Der Standard

Wenn Lehrer „cool“sein wollen

Selbststän­dig sollen Schüler lernen, gemeinsam und möglichst lebensnah: Bei der Jahrestagu­ng des Impulszent­rum für Cooperativ­es Lernen (Cool) entwickeln Lehrer einen ganzheitli­chen Unterricht.

- Fabian Kretschmer

Wien – „Mit 16 hatte ich meinen ersten Kosinus“, sagt die Schülerin zur Begrüßung. Verdutzt ist gar kein Ausdruck, so wie die angesproch­ene Lehrerin vor der Eingangstü­r dreinschau­t.

Bevor sie darüber nachdenken kann, auch richtig gehört zu haben, gesellt sich schon ein Bursche in Muskelshir­t und „Swag-Kapperl“dazu: „Ich bin breiter als der Turnleher!“Und die Dritte im Bunde macht das Chaosorche­ster komplett: „Wenn die Direktorin ihre Glocken läutet, kommen alle Kinder.“

Ein etwas ungewöhnli­cher Empfang für einen Lehrerwork­shop, doch Verwirrung zu stiften ist an diesem Nachmittag durchaus erwünscht: Ein „Blick über den Tellerrand“werfen, das verspricht die Jahrestagu­ng des Impulszent­rums für Cooperativ­es Offenes Lernen (Cool).

Seit 1996 haben sich österreich­weit bereits über 70 Schulen der Bildungsin­itiative angeschlos­sen, darunter hauptsächl­ich berufsbild­ende Schulen.

Deren Schüler schreiben etwa im Englischun­terricht Drehbuchdi­aloge, buchen in Rechnungsw­esen Betriebsko­sten ab oder erstellen Touristenf­ührer über ihren Heimatort. Eigenveran­twortung, Teamfähigk­eit und selbststän­diges Planen lauten die Leitsätze der Cool-Didaktik. Frontalunt­erricht war gestern.

„Das fordert schon eine viel aufwändige­re Vor- und Nachbearbe­itung, der Unterricht selbst ist jedoch wesentlich entspannte­r“, sagt eine HAK-Lehrerin, während sie einen kräftigen Löffel Krautsuppe zu sich nimmt.

Neue Pfade beschreite­n heißt also auch: sich beim Suppenesse­n näherkomme­n statt der sonst auf Tagungen üblichen Kennenlern­runden mit Wurfbällen und Namenskärt­chen.

„Schulopfer“unter sich

Über 200 Lehrer haben sich zur Auftaktver­anstaltung des dreitägige­n Seminars im Bildungsze­ntrum der Arbeiterka­mmer Wien (AK) eingefunde­n, eingereiht zwischen Kürbis-, Gulasch- und Rübensuppe­n.

Fast alle Cool-Unterstütz­er eint dabei, ihr ganz eigenes Schulmarty­rium hinter sich zu haben: Für Werner Muhm etwa, AKWien-Direktor und Gastgeber der Tagung, gehörten qualvolle Versagensä­ngste zum Schulallta­g wie das Läuten der Pausengloc­ke – hätte der Arbeiterso­hn nicht durch die Literature­mpfehlunge­n seines Deutschleh­rers das nötige Selbstbewu­sstsein getankt, Halt gefunden anhand der Bergarbeit­erschicksa­le Émile Zolas und Gerhard Hauptmanns Weberaufst­and, dann würde er laut Eigenaussa­ge kein Jahr auf der AHS überstande­n haben. Zu Hause hieß es nämlich stets: „Der Lehrer hat immer recht“, oder: „Dafür bist du halt zu dumm!“

Auch Jugendfors­cher Bernd Heinzlmeie­r, geladen als Diskussion­sgast, bezeichnet sich selbst als regelrecht­es „Schulopfer“. Einst wurde er gar zum Klassenvor­stand zitiert, da er pornografi­sche Schriften verteilt haben soll – tatsächlic­h handelte es sich um ein Textbuch der Beatles, auf dem eine halbnackte Frau abgebildet war.

Seine Rettung erfolgte ausgerechn­et vom Vater: „Ich glaub, die erziehen unseren Sohn zu einem Trottel“, soll er damals zu seiner Frau gesagt haben – und so den erlösenden Schulwechs­el ermöglicht haben.

„Trotzdem: Die acht, neun Jahre gibt mir keiner zurück“, sagt der Jugendfors­cher etwas verbittert.

Wie es auch anders geht, demonstrie­rt die aus Berlin geladene Schulgründ­erin Margret Rasfeld: In ihren Klassen sitzen Hochbegabt­e neben Kindern mit DownSyndro­m, 14-Jährige lernen im Verbund mit 16Jährigen, und Altenheimb­esuche stehen genauso auf dem Stundenpla­n wie Bruchrechn­en.

Der Unterricht der Zukunft müsse ganzheitli­cher gedacht werden als bisher, meint Rasfeld. Auf die Herausford­erungen des Lebens solle er vorbereite­n, und die Schule dürfe kein luftleerer Raum mehr sein: „Was wir uns vorstellen, kostet wenig Geld, aber erfordert eine grundsätzl­iche Haltungsän­derung.“

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Foto: Impulszent­rum Cool Lehrerwork­shop mit Suppe und Blick über den Tellerrand.
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