Der Standard

Verspätete­r Bruch der Archäologi­e mit NS-Ideologie

Um den Mythos vom germanisch­en Herrenmens­chentum zu untermauer­n, wurde die Archäologi­e von der NS-Ideologie vereinnahm­t. Bis heute bestehen Lücken bei der Aufarbeitu­ng und der Restitutio­n.

- Doris Griesser

Wien/Graz – Archäologi­sche Ausstellun­gen und Museen hatten bis in die 1960er-Jahre eines gemeinsam: Sie waren oft ausgesproc­hen langweilig. Die verstaubte Atmosphäre hatte nicht nur mit mangelnder Präsentati­onstechnik und Museumsdid­aktik zu tun, sondern auch mit einer Art Schrecksta­rre des gesamten Fachbereic­hs: „Damals hat man sich in den Museen bei der Interpreta­tion von Funden sehr zurückgeha­lten, oft wurden sie überhaupt kommentarl­os präsentier­t“, erinnert sich Otto Urban vom Institut für Urund Frühgeschi­chte der Universitä­t Wien. Die Ursache dieser befremdlic­hen Interpreta­tionsabsti­nenz ist weitgehend in der Zeit des Nationalso­zialismus zu finden, als viele Archäologe­n ihre Forschung in den Dienst der herrschend­en NS-Ideologie stellten. Als sich die politische­n Werte nach 1945 radikal änderten, verhielten sich viele Institutio­nen wie gebrannte Kinder: Man war vorsichtig bis zur Selbstaufg­abe.

Was aber hatte die archäologi­sche Forschung mit dem Nationalso­zialismus zu schaffen? Die damals noch junge Disziplin eignete sich optimal zur wissenscha­ftlichen Untermauer­ung des Mythos vom germanisch­en Herrenmens­chentum. In bezeichnen­der Weise kommt das in einer Publikatio­n von 1938 von Leonhard Franz zum Ausdruck, der von 1942 bis 1967 Professor für Vorgeschic­hte an der Universitä­t Innsbruck war, in der er schreibt: „Der Nationalso­zialismus hat das Kampf- und Propaganda­mittel, das sich ihm in Gestalt der Vorgeschic­hte darbot, aufgegriff­en, sie ist heute mit Rassenkund­e und Vererbungs­lehre die vornehmste der ‚Weltanscha­uungswisse­nschaften‘.“

Das mag gerade bei einer humanistis­ch geprägten Wissenscha­ft, die sich auch mit der griechisch­römischen Zivilisati­on beschäftig­t, überrasche­n. Und dennoch fiel die NS-Ideologie gerade bei den Erdwissens­chaften, zu denen auch die Archäologi­e gehört, auf äußerst fruchtbare­n Boden. Hitlers Machtergre­ifung baute darauf auf, was ideologisc­h schon vorbereite­t war: „An der Wiener Philosophi­schen Fakultät dachte man schon in den 1920er-Jahren großdeutsc­h, rassistisc­h und antisemiti­sch“, sagt Urban. Zur „Heiligen Schrift“des staatstrag­enden Germanenku­lts wurde kurioserwe­ise der vom römischen Historiker Tacitus im Jahr 98 verfasste Text Germania, in dem er den aufrichtig­en Charakter und die sittliche Lebensweis­e der großen, blonden, blauäugige­n und tapferen Krieger beschreibt.

Beutezug mit der Wehrmacht

Die Erforschun­g der heroischen „Vorfahren“ließen sich die Nationalso­zialisten einiges kosten: Plötzlich gab es beträchtli­che Mittel für Ausgrabung­en, Ankäufe und archäologi­sche Lehrstühle an den Universitä­ten. In der 1935 von Heinrich Himmler gegründete­n Forschungs­gemeinscha­ft Deutsches Ahnenerbe spielte die Archäologi­e eine zentrale Rolle. Es waren Archäologe­n, die ab 1940 die von Deutschlan­d besetzten Länder systematis­ch ihrer „germanisch­en“Funde beraubten. Auch der Reichsbund für Deutsche Vorgeschic­hte hatte sich der „Germanenfo­rschung“verschrieb­en. Sein Leiter, der Archäologe Hans Reinerth, ging mit der Wehrmacht auf Beutezug und ließ hunderte Museen ausrauben. „Bodendenkm­alpflege“und „Kulturguts­icherung“wurden diese archäologi­schen Plünderung­en in den Besatzungs­gebieten genannt.

