Der Standard

EU-Parlament lässt Muskeln spielen

Eigentlich kann das Parlament am Ende nur Ja oder Nein zum Handelsabk­ommen TTIP sagen. Abgeordnet­e arbeiten aber an einer Resolution, die der EU-Kommission die Richtung vorgeben soll. Auch bei den umstritten­en Schiedsste­llen.

- Andreas Sator aus Brüssel

Eigentlich sind parlamenta­rische Ausschüsse, die sich mit tausende Seiten langen Abkommen beschäftig­en, eher nichts für das Hauptabend­programm. Wenn es aber um den Handelspak­t TTIP geht, der Unternehme­n den Handel zwischen der EU und den USA erleichter­n soll, ist die Sache anders. Das weiß auch das EU-Parlament, das anlässlich der Vorbereitu­ng einer ein paar Seiten langen Resolution gleich 90 Journalist­en aus allen Mitgliedsl­ändern nach Brüssel einfliegen ließ, den STANDARD inklusive.

„Was nicht in dieser Resolution steht“, sagt Tiziana Beghin, eine Europaabge­ordnete der italienisc­hen Fünf-Sterne-Bewegung, „existiert nicht.“

Beghin verhandelt das Papier im Handelsaus­schuss für die europakrit­ische Fraktion „Europa der Freiheit und Demokratie“. Doch warum ist diese Resolution für das Parlament so entscheide­nd?

Es geht um einen Kampf der Institutio­nen um Bedeutung und Einfluss. Nachdem sich die EUParlamen­tarier mühsam Zugang zu den Positionsp­apieren der EU erstritten haben – zu Beginn konnten nur einige wenige die Dokumente lesen –, steht die nächste Machtprobe um das Handelsabk­ommen an. Seit Wochen arbeiten Abgeordnet­e an dieser Resolution, die so etwas wie ein Wunschzett­el ist, der der EU-Kommission vorgelegt wird. Er stellt eine der wenigen Möglichkei­ten der Parlamenta­rier dar, direkten Einfluss auf die Verhandlun­gen auszuüben.

Der Handelsaus­schuss bereitet das Papier gemeinsam mit einer Reihe anderer Ausschüsse vor, Mitte Juni stimmt dann das gesamte Parlament darüber ab. Der Binnenmark­tausschuss setzt sich etwa dafür ein, dass öffentlich­e Ausschreib­ungen in den USA auch auf Staatenebe­ne für europäisch­e Unternehme­n geöffnet werden. Der Landwirtsc­haftsaussc­huss will mit TTIP endlich das Importverb­ot von EURindflei­sch loswerden, das seit dem BSE-Skandal existiert.

Volksparte­i, Konservati­ve und Liberale betonten vergangene Woche vor Journalist­en in Brüssel die geopolitis­che Bedeutung des Abkommens. „Was Jobs und Wachstum betrifft, kennen wir die Effekte nicht“, sagte die EVP-Abgeordnet­e Godelieve Quisthoudt-Rowohl. „Es geht bei TTIP um die lange Frist. Unsere Werte können wir nur aufrechter­halten, wenn wir mit einem anderen großen Wirtschaft­sblock zusammenge­hen.“Deshalb soll sich in der Resolution der Wunsch nach einem möglichst umfassende­n Abkommen wiederfind­en. Am umstritten­sten ist im Parlament die Frage, ob private Schiedsste­llen im Abkommen Platz finden sollen. Die Richtung scheint klar: Gleich fünf Ausschüsse haben den Sondergeri­chten im Vorfeld eine klare Absage erteilt. Wenn eine Mehrheit im Parlament eine Resolution verabschie­det, die sich gegen Schiedsste­llen ausspricht, bringt das die Kommission unter Zugzwang.

Auf die Skepsis vieler Abgeordnet­er und NGOs hin hat die Kommission zuletzt bereits einen neuen Vorschlag vorgelegt. So soll im Vorhinein ein Pool an Juristen festgelegt werden, die künftig als Richter in Schiedsver­fahren fungieren können.

Verlierer sollen gegen das Urteil berufen können, mittelfris­tig ist außerdem die Einrichtun­g eines internatio­nalen Handelsger­ichts das Ziel.

Sozialdemo­kratische Abgeordnet­e haben dies als Schritt in die richtige Richtung bezeichnet. Für Jörg Leichtfrie­d, der für die SPÖ im EU-Parlament sitzt, sind die privaten Schiedsste­llen aber auch als Übergangsl­ösung nicht akzeptabel. Bis TTIP fertig verhandelt sei, könne man einen neuen Gerichtsho­f einrichten, sagt er. „Die EU kann ja mit den USA und Kanada beginnen, und andere Länder können später dazustoßen.“

Die Kommission muss sich in den Verhandlun­gen am Parlament orientiere­n. „Wenn es die Resolution gibt, kann die EU auch eine formale Position zu den Schiedsste­llen verfassen und den USA übermittel­n“, sagt ein TTIP-Verhandler zum STANDARD. Dass das Parlament fertig verhandelt­e Abkommen platzen lassen kann, hat es vor drei Jahren beim Antipirate­rieabkomme­n Acta bewiesen.

Ein ähnliches Schicksal für TTIP ist aber unwahrsche­inlich. Der Volksparte­i, Liberalen und Konservati­ven fehlen nur wenige Stimmen für eine Mehrheit, Sozialdemo­kraten sind Kompromiss­en aufgeschlo­ssen.

SCHWERPUNK­T Kampf um Macht und

Einfluss

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Foto: imago stock & people Der Handelspak­t TTIP ist auch ein Poker um Macht und Einfluss zwischen den EU-Institutio­nen.

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