Wiederkehr der wissenschaftlichen Weltauffassung
Es ist der Höhepunkt im Ausstellungsreigen zum 650-Jahr-Jubiläum der Uni Wien: In einer opulenten Schau wird in adaptierten Räumen des Hauptgebäudes an den Denkerzirkel des „Wiener Kreises“erinnert, der an der Universität freilich einen schweren Stand hat
Wien – Die Denker des Wiener Kreises, die sich zwischen 1924 und 1936 in Kaffeehäusern und einem kleinen Raum am damaligen Mathematischen Seminar in der Wiener Boltzmanngasse trafen, haben allerlei kühne Gedanken gewälzt. Auf eine Idee wären sie aber ganz bestimmt nie gekommen: Dass irgendwann in ferner Zukunft die Uni Wien mit einem riesigen Plakat über dem Haupteingang an sie erinnern wird.
Der erste Blick beeindruckt
Doch das Plakat ist noch lange nicht alles: Links neben dem Portal wurde ein weiterer kleiner Zugang geschaffen, der durch einen asiatisch anmutenden Eingang in eine opulente Ausstellung führt, die gleich auf den ersten Blick beeindruckt: An den hohen Wänden des großen Saals, in dem früher einmal Volleyball gespielt wurde, sieht man von oben kommend riesige Porträts der Protagonisten des Wiener Kreises, dazu einige ausgewählte Kostproben ihres Denkens in Form von originellen Zitaten.
Auf über 1000 Quadratmetern wird in den ehemaligen Turnräumen quasi im Bauch der Universität die Geschichte des einzigartigen interdisziplinären Denkerzirkels erzählt: seine Vorgeschichte, die eigentliche Zeit seiner Existenz von 1924 bis 1936, aber auch die Vertreibung seiner Protagonisten und deren internationale Wirkung.
Es ist die erste Ausstellung über den Wiener Kreis, die aber längst nicht nur deshalb beeindruckt, weil sie eine Weltpremiere darstellt. Die wissenschaftlichen Kuratoren dieser Schau – der international angesehene Mathematiker Karl Sigmund als treibende Kraft sowie der Wissenschaftshistoriker Friedrich Stadler – haben keine Kosten und Mühen gescheut, alle möglichen Originaldokumente zu versammeln, die Zeugnis geben von den Ideen des Denkerzirkels, von seinem Umfeld und seiner internationalen Wirkung.
Drei Original-Typoskripte des Tractatus von Ludwig Wittgenstein, des wichtigsten „Außenseiters“des Wiener Kreises, sind da ebenso zu bestaunen wie die bildstatistischen Tafeln von Otto Neurath, die extra aus England nach Wien gebracht wurden. Doch es gibt nicht nur opulent aufbereitetes Text- und Bild- material: So entlehnten die Ausstellungsmacher aus dem Rathauspark die Büste des PhysikerPhilosophen Ernst Mach, der so etwas wie der geistige Ahnherr und „Vordenker“des interdisziplinären Denkkollektivs war.
Ganz im Sinne Machs ging es auch den Denkern des Wiener Kreises – neben dem PhilosophieOrdinarius Moritz Schlick vor allem dem austromarxistischen Soziologen Otto Neurath, dem ebenfalls politisch links stehenden Mathematiker Hans Hahn oder dem Philosophen Rudolf Carnap – um die Durchsetzung einer antimetaphysischen, durch und durch wissenschaftlichen Weltsicht.
Diese Lobpreisungen der Vernunft und das Propagieren einer szientifischen Weltsicht muten heute mitunter etwas befremdlich an. Man muss sie aber im Kontext der Zeit sehen – und nicht zuletzt der damals den deutschsprachigen Universitäten dominierenden Philosophie: Da waren Neokantianismus und andere metaphysische Lehren oder das „tiefe Denken“eines Dunkelmanns wie Martin Heidegger angesagt.
Ohne Chancen auf Karrieren
Diese Gegnerschaft kommt in der ansonsten überaus gelungenen Ausstellung leider etwas kurz. Etwas mehr Vertiefung hätte man sich auch bei der Darstellung der Lage an der Universität Wien just zwischen 1924 und 1936 gewünscht: Denn in diesen Jahren war es für die jüngeren Denker im Wiener Kreis und sei- nem Umfeld (wie Edgar Zilsel oder Karl Popper) aus rassistischen und ideologischen Gründen unmöglich geworden, an der Uni Wien Karriere zu machen.
Entsprechend kann auch ein Teil vom Programm des Wiener Kreises – formuliert etwa in seinem Manifest Die wissenschaftliche Weltauffassung aus dem Jahr 1929 – als lokale Kritik an den verkommenen Zuständen an der Universität und am damaligen „Verrat der Intellektuellen“(Julien Benda) gelesen werden.
Geringe Uni-Schnittmenge
So gesehen war die Schnittmenge zwischen der Universität Wien und dem Wiener Kreis nicht allzu groß, auch wenn Moritz Schlick und Hans Hahn Professoren dieser Universität waren. Wie verhasst der Protestant Schlick im dominierenden antisemitisch-reaktionär geprägten Milieu vor dem „Anschluss“war, zeigte sich spätestens bei den Reaktionen auf seine Ermordung im Hauptgebäude der Universität im Juni 1936 – zugleich der Todesstoß für den Wiener Kreis.
Vielen Mitgliedern gelang die Flucht in die USA, sie fanden dort aber nie wieder zusammen. Und an der Universität Wien tat man nach 1945 alles Mögliche, um zu verhindern, dass dieses Denken und seine noch lebenden Protagonisten hier wieder Fuß fassen konnten. In den Worten des Wiener-Kreis-Philosophen Victor Kraft: „Die Arbeit des Wiener Kreises ist nicht abgeschlossen, sie ist abgebrochen worden.“
Umso triumphaler ist seine Wiederkehr im Rahmen dieser Ausstellung gelungen.