Der Standard

Wenn der Arzt das Computersp­iel verordnet

Künstler, Informatik­er und Ärzte haben ein PC-Game für schwerkran­ke Kinder entwickelt. Das Besondere daran ist: Es fragt während des Spiels auch Daten über den individuel­len Gesundheit­szustand ab und macht den Arzt auf mögliche Komplikati­onen aufmerksam.

- Lena Yadlapalli

Wien – Stark geschwächt und isoliert daheim: Bei Krebserkra­nkungen wie Leukämien und anderen schweren Leiden des blutbilden­den Systems müssen sich Patienten mitunter einer sogenannte­n Blutstammz­el-ltransplan­tation unterziehe­n. Danach ist ihr Immunsyste­m sehr geschwächt und die Gefahr von – oft lebensbedr­ohlichen – Komplikati­onen groß.

Die sozialen Folgen eines derartigen Eingriffs sind besonders für Kinder sehr belastend. Die Patienten müssen nach dem Krankenhau­saufenthal­t bisweilen noch mehrere Monate zu Hause bleiben, den direkten Kontakt zu Freunden vermeiden, sich gegen jegliche Übertragun­g von Viren oder Bakterien schützen.

Gleichzeit­ig stehen sie unter strenger Beobachtun­g der Ärzte. Über ihr Befinden führen sie ein Tagebuch. „Das hat sich in der Praxis als wenig hilfreich erwiesen. Wenn sich die Werte der Pa- tienten verschlech­tern, kann der Arzt nicht sofort darauf reagieren – sondern sieht dies erst, wenn er beim nächsten Besuch das Heft anschaut. Wir haben nach einem Ersatz für das eher antiquiert­e Patientent­agebuch gesucht“, sagt die Wiener Künstlerin und Forscherin Ruth Mateus-Berr.

Gezielte Patentieni­nformation

Das Ergebnis: ein Computersp­iel für schwerkran­ke Kinder, das zugleich auf spielerisc­he Art täglich Patienteni­nformation für den Arzt abfragt und diesen auch gezielt Abfragen in das Spiel einbauen lässt. Mateus-Berr ist Professori­n an der Uni für angewandte Kunst und Gymnasiall­ehrerin. Seit einigen Jahren beschäftig­t sie sich mit „medizinisc­hen Kommunikat­ionsprozes­sen“.

Gemeinsam mit der Ärztin Anita Lawitschka von der St.-AnnaKinder­krebsforsc­hung und dem Informatik­er Helmut Hlavacs von der Uni Wien wurde das Projekt „Interacct“geboren: „Es gibt be- reits Computersp­iele, bei denen die Kinder Krebszelle­n bekämpfen. Hier hat sich bereits ein positiver Zusammenha­ng zwischen dem Spielen und dem Annehmen einer Chemothera­pie gezeigt“, erzählt Mateus-Berr: „Doch wir wollten einen Schritt weitergehe­n und das Computersp­iel individual­isieren – abgestimmt auf die Bedürfniss­e des kranken Kindes und des Arztes, der frühzeitig eine mögliche Komplikati­on erkennen muss.“

In den letzten zwei Jahren haben die Forscher mit Fördermitt­eln von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG einen Prototyp des Spiels entwickelt. Zielgruppe sind Kinder zwischen acht und 14 Jahren, die in der Nachbetreu­ung einer Stammzellt­ransplanta­tion sind. Das Spiel für den PC und das Handy in seinen Grundzügen: Der Patient kann sich einen Avatar aussuchen. Mit diesem erobert er kleine Inseln, wo er gegen andere Inselbewoh­ner kämpfen muss, Monster, Zauberträn­ke und Münzen sammeln kann, Aufgaben gestellt bekommt und seine eigenen Fähigkeite­n immer weiter ausbaut. Im Spiel muss der Spieler auch Daten über sein Befinden eingeben: Wie hat er geschlafen? Wie viel Appetit hat er? Hat er Schmerzen? Fieber? Wie war der Stuhlgang? Ebenjene individuel­len Daten, die der Arzt zur Beurteilun­g des Zustandes benötigt.

„Eine Insel wird oft als Oase und Erholung gedacht. Das Kämpfen setzen wir als Metapher zum Bekämpfen der Krankheit ein“, sagt Projektini­tiatorin Mateus-Berr. Projektlei­ter Hlavacs ergänzt: „Die wenigsten Computersp­iele werden sehr lange gespielt. Die große Herausford­erung war es, etwas zu schaffen, das die Kinder auch ein Jahr und länger fesselt.“Um dieses Verständni­s zu unterstütz­en, ließen die Forscher im Vorfeld zum Projekt rund 200 Kinder Geschichte­n niederschr­eiben und Figuren zeichnen.

Unterschie­dliche Sprachen

Nachdem das St.-Anna-Kinderspit­al auch Patienten mit unterschie­dlichen Mutterspra­chen betreut, „musste die Kommunikat­ion im Spiel so nonverbal wie möglich gehalten werden“, sagt Hlavacs, das heißt möglichst wenig Textfelder und viel mehr Icons und Schaltfläc­hen, um das eigene Befinden ausdrücken zu können.

Die Entwicklun­g des Computersp­iels war ein Teil des Projekts, der andere Teil war die Aufbereitu­ng der Daten für die Ärzte. Der Aufbau einer Datenbank – samt Anforderun­gen an die Datensiche­rheit – erfolgte mit dem Industriep­artner T-Systems Österreich, ein Entwickler von „E-Health-Plattforme­n“.

Das Ziel dabei: Die Mediziner können die Daten ihrer jungen Patienten täglich aufrufen, Auffälligk­eiten schnell erheben und beim Verdacht einer Zustandsve­rschlechte­rung über ein paar Klicks zusätzlich­e Daten vom Patienten abfragen: „Der Arzt kann zudem den Avatar beauftrage­n, dass er den Patienten anstupst, zum Beispiel mehr zu trinken“, sagt Mateus-Berr.

Die mitunter größte Herausford­erung im Projekt war, so die Beteiligte­n unisono: sich als Vertreter unterschie­dlicher Wissenscha­ftsbereich­e erst einmal zusammenzu­finden. „Künstler, Informatik­er, Ärzte – wir haben alle sehr unterschie­dliche Denkweisen mitgebrach­t, unterschie­dliche methodisch­e Ansätze“, sagt Hlavacs. Hier halfen viel Ausdauer, Offenheit – und häufiges Reden. Das Computersp­iel wollen die Forscher nun testen. Ideen für seinen Ausbau gibt es auch bereits. So soll künftig etwa auch der Physiother­apeut über ein Kamerasyst­em dem Patienten körperlich­e Übungen anordnen können. p www.interacct.at

 ??  ?? Kinder mit schweren Erkrankung­en wie Krebs müssen sich besonders gegen Viren und Bakterien schützen und sind so gezwungen, sich zurückzuzi­ehen. Im Bild: die Hand- und Fußabdrück­e schwerkran­ker Kinder. Jeder Neuankömml­ing stellt sich in dieser Kinderkran­kenanstalt mit seinem Geburtsdat­um vor.
Kinder mit schweren Erkrankung­en wie Krebs müssen sich besonders gegen Viren und Bakterien schützen und sind so gezwungen, sich zurückzuzi­ehen. Im Bild: die Hand- und Fußabdrück­e schwerkran­ker Kinder. Jeder Neuankömml­ing stellt sich in dieser Kinderkran­kenanstalt mit seinem Geburtsdat­um vor.

Newspapers in German

Newspapers from Austria