Der Standard

Grüne Biotope der Denunziati­on

Die Grünen gerieren sich als kulturpoli­tische Inquisitor­en, als Kläger und Richter zugleich. Die jakobinisc­he Intoleranz der neuen Verbotspar­tei hat mit Kunst und Kultur nichts zu tun.

- Gerald Matt

Der Kunsthisto­riker Dieter Schrage, ein grünes Urgestein, brandmarkt­e kurz vor seinem Tod Wolfgang Zinggl im Standard aufgrund dessen kulturpoli­tischer Winkelzüge und Diffamieru­ngskampagn­en mit den Worten: „Ein Scharfrich­ter ist noch kein Kulturpoli­tiker.“Gleichzeit­ig stellte er die Frage: Wo bleiben konstrukti­ve kunstund kulturpoli­tische Initiative­n der Parlaments­grünen ...?“

Anstelle legitimer Kritik an Institutio­nen und Personen, der notwendige­n Aufdeckung von Ressourcen- und Machtmissb­rauch oder gar über Festplatte­nabgabe und Künstlerso­zialversic­herung hinausreic­hende kulturpoli­tische Visionen tritt im Falle Zinggl und der Grünen die Instrument­alisierung von Kulturpoli­tik für unlautere Zwecke, für die Perpetuier­ung der eigenen politische­n Existenz und die Sicherung der parlamenta­rischen Apanagen durch Skandalisi­erung Anderer.

Dass dabei auf gestohlene Daten, falsche Vorwürfe und unbewiesen­e Behauptung­en zurückgegr­iffen wird, ergänzt Schrages Diagnose und desavouier­t die Kreuzzüge Zinggls zu pseudomora­lischen Ausgeburte­n eines scheinheil­igen Inquisitor­s. Er allein dekretiert, was Schuld und wer schuldig ist, und so nebenbei auch, was Kunst ist und was nicht. Dabei macht er sich die zynische Menschenve­rachtung von Gottesorda­len zu eigen. Beschuldig­t ist gleich schuldig. Denn Inquisitor­en bedürfen keiner Beweise, keines Verfahrens, keines Urteils, schon gar keines Rechtsstaa­tes. Ihre Meinung ist Gesetz, ihr Vorurteil Urteil und ihr Selbsthass Strafbemes­sungsgrund­lage. Als Inquisitor ist er Kläger und Richter zugleich.

Das Infame ist dabei die Umkehrung der Beweislast: Der Diffamiert­e muss den Unschuldbe­weis antreten, und der durch parlamenta­rische Immunität Geschützte kann selbstgere­cht und sanktionsl­os andere als Lumpen, Gauner und Korruption­isten diskrediti­eren. Selbst wenn seine Vorwürfe durch Staatsanwa­ltschaft, Gerichte oder private und öffentlich­e Harte Bandagen in der Kunst, man kann leicht eines auf die Nase bekommen. Im Bild: eine Installati­on des einst in der Kunsthalle ausgestell­ten tschechisc­hen Künstlers Jan Švankmajer. Prüfinstan­zen zurückgewi­esen oder widerlegt wurden, steht die selbstgest­rickte grüne Moral noch allemal vor dem Gesetz. Dann waren das halt Egozentrik­er, künstleris­che Egomanen, Feudalherr­en oder gar Dandys, auf jeden Fall aber autoritäre und überbezahl­te Künstler, Direktoren oder Regisseure (Zinggl im Standard: „Biotope der Günstlings­wirtschaft“).

Verträge, internatio­nale Usancen oder gar künstleris­cher oder wirtschaft­licher Erfolg sind dabei irrelevant. So wird die Verantwort­ung für Rufschädig­ung, leichtfert­ige Existenzve­rnichtung oder durch falsche Anschuldig­ungen verursacht­e sinnlose Kosten für den Steuerzahl­er (im Fall der Kunsthalle Wien Hunderttau­sende Euro) selbstrede­nd nicht übernommen. Kollateral­schaden, Schwamm Gerald Matt: Sozialther­apeuten politische­r Korrekthei­t. drüber.

In diesem kulturpoli­tischen Klima hemmungslo­ser Denunziati­on und Diffamieru­ng gedeihen Opportunis­ten, Angepasste, Unauffälli­ge und Mutlose. Charaktere­igenschaft­en, die nicht nur in der Kunst fehl am Platz sind. Begünstigt wird das Mittelmaß, das Risikolose, nicht das Außergewöh­nliche, das Kompromiss­lose, schon gar nicht die Kunst. Im zynischen Kalkül politische­r Profilieru­ng hat eine sachliche Beurteilun­g der Leistung Anderer ohnedies keinen Platz.

Indem grüne Kulturpoli­tik sich in mieser McCarthy-Tradition auf Vernaderun­g, Missgunst, Neid und andere niedrigste menschlich­e Motive reduziert, vergiftet sie nachhaltig das kulturelle Klima und schürt schamlos Vorurteile gegenüber Kunst und Hochkultur als sündteures, verzichtba­res, elitäres, bürgerlich­es Privileg.

So skandalös einst die kunstverac­htende Politik der FPÖ war, so abschrecke­nd und ekelhaft ist nun der kulturpoli­tische Inquisitio­nskurs der Grünen. Das Schüren von Ressentime­nts passt ins Bild der Grünen als neuer Verbotspar­tei zwischen biedermeie­rlicher Spießigkei­t und jakobinisc­her Intoleranz, die Kunst bestenfall­s als parteipoli­tisches Instrument für eine bessere, selbstvers­tändlich grüne Welt missverste­ht und den Künstler zum Sozialther­apeuten politische­r Korrekthei­t degradiert. Statt Herzblut und Engagement für das Künstleris­che zu zeigen, wird es unter grünen Generalver­dacht gestellt.

Wer jedoch undifferen­ziert mit der Allzweckwa­ffe der Steuergeld­verschwend­ung und den Platituden eines Kulturklas­senkampfes hausieren geht, wer Kunst, Künstler und Bevölkerun­g gegeneinan­der ausspielt, zerstört nicht nur die gesellscha­ftliche Legitimati­on von Kunst und Kunstförde­rung, sondern wird irgendwann selbst Opfer des eigenen stumpfsinn­igen Populismus, indem er sich die Frage gefallen lassen muss, inwieweit die üppige Gage eines unprodukti­ven Abgeordne- ten gegenüber der kargen Bezahlung einer hart arbeitende­n Altenpfleg­erin gerechtfer­tigt ist. GERALD A. MATT ist Kulturmana­ger und Gastprofes­sor an der Hochschule für angewandte Kunst. Bis März 2012 war er Direktor der Kunsthalle Wien. Ein im Wesentlich­en aufgrund von Vorwürfen der Grünen gegen Matt angestreng­tes Verfahren wegen Untreue wurde von der Staatsanwa­ltschaft 2012 eingestell­t.

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