Die vielseitige Fortpflanzung der Borkenkäfer
Bei den erstaunlich vielfältigen Strategien der Fortpflanzung von Borkenkäfern gibt es noch viele offene Fragen. Wiener Forstwissenschafter befassen sich mit der komplexen Fortpflanzungbiologie – mit dem Ziel, Prognosen für Waldschäden zu erstellen.
Wien – Wenn der Sturm Bäume entwurzelt hat, schlägt die Stunde des Ips typographus. Die im deutschen Sprachraum besser als Große Buchdrucker bekannten Käfer sind zwar nur vier bis sechs Millimeter lang, doch sie können gewaltige Schäden anrichten. Bei einer Massenvermehrung fällt den Tierchen leicht hektarweise Wald zum Opfer. Die gefräßigen Insekten greifen allerdings fast nur Fichten an, wie der Forstentomologe Christian Stauffer von der Universität für Bodenkunde (Boku) in Wien erklärt.
Die Spezialisierung auf eine bestimmte Nahrungsquelle kann aus evolutionsbiologischer Sicht durchaus ein Erfolgsrezept sein. Steht eine solche Ressource in Fülle zur Verfügung, leben die Nutznießer wie im Schlaraffenland. Die oft in dichten Beständen gedeihende Fichte passt da genau ins Bild. Ips typographus ist allerdings nicht der einzige Profiteur. Weitere Borkenkäfer-Arten wie der Kupferstecher (Pityogenes chalcographus) und der Riesenbastkäfer (Dendroctonus micans) haben Fichten ebenfalls zum Fressen gern. Alle drei Spezies nisten sich unter der Baumrinde ein und ernähren sich dort vom sogenannten Phloem. Das relativ weiche, saftige Gewebe umfasst die Transportgefäße für den Saftstrom von der Krone in die Wurzeln. Wird dieser durch Fraßschäden unterbrochen, stirbt der Baum ab.
Der Große Buchdrucker gilt laut Stauffer als die aggressivste heimische Borkenkäfer-Art. Dennoch besiedelt sie im Normalfall nur umgestürzte Bäume. Eine gesunde Fichte weiß sich nämlich gegen Eindringlinge zu wehren. Sobald die Krabbler beim Bohren eines Loches auf lebendiges Gewebe treffen, quillt ihnen dickflüssiges Harz entgegen. Das verklebt die Mundwerkzeuge, mitunter werden die Angreifer gar ganz eingegossen. Liegende oder stark geschwächte Fichten dagegen sind leichte Beute.
Der Duft geschädigter Bäume
Der Duft von geschädigten Bäumen lockt geschlechtsreife Käfermännchen über weite Entfernungen an. Sind diese einmal sesshaft geworden, senden sie ihre eigenen Geruchsstoffe aus. Weibchen und weitere Männchen folgen diesen olfaktorischen Einladungen. Ist eine Fichte vollständig besiedelt, werden weitere Duftsignale abgegeben. Letztere wiederum bedeuten neu eintreffenden Buchdruckern, sich nach einem anderen Brutplatz umzuschauen. Oft werden sie in direkter Nachbarschaft fündig, vor allem nach Windfall oder einem menschengemachten Kahlschlag. In der Folge kann es leicht zur Massenvermehrung kommen. Der Populationsdruck steigt, auch die noch stehenden Fichten können nun befallen werden. Am Ende sind mitunter ganze Waldstücke tot.
Was allerdings häufig vergessen wird: Die Fichte verdankt ihre weite Verbreitung in großen Teilen Europas dem Menschen. Sie wurde gezielt angepflanzt, oft in Monokulturen, und ist vielerorts nicht standorttypisch. Daher hat die Bekämpfung des Ips typographus eher ökonomische als ökologische Bedeutung. Der Schädling indes lässt sich nur schwer im Zaum halten. Der Einsatz von Pheromonfallen zeigt nur begrenzt Wirkung, einem Massenbefall kann man damit nicht entgegentreten. Vorbeugende Maßnahmen sind deshalb wichtiger. Gefällte Stämme sollten umgehend abtransportiert oder geschält werden, um eine Ansiedlung der Käfer zu verhindern.
Die komplexe Fortpflanzungsbiologie des Großen Buchdru- ckers bereitet Fachleuten zusätzlich Kopfzerbrechen. Viele der Weibchen bringen im Jahr nur eine einzelne Brut hervor und wechseln danach, ebenso wie ihre männlichen Artgenossen, automatisch in eine Art Winterruhe. Die Käfer gehen in die Diapause. Andere dagegen können bei günstigen Bedingungen noch eine zweite oder gar dritte Vermehrungsphase durchlaufen. In der Fachsprache werden sie „fakultativ diapausierend“genannt.
Stauffer und sein Forscherteam haben sich zum Ziel gesetzt, die Hintergründe dieser unterschiedlichen Verhaltensweisen ans Licht zu bringen. Den bisherigen Erkenntnissen zufolge spielen genetische Faktoren eine tragende Rolle. Doch beide Varianten koexistieren. „In einer einzigen Population findet man sowohl Tiere mit einer obligaten wie auch mit einer fakultativen Diapause“, sagt Stauffers Doktorand Martin Schebeck. Das parallele Auftreten beider Strategien könnte eine Anpassung an unterschiedliche Klimaverhältnisse sein. Je höher zum Beispiel die Lage, desto höher auch der Anteil an obligat diapausierenden Käfern. Diese Exemplare bereiten sich physiologisch schon frühzeitig auf die kalte Jahreszeit vor und haben deshalb vermutlich die besseren Überlebenschancen. Im Falle eines trockenen, warmen Herbstes können die fakultativ diapausierenden Buchdrucker dafür in eine weitere Reproduktionsrunde gehen. Das erhöht den Fortpflanzungserfolg.
Analyse des Erbguts
Die Wiener Wissenschafter arbeiten seit gut einem Jahr mit finanzieller Unterstützung durch den Wissenschaftsfonds FWF an der Analyse des Erbguts von Ips typographus. „Das Diapauseverhalten wird bestimmt nicht von einem einzigen Gen reguliert, sondern von einer ganzen Kaskade“, sagt Stauffer. Für die präzise Sequenzierung des Genoms arbeiten die Experten mit US-Kollegen der Kansas State University zusammen. Man hofft, im Verlauf des Projektes eindeutige genetische Merkmale der zwei verschiedenen Käfergruppen aufzeigen zu können. Wäre dieser Schritt geschafft, ließen sich ganze Populationen auf ihre Anteile an fakultativ und obligat diapausierenden Käfern hin untersuchen – als Basis für die Erstellung von Waldschadensprognosen. Denn durch den Klimawandel dürfte die vom Buchdrucker ausgehende Gefahr eher steigen als sinken.