Wie man falsche Prognosen schönreden kann
Die britischen Demoskopen lagen am 7. Mai sensationell falsch – Erinnerung an 1992
London – Über eines immerhin sind sich eineinhalb Wochen nach der Wahl alle einig: Der klare Sieg der Konservativen stellt für die britischen Demoskopen eine Katastrophe dar. Bis zuletzt hatten sie ein Patt zwischen den beiden Großparteien vorhergesagt. Noch am 7. Mai, dem Wahltag, verkündete der Guardian: „Es könnte knapper nicht sein.“Stattdessen lagen die Torys mit 36,9 Prozent schließlich um 6,4 Punkten vor Labour (30,5). In bewundernswerter Schlichtheit fasst der erfahrene Peter Kellner von Yougov, dem Pionier von Internet-Befragungen, das Problem zusammen: „Wir lagen eben falsch.“
In Zukunft dürfte Skepsis angebracht sein. Monatelang blieben die Werte für die beiden Parteien weitgehend stabil, nur bei den kleineren – LibDems, Ukip, Grüne – kam es zu geringfügigen Bewegungen. Mindestens zehn Institute publizierten Umfragen, in denen Labour und Torys höchstens einen Prozentpunkt auseinanderlagen.
Die falschen Zahlen hätten im Wahlkampf „die ganze Debatte verzerrt“, ärgert sich BBC-Moderator Andrew Marr. Ein Labour-Kandidat kommentiert, seine Partei wäre „vielleicht größere Risken“eingegangen, wenn man den Ernst der Lage erkannt hätte.
Freilich müssen sich Politiker, Kommentatoren und Journalisten auch an die eigene Nase fassen, schließlich gab es für das Desaster einen Vorläufer: 1992 prophezeiten viele ein Patt, ja sogar einen Sieg für Neil Kinnocks Labour. Doch es gewannen die Torys unter Premier John Major – mit acht Punkten Vorsprung. Zum einen hatten viele konservative Wähler ihre Intention verborgen, zum an- deren waren die Daten über Bevölkerungsgruppen, Einkommensund Altersstruktur veraltet.
Die „umfragescheuen Torys“werden auch jetzt wieder als Erklärhilfe angeführt. Andererseits seien viele Wähler diesmal sehr lange unschlüssig gewesen, so das Institut Survation: 13 Prozent hätten in den letzten Tagen, 18 Prozent sogar erst in der Wahlkabine die Entscheidung getroffen. Etliche Labour-Wähler hätten sich nicht an die Urne bemüht, glaubt hingegen Ben Page von Ipsos Mori. Tatsächlich war die Beteiligung vorab auf rund 80 Prozent geschätzt worden – am Wahltag lag sie aber bei nur zwei Dritteln.
Für falsch hält James Morris vom US-Institut GQR die Vorgehensweise seiner britischen Kollegen: Während diese in Telefonbefragungen direkt nach der bevorzugten Partei fragen, seien in den USA mehrere vorbereitende Fragen üblich. „Wir wollen, dass sich die Leute in die Wahlkabine versetzen.“Das Resultat: Morris’ Umfragen ergaben deutlich weniger Unentschlossene, aber auch weniger potenzielle Labour-Wähler – was deshalb pikant ist, weil GQR ausgerechnet für Labour interne Befragungen durchführte.
„Barocke Erklärungen“
Konkurrenten und Londoner Journalisten verdrehen bei Morris’ Ausführungen die Augen, weil sie ganz anders klingen als vor dem Wahltag: Er erinnere sich noch an „barocke Erklärungen“, warum Oppositionsführer Edward Miliband schon auf dem Weg in die Downing Street sei, ätzt etwa der Times- Kolumnist Philip Collins.
Wie Morris beteuert auch Jim Messina im Nachhinein, er habe das Resultat bereits drei Wochen vor der Wahl vorhergesehen. Der frühere Demoskop von US-Präsident Barack Obama beriet diesmal die Torys. Angeblich habe er am Wahltag selbst die Zahl konservativer Mandate auf 319 geschätzt; am Ende holte man 331 Sitze.
Hingegen verweisen Veteranen wie Kellner auf korrekte Prognosen: von der Londoner Bürgermeisterwahl 2012 über den EUUrnengang 2014 bis zum schottischen Referendum 2014. Der Yougov-Boss rät, die Ergebnisse der aktuellen Ursachenanalyse abzuwarten: „Ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommt.“(sbo)