EU-Parlament lässt Muskeln spielen
Eigentlich kann das Parlament am Ende nur Ja oder Nein zum Handelsabkommen TTIP sagen. Abgeordnete arbeiten aber an einer Resolution, die der EU-Kommission die Richtung vorgeben soll. Auch bei den umstrittenen Schiedsstellen.
Eigentlich sind parlamentarische Ausschüsse, die sich mit tausende Seiten langen Abkommen beschäftigen, eher nichts für das Hauptabendprogramm. Wenn es aber um den Handelspakt TTIP geht, der Unternehmen den Handel zwischen der EU und den USA erleichtern soll, ist die Sache anders. Das weiß auch das EU-Parlament, das anlässlich der Vorbereitung einer ein paar Seiten langen Resolution gleich 90 Journalisten aus allen Mitgliedsländern nach Brüssel einfliegen ließ, den STANDARD inklusive.
„Was nicht in dieser Resolution steht“, sagt Tiziana Beghin, eine Europaabgeordnete der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung, „existiert nicht.“
Beghin verhandelt das Papier im Handelsausschuss für die europakritische Fraktion „Europa der Freiheit und Demokratie“. Doch warum ist diese Resolution für das Parlament so entscheidend?
Es geht um einen Kampf der Institutionen um Bedeutung und Einfluss. Nachdem sich die EUParlamentarier mühsam Zugang zu den Positionspapieren der EU erstritten haben – zu Beginn konnten nur einige wenige die Dokumente lesen –, steht die nächste Machtprobe um das Handelsabkommen an. Seit Wochen arbeiten Abgeordnete an dieser Resolution, die so etwas wie ein Wunschzettel ist, der der EU-Kommission vorgelegt wird. Er stellt eine der wenigen Möglichkeiten der Parlamentarier dar, direkten Einfluss auf die Verhandlungen auszuüben.
Der Handelsausschuss bereitet das Papier gemeinsam mit einer Reihe anderer Ausschüsse vor, Mitte Juni stimmt dann das gesamte Parlament darüber ab. Der Binnenmarktausschuss setzt sich etwa dafür ein, dass öffentliche Ausschreibungen in den USA auch auf Staatenebene für europäische Unternehmen geöffnet werden. Der Landwirtschaftsausschuss will mit TTIP endlich das Importverbot von EURindfleisch loswerden, das seit dem BSE-Skandal existiert.
Volkspartei, Konservative und Liberale betonten vergangene Woche vor Journalisten in Brüssel die geopolitische Bedeutung des Abkommens. „Was Jobs und Wachstum betrifft, kennen wir die Effekte nicht“, sagte die EVP-Abgeordnete Godelieve Quisthoudt-Rowohl. „Es geht bei TTIP um die lange Frist. Unsere Werte können wir nur aufrechterhalten, wenn wir mit einem anderen großen Wirtschaftsblock zusammengehen.“Deshalb soll sich in der Resolution der Wunsch nach einem möglichst umfassenden Abkommen wiederfinden. Am umstrittensten ist im Parlament die Frage, ob private Schiedsstellen im Abkommen Platz finden sollen. Die Richtung scheint klar: Gleich fünf Ausschüsse haben den Sondergerichten im Vorfeld eine klare Absage erteilt. Wenn eine Mehrheit im Parlament eine Resolution verabschiedet, die sich gegen Schiedsstellen ausspricht, bringt das die Kommission unter Zugzwang.
Auf die Skepsis vieler Abgeordneter und NGOs hin hat die Kommission zuletzt bereits einen neuen Vorschlag vorgelegt. So soll im Vorhinein ein Pool an Juristen festgelegt werden, die künftig als Richter in Schiedsverfahren fungieren können.
Verlierer sollen gegen das Urteil berufen können, mittelfristig ist außerdem die Einrichtung eines internationalen Handelsgerichts das Ziel.
Sozialdemokratische Abgeordnete haben dies als Schritt in die richtige Richtung bezeichnet. Für Jörg Leichtfried, der für die SPÖ im EU-Parlament sitzt, sind die privaten Schiedsstellen aber auch als Übergangslösung nicht akzeptabel. Bis TTIP fertig verhandelt sei, könne man einen neuen Gerichtshof einrichten, sagt er. „Die EU kann ja mit den USA und Kanada beginnen, und andere Länder können später dazustoßen.“
Die Kommission muss sich in den Verhandlungen am Parlament orientieren. „Wenn es die Resolution gibt, kann die EU auch eine formale Position zu den Schiedsstellen verfassen und den USA übermitteln“, sagt ein TTIP-Verhandler zum STANDARD. Dass das Parlament fertig verhandelte Abkommen platzen lassen kann, hat es vor drei Jahren beim Antipiraterieabkommen Acta bewiesen.
Ein ähnliches Schicksal für TTIP ist aber unwahrscheinlich. Der Volkspartei, Liberalen und Konservativen fehlen nur wenige Stimmen für eine Mehrheit, Sozialdemokraten sind Kompromissen aufgeschlossen.
SCHWERPUNKT Kampf um Macht und
Einfluss