskärtchen.
„Schulopfer“unter sich
Über 200 Lehrer haben sich zur Auftaktveranstaltung des dreitägigen Seminars im Bildungszentrum der Arbeiterkammer Wien (AK) eingefunden, eingereiht zwischen Kürbis-, Gulasch- und Rübensuppen.
Fast alle Cool-Unterstützer eint dabei, ihr ganz eigenes Schulmartyrium hinter sich zu haben: Für Werner Muhm etwa, AKWien-Direktor und Gastgeber der Tagung, gehörten qualvolle Versagensängste zum Schulalltag wie das Läuten der Pausenglocke – hätte der Arbeitersohn nicht durch die Literaturempfehlungen seines Deutschlehrers das nötige Selbstbewusstsein getankt, Halt gefunden anhand der Bergarbeiterschicksale Émile Zolas und Gerhard Hauptmanns Weberaufstand, dann würde er laut Eigenaussage kein Jahr auf der AHS überstanden haben. Zu Hause hieß es nämlich stets: „Der Lehrer hat immer recht“, oder: „Dafür bist du halt zu dumm!“
Auch Jugendforscher Bernd Heinzlmeier, geladen als Diskussionsgast, bezeichnet sich selbst als regelrechtes „Schulopfer“. Einst wurde er gar zum Klassenvorstand zitiert, da er pornografische Schriften verteilt haben soll – tatsächlich handelte es sich um ein Textbuch der Beatles, auf dem eine halbnackte Frau abgebildet war.
Seine Rettung erfolgte ausgerechnet vom Vater: „Ich glaub, die erziehen unseren Sohn zu einem Trottel“, soll er damals zu seiner Frau gesagt haben – und so den erlösenden Schulwechsel ermöglicht haben.
„Trotzdem: Die acht, neun Jahre gibt mir keiner zurück“, sagt der Jugendforscher etwas verbittert.
Wie es auch anders geht, demonstriert die aus Berlin geladene Schulgründerin Margret Rasfeld: In ihren Klassen sitzen Hochbegabte neben Kindern mit DownSyndrom, 14-Jährige lernen im Verbund mit 16Jährigen, und Altenheimbesuche stehen genauso auf dem Stundenplan wie Bruchrechnen.
Der Unterricht der Zukunft müsse ganzheitlicher gedacht werden als bisher, meint Rasfeld. Auf die Herausforderungen des Lebens solle er vorbereiten, und die Schule dürfe kein luftleerer Raum mehr sein: „Was wir uns vorstellen, kostet wenig Geld, aber erfordert eine grundsätzliche Haltungsänderung.“