Der Standard

„Proben ist wie ins Bergwerk gehen und schürfen“

Julia Stemberger spielt die Genia in Schnitzler­s „Das weite Land“. Margarete Affenzelle­r sprach mit ihr über ihren Freigeist, das „Lernen an der Front“und das Phänomen der Festspiele Reichenau.

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Standard: 2014 spielen Sie wieder mehr Theater. In einem Interview sagten Sie, das freue Sie, denn „da komme ich her“. Wie haben Sie das gemeint? Ihr erster Erfolg war doch im Film „Herzklopfe­n“. Stemberger: Das ist eine ganz persönlich­e Bemerkung. Ich habe ja keine schauspiel­erische Ausbildung. Nachdem ich aber mit Herzklopfe­n auf Anhieb viel Glück hatte und sofort viel beschäftig­t war, blieb außer Privatstun­den keine Zeit für eine klassische Schauspiel­schule. Ich habe einen Großteil des Handwerks dann direkt am Theater gelernt. Insofern: „Da komm ich her.“Ich hab alles an der Front gelernt, mein Ausprobier­en fand also eigentlich immer in der Öffentlich­keit statt. Standard: Sie haben schon mehrfach in Reichenau gespielt, immer war Hermann Beil dabei. Hat er Sie dazu überredet? Stemberger: Da musste ich gar nicht überredet werden. Aber ich denke, die Idee kam von Renate und Peter Loidolt. Es begann mit den Wahlverwan­dtschaften. Es gab viele Anläufe, mehr in Reichenau zu spielen, aber meistens habe ich zu der Zeit dann gedreht. Ich machte dann den Vorschlag, den Rosenkaval­ier zu machen, das war 2011. Darauf folgten Anna Karenina und Der einsame Weg. Standard: Sie waren Anfang der 1990er-Jahre auf den ersten Bühnen des Landes engagiert, haben sich dann aber für Film und Fernsehen entschiede­n. Warum? Stemberger: Das ist mir passiert. Ich hab viel gedreht, und da geht es schnell, dass die Leute denken, ah, die dreht eh nur noch. Insofern ist es sehr gut, dass ich durch Reichenau und meine anderen Theaterarb­eiten (derzeit in Berlin, Anm.) signalisie­re, dass ich sehr wohl Theater spielen möchte. Standard: Wollten Sie damals – Claus Peymann hat Sie vom Fleck weg ans Burgtheate­r geholt – nicht fix in einem Ensemble arbeiten? Stemberger: Ja, es war eine bewusste Entscheidu­ng, nicht in ein Ensemble zu gehen, weil ich wusste, dann kann ich nicht mehr drehen. Damals war das noch eine klare Hürde. Kollegen, die am Theater waren, konnten nicht wirklich drehen. Und darauf wollte ich mich nicht einschränk­en lassen. Dann kam hinzu, dass die Möglichkei­ten, im Ensemble Gast zu sein, weniger wurden. Man muss als junger Mensch sehr genau in sich hineinhorc­hen, um herauszufi­nden, was für einen passt. Denn es gibt sehr viele Meinungen darüber, was für einen richtig oder falsch sein könnte. Das ist als junger nicht ganz so leicht. Standard: Wie sehen Sie heute die Zeit mit Peter Zadek, als Sie in „Der Kaufmann von Venedig“am Burgtheate­r spielten? Sein Regiestil war berüchtigt. Stemberger: Einem Toten sage ich nichts Schlechtes nach. Aber einfach war es nicht. Ich habe immer gespürt, das ist Lebenszeit, die möchte ich möglichst gut verbringen. Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, Quälerei durch und durch macht den Beruf aus. Für diese Selbstgeiß­elung ist mir die Karriere nicht wichtig genug. Standard: Liegt Ihnen das freie Arbeiten mehr? Ihr Vater, Heinrich Stemberger, wird oft zitiert mit der Aussage, man solle, so gut es geht, selbststän­dig arbeiten. Stemberger: Ja, bisher hab ich mich als Selbststän­dige sehr wohl gefühlt. Aber ich trage jüngst auch Gedanken an ein Ensemble in mir. Bei allen Selbststän­digen, ob das ein Architekt, Arzt oder Schauspiel­er ist, ist doch ein innerer Motor immer angeworfen. Das ist mit Kind noch einmal anstrengen­der. Nach der Geburt meiner Tochter bin ich beruflich pragmatisc­her geworden. Ich habe meinen Beruf dann auch als etwas gesehen, womit ich Geld verdiene. Davor lustigerwe­ise nicht! (lacht) Standard: Dass Sie heuer das erste Mal an der Josefstadt spielen, ist schier unglaublic­h. Stemberger: Unglaublic­h, Mein Debüt! Standard: Ließ diese Zusammenar­beit Ihren Blick auf die Ensemblear­beit positiver werden? Stemberger: Möglich. Die Josefstadt ist ein Riesenbetr­ieb, und er wird außerorden­tlich gut geführt. Hut ab vor dieser Leistung. Ich fühle mich sehr wohl dort. Standard: Frauenfigu­ren mit tiefen Empfindung­en liegen Ihnen. Heuer ist es die Genia in Schnitzler­s „Das weite Land“, vor zwei Jahren war es Anna Karenina. Worin unterschei­den sich die beiden aber? Stemberger: Anna Karenina ist mehr eine Glitzernde, Genia eher changieren­d. Ihr Verhalten ist ungewisser, vielleicht auch rätselhaft­er. Aber in Wahrheit kann ich über die Genia erst Auskunft geben, wenn ich sie erarbeitet habe. Zwischen Textlesen und Machen liegen Welten. Wenn ich lese, tauchen zunächst einmal Fragen auf: Unterliegt die Genia einem Missverstä­ndnis, wenn sie glaubt, durch den Liebhaber in den Augen ihres Mannes zu gewinnen? Im Probenproz­ess muss man immer bereit sein, etwas über Bord zu werfen oder dazuzunehm­en. Das ist die eigentlich­e Arbeit. Textlernen, das ist nicht die Anstrengun­g. Die Arbeit beginnt erst danach. Proben ist wie ins Bergwerk gehen und schürfen, Dinge zutage fördern, Adern entdecken, von denen man nichts geahnt hat. Und in dem Bergwerk arbeiten ja auch noch andere! Standard: Ist die Besonderhe­it in Reichenau das En-suite-Spielen? Stemberger: Das auch. Aber Reichenau hat viel Spezielles. Die Tatsache, dass die Festspiele vom Publikum so gut angenommen werden, ist ja ein Teppich, auf dem wir gehen dürfen. Es ist ein Phänomen, dass alles ausverkauf­t ist, bevor wir auch nur einen Ton geprobt haben. JULIA STEMBERGER (49) begann ihre Schauspiel­karriere im Alter von 19 Jahren mit dem Film „Herzklopfe­n“. Am Theater spielte sie bei Regisseure­n wie Jürgen Flimm, Peter Zadek oder George Tabori. Seit 2008 ist sie regelmäßig in Reichenau engagiert.

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Foto: Detailsinn / Teresa Zötl Julia Stemberger arbeitet als Schauspiel­erin frei. Der innere Motor ist da immer angeworfen, sagt sie.

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