Verdammnis als Lohn für einen toten Habsburger
In dem Stück „1914 – Zwei Wege in den Untergang“heftet sich Autor Nicolaus Hagg spekulativ auf die Fersen der Attentäter von Sarajevo. Zugleich malt er das Bild von Kontrahenten, die inmitten des Chaos um Unsterblichkeit ringen. Ein Gespräch.
Das Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand steckt voller Rätsel. Die Umstände hatten sich gegen ihn verschworen, als der Erzherzog am 28. Juni 1914 die Stadt Sarajevo mit seinem allerhöchsten Besuch ehrte.
Das Auto, in dem er mit seiner Gemahlin saß, folgte einer unbeabsichtigten Route. Landeshauptmann Potiorek hatte schlicht vergessen, dem Chauffeur zu sagen, er solle abbiegen. Unklar ist bis heute auch die Richtung, aus der die Schüsse auf Franz Ferdinand fielen. Der Tod der Herzogin Sophie Chotek war überhaupt ein Kollateralschaden. Undenkbar, dass die Attentäter um Gavrilo Princip ihre moralische Last mit dem Mord an einer Frau zusätzlich beschweren wollten.
„Wenn ich die historischen Tatsachen von hinten aufrolle“, sagt Nicolaus Hagg, „schafft das Platz für Spekulationen.“Der 47-jähriger Autor und Schauspieler hat im Auftrag der Reichenauer Festspiele bereits über das Schicksal des Oberst Redl nachgesonnen (das Stück aus Haggs Feder war 2011 zu sehen).
Jetzt sind, auch wegen des Gedenkjahres, die serbischen Attentäter an der Reihe. Hagg möchte einen Wahrheitsbeweis antreten. Das sei nur möglich, wenn er die Fakten vernachlässige: „Sie verstellen den Blick.“1914 – Zwei Wege in den Untergang heißt die Frucht der Spekulationen, Premiere ist am 4. Juli. Nicolaus Hagg verhehlt nicht eine leise Sympathie für Princip, Čabrinović und Ilić, die als Attentäter bei aller Verstocktheit, wie sie Halbwüchsigen eignet, doch auch so etwas wie Löwenmut bewiesen. Der Arbeitsauftrag an den Dramatiker Hagg lautete: „Wie schaffe ich es, in zwei Stunden aus einem Gymnasiasten einen Attentäter zu machen?“
Dasselbe wie Titanic
Mit der Besetzung in Reichenau habe man außerordentliches Glück gehabt. „Wir haben drei ganz junge Burschen entdeckt, die aus einem Casting hervorgingen. Einer kommt aus dem Seminar.“Es gehe ihm, Hagg, um eine sehr emotionale Sicht: „Das ist etwas, was nur Literatur kann.“Und: „Ein bisschen ist es dasselbe wie beim Titanic- Stoff: Jeder weiß, wie es ausgeht.“
Tatsächlich stößt man mit Blick auf 1914 unentwegt auf Widersprüche. Als Franz Ferdinand gestorben war, fand sich in der Monarchie kaum jemand, der um ihn geweint hätte. Conrad von Hötzendorf, der Oberkommandierende der k. u. k. Armee, wäre 1912 bereitwillig in den Krieg gezogen. 1914 war seine Begeisterung schon wieder abgeflaut. Franz Ferdinand, ein Mann von schneidender Trockenheit, war denkbar unbeliebt. Trotzdem hätten alle Verantwortlichen gewusst: Kommt der ein wenig einfach gestrickte Erzherzog Karl („der Karli“) auf den Thron, „dann bricht alles zusammen“(Hagg).
Die geografischen Grenzen von 1914 sind den religiösen gewichen. „Heute sind wir entsetzt über die Möglichkeit eines Selbstmordattentats.“Den jugendlichen Gewalttätern war wenig Entsetzliches zu eigen. Auf Lob durch die Nachwelt konnten Princip und Co nur bedingt setzen. Er wollte keine „Helden“schaffen, sagt Hagg. Eine seiner Figuren kommt zu folgendem, verblüffendem Schluss: „Ich bin vielleicht feig, aber ich bin mutig genug, um kein Held sein zu müssen.“
Princip wurde – wegen ungenügender Lektüre seiner Personaldaten – für eine Hinrichtung als zu jung befunden. Ihm widerfuhr das Schicksal, im Gefängnis bei lebendigem Leib zu verrotten. Nicolaus Hagg spinnt Fäden hinüber zum Principe des Niccolò Machiavelli. Die Figuren nehmen metaphysische Verdammnis auf sich. Zugleich ist etwas Rührendes um sie: „Čabrinović hat drei Tage vor dem Attentat ein Foto von sich anfertigen lassen. Nur damit ein Zeugnis von ihm existiert.“
Die Unsterblichkeit vor der Geschichte ist ein hohes Gut. Ihr steht die „damnatio memoriae“entgegen. In Belgrad sitzt Apis (Marcello de Nardo), Chef der serbischen Untergrundorganisation Schwarze Hand. Er ist der Multiplikator, das schweigsame Zentrum auch in Nicolaus Haggs Stück. Seine Anweisungen sind klar: „Führe das Attentat aus! Du wirst sterben!“