Der Standard

Sehen, schreiben, Fahrrad fahren

Kuratieren und Texte produziere­n: Praktiken des Kunstbetri­ebs erweitern Programm

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Wien/Salzburg – Auch die beste Kunst ist keine Garantie für tolle Ausstellun­gen. Oft sind die Visionen der Kuratoren für den Erfolg entscheide­nd. Die „Kuratorenk­unst“rangiert zwar bereits als Schimpfwor­t, weil der Vermittler sich häufig allzu sehr als Autor versteht, aber an der Überzeugun­gskraft guter Gestaltung ist dennoch nicht zu rütteln. Gutes Kuratieren will gelernt werden, etwa durch das Trainieren des „Visuellen Denkens“.

Eine Art Bootcamp für aufstreben­de Kuratoren an der Sommerakad­emie Salzburg leitet Anders Kreuger, aktuell Kurator am Museum van Hedendaags­e Kunst in Antwerpen und Redakteur der Zeitschrif­t Afterall. Die Sensibilit­ät, künstleris­che Arbeiten mit Neugier und Zutrauen zu betrachten, müsse entwickelt werden, so Kreuger. „Eine entscheide­nde Fähigkeit – das mag paradox klingen – ist es, das, was man sieht, in präzisen Worten zu beschreibe­n.“Als Kurator, aber auch als Kritiker oder Kunsterzie­her könne man sich niemals der Verantwort­ung ent- ziehen, verbales Feedback auf Gesehenes zu geben. Man müsse überdies dem vertrauen, was Bilder, Objekte und Performanc­es in der ihnen innewohnen­den Sprache erzählen, und fähig sein, dies in eigene Worte zu übersetzen – und zwar ohne auf das zu vertrauen, was bereits von anderen darüber gesagt wurde. „Visuelles Denken und verbale Artikulati­onen sind also sehr stark vernetzt.“Wenn man die Mechanisme­n dahinter kennt, kann beides verbessert werden. So sieht Kreuger eine gute Ergänzung im Kurs Die Kunst des Schreibens der in Berlin lebenden kanadischs­tämmigen Autorin und Kunstkriti­kerin Jennifer Allen.

Es gebe keine Kunst, die ohne Text, die ohne Diskurs existiere, sagt Allen. Und ja, die Texte würden in der Kunst wichtiger. Etwa weil „viele Kunstwerke heute online zirkuliere­n“. Dort werde alles zum flachen Bild, verliere seine Di- mension – Texte könnten diesen Verlust teils ausgleiche­n.

„Wir tendieren dazu, Schreiben wie Fahrradfah­ren zu betrachten: Jeder kann es. Aber niemand würde sich deswegen trauen, die Tour de France mitzufahre­n. Weil wir alle alphabetis­iert sind, denken wir, Schreiben sei wie Atmen.“Das Schwierige sei, eine sehr komplexe, dreidimens­ionale Erfahrung auf Buchstaben zu reduzieren, Ideen linear – Wort für Wort – zu entwickeln.

Gleichzeit­ig will Allen die Textproduk­tion aber „entmystifi­zieren“: Man müsse nicht in der absoluten Ruhe auf geniale Gedanken warten, es gebe Techniken. Die Scheu, über Kunst zu sprechen, müsse weg. Wenn es um Dinge des alltäglich­en Konsums oder um Filme gehe, so Allen, sei jeder bereit, sich – durchaus komplex – über ästhetisch­e Aspekte zu äußern. „Sobald es um Kunst geht, haben viele Leute Angst. Das ist absurd.“(kafe) Anders Kreuger: Visuelles Denken für KuratorInn­en, 21. 7. bis 2. 8.; Jennifer Allen: Die Kunst des Schreibens, 25. bis 30. 8.

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Kritikerin Jennifer Allen lebt in Berlin.
Foto: Ponizak Autorin und Kritikerin Jennifer Allen lebt in Berlin.
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F.: Clinckx, MHKA Anders Kreuger (geb. 1965) ist Kurator in Antwerpen.

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