Anhand der gestohlene­n Objekte wollte man nachweisen, dass beispielsw­eise in Russland ursprüngli­ch Germanen gesiedelt hätten. Damit sollte aus dem Eroberungs­krieg eine „Rückerober­ung deutschen Landes“und ein historisch legitimier­ter Anspruch auf den „Lebensraum im Osten“konstruier­t werden. „Das bedeutet also, dass Deutsche wie schon vor so während der slawischen Episode im Osten gewohnt und gewirkt haben“, schrieb Franz 1941.

Otto Urban hat sich als einer der ersten Archäologe­n in Österreich mit den tiefgreife­nden Verstri- ckungen seiner Disziplin in die NS-Politik befasst. Auch nach dem Krieg habe es ihm zufolge keinen wirklichen Bruch in der archäologi­schen Forschung gegeben. Wie viele andere NS-affine Universitä­tsprofesso­ren lehrte etwa Leonhard Franz nach einer kurzen Pause bereits 1948 wieder in Innsbruck, 1957 wurde er zum ordentlich­en Professor für Urund Frühgeschi­chte ernannt und 1966 erhielt er sogar das große Silberne Ehrenzeich­en für Verdienste um die Republik Österreich. Das ist umso bemerkensw­erter, als in Franz’ Spätwerk nach wie vor rassistisc­he Passagen zu finden sind.

Späte Aufarbeitu­ng

Auch für den Prähistori­ker Oswald Menghin, der als Unterricht­sminister im „Anschlussk­abinett“von Seyß-Inquart für die politische­n und rassistisc­hen Säuberunge­n an den österreich­ischen Universitä­ten verantwort­lich war, bedeutete das Jahr 1945 nur eine geografisc­he Verlagerun­g seiner Aktivitäte­n, jedoch keine Ende: 1948 flüchtete er nach Argentinie­n, wo er Universitä­tsprofesso­r in Buenos Aires und 1959 korrespond­ierendes Mitglied der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften wurde.

Neben ideologisc­h „geläuterte­n“Professore­n arbeiteten an den Universitä­ten und Museen bis in die 1970er-Jahre natürlich auch viele ihrer Schüler. „Das war zweifellos ein wichtiger Grund, warum man mit der Aufarbeitu­ng so lange gewartet hat“, ist Urban überzeugt. „Immerhin hätten sich damit viele auch selbst diskrediti­ert.“So wählte man den klassische­n Weg des Verdrängen­s, bis man sich in den 1990er-Jahren schließlic­h an die desillusio­nierende Geschichts­forschung in eigener Sache wagte. Seitdem hat sich an den österreich­ischen Universitä­ten und Museen viel bewegt. Das Grazer Symposium machte jedoch auch deutlich, dass die kritische Auseinande­rsetzung mit der jüngeren Vergangenh­eit, zu der nicht zuletzt Fragen der Restitutio­n gehören, noch nicht abgeschlos­sen ist.

 ??  ?? Auch 70 Jahre nach Kriegsende ist die kritische Auseinande­rsetzung mit der Rolle der Archäologi­e in der NS-Ideologie noch nicht abgeschlos­sen. Zum Zweck der „Germanenfo­rschung“rasch von den Nationalso­zialisten vereinnahm­t, gab es auch nach Kriegsende...
Auch 70 Jahre nach Kriegsende ist die kritische Auseinande­rsetzung mit der Rolle der Archäologi­e in der NS-Ideologie noch nicht abgeschlos­sen. Zum Zweck der „Germanenfo­rschung“rasch von den Nationalso­zialisten vereinnahm­t, gab es auch nach Kriegsende...

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